Landgrabbing in Brandenburg: Erbeutetes Bauernland
Durch einen zwielichtigen Deal hat der Versicherer Münchener Rück riesige Agrarflächen erworben – und dabei zwei Millionen Euro Steuern gespart.
Weil Staaten und Banken kaum noch Zinsen, etwa auf Anleihen, zahlen, investieren Konzerne wie die piekfeine Münchener Rück AG, die sich gern „Munich Re“ nennt, in Agrarland. „Der Umfang“, schreibt der Versicherer der taz, „liegt im zweistelligen Millionenbereich.“
Getrieben auch durch branchenfremde Anleger haben sich seit 2007 die Verkaufswerte von landwirtschaftlich genutztem Land im Schnitt mehr als verdoppelt. Normale Bauern können in diesem Bieterkampf oft nicht mehr mithalten. Die hohen Landpreise belasten ihre Einkommen, was zum Sterben vor allem kleinerer Höfe beiträgt. Auch die Verbraucher zahlen einen Teil der hohen Bodenkosten über höhere Lebensmittelpreise. Zudem fließen die Gewinne, etwa aus der Verpachtung von Agrarland, in Investorenhand, aus den oft armen Regionen in der Provinz in eh schon reiche Städte. So wird das Vermögen immer ungleicher verteilt.
Deshalb verlangt das Grundstückverkehrsgesetz: Wenn Agrarland veräußert werden soll, muss es zuerst ortsansässigen Bauern angeboten werden. Diese Regel war für die Münchener Rück ein Problem, als sie Mitte 2015 in rund 2.300 Hektar Felder von 14 Tochtergesellschaften der KTG Agrar investieren wollte. KTG war damals der größte Ackerbaukonzern Deutschlands, brauchte aber dringend Geld und ist mittlerweile pleite.
Die Steuer umgangen
2014 hatte er bereits etwa 4.400 Hektar in Litauen an die Münchener verkauft. So einfach wäre das in Brandenburg wegen des Grundstückverkehrsgesetz nicht gegangen. Um es zu umgehen, übertrugen die KTG-Töchter das Land an eine andere KTG-Firma, die ATU Landbau GmbH. Dieses Unternehmen bewirtschaftete Agrarflächen und saß in Brandenburg, galt also vor dem Gesetz als Landwirt. Deswegen bekam es am 30. Juli 2015 vom Landkreis Prignitz die Genehmigung. Weniger als drei Wochen später jedoch kaufte die Münchner Rück 94,9 Prozent der ATU.
Problem:Statt die 2.300 Hektar Land direkt zu kaufen und dafür Grunderwerbsteuer zu zahlen, erwarb die Münchener Rück 94,9 Prozent einer Firma, der zuvor das Land übertragen wurde. Bei einer Übernahme von weniger als 95 Prozent werden keine Steuern fällig. Bei einem geschätzten Kaufpreis von 28 Millionen Euro sind dem Staat etwa 1,8 Millionen Euro entgangen.
Share Deals: Diese Steuervermeidungsmethode ist nach herrschender Rechtsauffassung legal. Gemäß Grunderwerbsteuergesetz wird die Abgabe vor allem dann fällig, wenn der Käufer das Grundstück selbst direkt kauft. Wer nur Anteile an Unternehmen erwirbt, die die Grundstücke besitzen, muss keine Grunderwerbsteuer zu zahlen – jedenfalls wenn er weniger als 95 Prozent der Firmenanteile erwirbt. Fachleute sprechen dann auch von einem „Share Deal“, da hier Anteile (englisch „shares“) transferiert werden.
Konzerne: Für Privatleute lohnt sich das in der Regel nicht, schon wegen der anfallenden höheren Notarkosten, aber Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) sagt: „Bei fast jeder größeren Immobilientransaktion guckt der Staat in die Röhre“. „In der Praxis wird jeder kleine Häuslebauer besteuert, während millionenschwere Grundstücksgeschäfte von Immobiliengesellschaften trickreich am Fiskus vorbei geschummelt werden.“ Das sei ungerecht. Schäfer nimmt an, dass der Staat wegen Share Deals bundesweit jedes Jahr bis zu eine Milliarde Euro weniger einnimmt.
Lösung: Die Grünen-Bundestagsfraktion will, dass die Steuer schon fällig wird, wenn der Käufer mehr als 50 Prozent einer Firma übernimmt. Experten der Länder wollen bis Mitte November eigene Lösungsvorschläge erarbeiten. (jma)
Da das Gesetz für Verkäufe von Anteilen einer Firma mit Agrarflächen keine amtliche Erlaubnis verlangt, konnten die Behörden nicht verhindern, dass die ATU samt 2.263 Hektar in Brandenburg sowie 577 weiterer Hektar mehrheitlich bei Munich Re landete. Dafür musste der Versicherer wegen einer weiteren Gesetzeslücke noch nicht einmal Grunderwerbsteuer zahlen; dem Staat entgingen allein für die 2,263 Hektar schätzungsweise mindestens 1,8 Millionen Euro.
Der Fall zeigt, wie weit es mit der Ethik der Münchener Rück wirklich her ist. Er zeigt aber auch, wie schlecht manche Landkreise das Grundstückverkehrsgesetz anwenden. „Wenn eine so große Transaktion wie der KTG-Deal auf meinem Tisch landen würde, würde ich da schon viel genauer nachhaken“, sagt ein Behördeninsider der taz. Schließlich ist die Fläche mehr als 800-mal größer als der Durchschnitt aller 2015 in Deutschland verkauften Äcker.
Versäumnisse der Behörden
Der Landkreis Prignitz dagegen, der sich auf Anfrage der taz nicht äußern wollte, versäumte es sogar, wie im Gesetz vorgeschrieben, die Bauernverbände vor der Genehmigung anzuhören. So hätte er Landwirte finden können, die KTG-Felder kaufen wollen. Das teilte die Aufsichtsbehörde, das Agrarministerium in Potsdam, der taz mit.
Der Landkreis habe die Anhörung nicht für erforderlich gehalten, weil er seiner Meinung nach den Verkauf an die ATU ohnehin genehmigen müsste. „Damals“, schreibt das Ministerium der taz, „wurde eine mögliche Genehmigungsversagung bzw. Vorkaufsrechtsausübung nicht geprüft, weil der Käufer den Anschein erweckte, dass er nach dem Flächenerwerb weiterhin ein brandenburgischer Landwirtschaftsbetrieb sein würde.“
Dabei sei die ATU ja kurz nach der Genehmigung an die Münchener verkauft worden, „was natürlich bereits zum Zeitpunkt der Genehmigung geplant war und der Genehmigungsbehörde verschwiegen wurde.“ Dafür spreche, dass der Zeitraum von knapp drei Wochen zwischen Erlaubnis und dem Eigentümerwechsel der ATU „zu kurz für die üblichen Prüfungen vor einem Unternehmenskauf“ sei.
Nachträgliche Prüfung
Mittlerweile hat das Ministerium nach eigenen Angaben die Prignitzer ermahnt, bei solchen Verkäufen immer die Verbände anzuhören. Die Landwirtschaftsbehörden prüfen nun, ob die Genehmigung rückgängig gemacht werden kann. Dazu befragen sie bis 18. November die Bauernverbände, ob jemand aus ihren Reihen einen Teil des Landes kaufen will. Das wäre eine Voraussetzung, um Verkäufe an die ATU nachträglich zu untersagen.
Allerdings wird es wohl nicht für alle Flächen Interessenten geben. Denn die Preise sind hoch, und vor allem hat die ATU schon Tatsachen geschaffen: Sie hat das Land langfristig an andere KTG-Tochterfirmen verpachtet. Käufer könnten die Äcker also erst mal nicht selbst bewirtschaften.
Unterstützung erhält das Ministerium von einem ausgewiesenen Experten für das Bodenrecht: von Reimund Schmidt-De Caluwe. „Mir scheint viel für die Ansicht des Agrarministeriums zu sprechen“, sagte der Jura-Professor an der Universität Halle. Auch er sieht „konkrete Anhaltspunkte“ dafür, dass bei dem Geschäft das Gesetz umgangen werden sollte. Zum Beispiel habe es offenbar „keinen eigenständigen unternehmerischen Nutzen“ gehabt, dass die ATU die Flächen erwirbt.
Konzerne mauern
KTG ließ Bitten der taz um Stellungnahme unbeantwortet. Die Münchener Rück dementierte, den Ämtern seien wichtige Angaben verschwiegen worden. Die ATU „lieferte die notwendigen Informationen an die Genehmigungsbehörde“, erklärte der Konzern der taz. Die Erlaubnis sei „rechtswirksam erteilt“ worden. Interessanterweise antwortete das Unternehmen auf die Frage, ob es bereits zum Zeitpunkt der Genehmigung geplant habe, die ATU zu kaufen: „Über Absichten/Pläne informieren wir nicht.“
Und was ist mit dem Argument, das Land sollte besser in der Hand von ortsansässigen Bauern bleiben? Die Flächen seien doch an Landwirte verpachtet, „welche Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region sichern bzw. neu schaffen“, verteidigt sich der Versicherer. Allerdings: Die Pachteinnahmen fließen dann doch nach München. Und die „Landwirte“, das sind mittlerweile im wesentlichen Beteiligungen der Gustav-Zech-Stiftung, die die Firmen nach der Insolvenz der KTG Agrar gekauft hat. Stiftungssitz: Vaduz, Liechtenstein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers