Landesparteitag der Berliner Grünen: Vorstandswahl scheitert
Die Realo-Kandidatin Tanja Prinz fällt mit nur 27 Prozent durch. Über zwei Drittel stimmen gegen sie. Der Parteitag soll Mittwoch weiter gehen.
Prinz hatte sich Anfang Oktober per Video für den Landesvorsitz beworben und sich in einer internen Vorabstimmung des Realo-Parteiflügels gegen Ghirmais bisherige Co-Vorsitzende Susanne Mertens durchgesetzt. Nach einen inoffiziellen Quotierung besetzt seit 2011 jeder der beiden Parteiflügel einen Platz in der Doppelspitze – wobei sich dennoch alle Parteimitglieder in beiden Vorsitzenden wiederfinden sollen.
Die Lage schien kurzzeitig geregelt, als Mertens zwei Tage nach der Vorabstimmung Mitte November ankündigte, nicht erneut zu kandidieren. Der vierköpfige Koordinatorenkreis der Realos veröffentlichte danach einen Text, in dem es unter anderem heißt: „In Ruhe haben wir nun eine einvernehmliche, interne Lösung gefunden.“ Doch in den folgenden knapp drei Wochen bis zum Parteitag ebbte die schon zuvor geäußerte Kritik an Prinz nicht ab.
Die Parteilinken lehnen ihren Ansatz ab, den Realos mehr Gewicht in der Partei zu verleihen. Bei den Realos gilt manchen ihr Vorgehen als zu drastisch und nicht daran orientiert, die gesamte Partei mitzunehmen. Noch stärker als auf Prinz richtet sich die Kritik dabei gegen die Prinz tragende Gruppierung „Grüne Reals in Mitte“, die unter dem Kürzel Gr@ms“, sprich „Gräms“, firmiert. Die macht die Parteilinke und einen auf Weiterregieren mit SPD und Linkspartei orientierten Kurs für die verlorene Regierungsbeteiligung verantwortlich. Die Gruppe fordert, dass die Berliner Grünen sich weit mehr an Baden-Württemberg orientieren, wo der dortige Landesverband Wahlen gewann und den einzigen grünen Ministerpräsidenten stellt.
Berliner Grünen gegen Bundesspitze
Im Berliner Landesverband kommt dieses Vorgehen aber bei vielen als zu radikal an. Das spitzte sich am Freitag in einem Brief an die 149 Parteitagsdelegierten zu, den neun der zwölf Kreisvorstände unterstützen und der der taz vorliegt. Darin heißt es: „Wir appellieren an alle, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein, denn wir sorgen uns, dass die aggressive und unversöhnliche Art von GR@M die Handlungsfähigkeit unserer Partei gefährdet.“ Zu den Unterstützern gehört auch der Kreisvorstand Tempelhof-Schöneberg, wo Prinz Beisitzerin ist. Prinz selbst wird in dem Brief nicht namentlich genannt, aber die Botschaft an die Delegierten ist klar: Wählt sie nicht!
Wohin die Delegierten mehrheitlich tendieren würden, zeigte sich vorher schon bei einer Abstimmung zum Leitantrag über Wirtschaftstransformation, in dem auch die umstrittene Schuldenbremse auftaucht. Die Bundesvorsitzende der Partei, Ricarda Lang, hatte als Gastrednerin zuvor eine Reform der Schuldenbremse gefordert und sah sich dabei auch in einem Lager mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Der Leitantrag hingegen enthält den Satz: „Wir wollen die Schuldenbremse abschaffen.“ Ein Änderungsantrag des Kreisverbands Mitte, der vorsah, aus „abschaffen“, ein „zeitgemäß gestalten“ zu machen, konnte sich nicht durchsetzen.
Nachdem Prinz in zwei Wahlgängen mit jeweils rund 27 Prozent gescheitert war, gab es eine Unterbrechung des Parteitag, während der sich Mitglieder des Realo-Flügels zu einer Beratung zurückzogen. Prinz kündigte danach an, erneut zu kandidieren, bekam auch aber diesmal nur 27,9 Prozent – absolut bloß eine einzige Stimme mehr als im vorigen Wahlgang. Auf einen möglichen vierten Anlauf verzichtete Prinz und verließ sichtlich bewegt mit einem “Vielen Dank, frohe Weihnachten“ den Tagungssaal im MOA-Hotel in Moabit.
In einer merklich für diesen Fall vorbereiteten Rede mahnte Parteichef Ghirmai die Delegierten, nun nichts zu überstürzen. Die gewichtige Wahl des Landesvorstands dürfe „nicht übers Knie gebrochen werden“. Er schlug erfolgreich vor, den Parteitag mit etwas Abstand am Mittwochabend fortzusetzen. Die Landesgeschäftsstelle der Partei habe für die nun entstandene Lage – „die sich niemand in der Partei gewünscht hat“ – Vorsorge getroffen und einen Tagungsort in Kreuzberg reserviert. Die frühere Fraktionschefin Antje Kapek sagte umringt von Journalisten, sie sei seit 20 Jahren bei Parteitagen. „Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind