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Landesamt für Einwanderung in der KritikAbschiebungen haben Vorrang

Im Rahmen der Aktionswoche „Abolish Ausländerbehörde“ gibt es auch Proteste vor dem Berliner Landesamt für Einwanderung. Viele Stellen nicht besetzt.

Das Landesamt für Einwanderung am Friedrich-Krause-Ufer in Berlin Foto: Imago / Rolf Kremming

BERLIN taz | Morgens um 9 Uhr ist vor der Berliner Ausländerbehörde viel los. Wer einen frühen Termin ergattert hat, steht nun in der Schlange vor dem großen Eisentor des Landesamts für Einwanderung, kurz LEA. Die Security-Mitarbeitenden lassen sich die Terminbestätigungen zeigen. Ohne diesen Wisch kommt niemand rein.

„Ihr seid hier falsch, ihr müsstet in Brandenburg demonstrieren“

Ein Anwalt für Migrationsrecht

Was an diesem Donnerstag anders ist: Es gibt Kaffee und Kekse für die Wartenden. Das No Border Assembly, eine Berliner Gruppe, die sich für die Rechte Geflüchteter und gegen Abschiebungen engagiert, hat eine der Wartebänke zum Infostand gemacht. Neben der Kaffeekanne liegen Flyer in verschiedenen Sprachen aus, darauf steht in großen Buchstaben „Ausländerbehörde abschaffen“ auf Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch oder Arabisch. Berlin macht mit bei einer bundesweiten Aktionswoche gegen Ausländerbehörden. Die soll auf die konkreten bürokratischen Probleme aufmerksam machen, mit denen Ausländer in Deutschland regelmäßig konfrontiert sind – und auf das System dahinter.

Die spezifische Kritik am LEA ist nicht neu: Seit Jahren prangern Geflüchtetenorganisationen die Überlastung der Behörde an. „Wir sind voll angekommen in der Dysfunktionalität“, sagt Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat der taz. Gerade für Geflüchtete mit unsicherem Aufenthaltsstatus sei es so gut wie unmöglich, einen Termin zu buchen. „Beratungsstellen brechen dadurch zusammen, dass ihr einziger Auftrag darin besteht, für Kli­en­t*in­nen den Kontakt zum LEA herzustellen.“

Fände dann ein Termin statt, müssten sie danach lange auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten. „Gerade Anträge von Menschen, die ausreisepflichtig sind, werden überhaupt nicht mehr bearbeitet“, sagt Barnickel. Ein typischer Fall seien etwa Jugendliche mit Duldung, die eine Willkommensklasse abgeschlossen hätten und nun weiter die Regelschule besuchen wollten. „Vor zwei Jahren gab es dafür sehr standardmäßig eine Ermessensduldung für den Schulbesuch, jetzt wird das durch die Bank abgelehnt“, kritisiert sie.

Diese Kritik teilen die Menschen, die am Donnerstagmorgen für einen Kaffee zum Infostand kommen, nicht unbedingt. „Ich habe kein Problem mit der Behörde“, heißt es auf Nachfrage, oder „Ich musste nicht lange warten.“ Erfahrungen allerdings von Menschen, die offensichtlich einen Termin bekommen haben.

Viele Stellen nicht besetzt

Auch unterscheiden sich die Erfahrungen in den unterschiedlichen Aufenthaltsbereichen stark. Wer etwa über die Blue Card, den EU-weiten Aufenthaltstitel für akademische Fachkräfte, in Deutschland lebt, könne mit der Antragsbearbeitung in wenigen Tagen rechnen, sagt Engelhard Mazanke. Der Leiter des LEA kommt um 10 Uhr auf den Vorplatz seiner Behörde, um sich ein Bild vom Protest zu machen. Die Kritik der Geflüchtetenorganisationen kann er nicht nachvollziehen. „Wir haben ein Notfallterminsystem, für drei Notfälle: eine anstehende Reise, drohende Arbeitslosigkeit und die drohende Einstellung von Sozialleistungen.“ Wer solch eine Situation belegen könne, dem stelle die Behörde einen Fiktionsbescheid aus oder gebe kurzfristig einen Termin.

Dennoch bleibt seine Behörde unterbesetzt. Von den über 200 neuen Stellen, die für die Einbürgerungszentrale und das Einwanderungsamt im aktuellen Haushalt geschaffen wurden, konnte Mazanke über 50 Prozent besetzen. Für ihn ein Erfolg, doch offensichtlich besteht weiterhin eine Lücke. Eine Lücke, die sich auch darin äußert, dass es seit Anfang des Jahres keine interne Beschwerde- und Beratungsstelle mehr gibt. Acht Mit­ar­bei­te­r*in­nen des verstorbenen Ombudsmannes Wolfgang Wieland arbeiteten laut Mazanke mittlerweile in der Einbürgerungsabteilung. „Natürlich ist Beratung wichtig, aber wir müssen erst mal den Rückstau abarbeiten“, sagt er. Um Beschwerden kümmere er sich selbst.

Barnickel vom Flüchtlingsrat erkennt eine Arbeitsüberlastung, doch sie vermutet auch eine „krasse Priorisierung von Abschiebungen“. Denn Anträge von Menschen aus Moldau, Georgien und der Türkei, also aus den Ländern, wohin Berlin hauptsächlich abschiebt, würden schnell bearbeitet – und enthielten meist eine Ablehnung. Dass die Berliner Ausländerbehörde in dieser Hinsicht unter politischem Druck steht, wurde im Sommer deutlich. Da veröffentlichte die Innenverwaltung die Abschiebezahlen für das erste Halbjahr 2024. 515 Menschen hatte das Land Berlin zu dem Zeitpunkt abgeschoben, 195 Menschen nach Moldau und 88 Menschen nach Georgien – und 19 Prozent weniger Menschen als im ersten Halbjahr 2023. Schnell wurde deutlich, dass das LEA damit Erwartungen enttäuschte. Dirk Stettner, Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, machte Druck: Berlin könne sich kein „zu geringes Engagement bei Abschiebungen leisten“, sagte er dem RBB.

In Brandenburg noch schlimmer

Arbeitet die Berliner Ausländerbehörde am Ende mit mehr Wohlwollen als andere? Gegen 11 Uhr kommt ein Mann an den Infostand, schaut sich die Flyer an, nickt und sagt: „Ihr seid hier falsch, ihr müsstet in Brandenburg demonstrieren.“ Er sei Anwalt für Migrationsrecht, möchte aber seinen Namen nicht nennen. „Wenn alle Ausländerbehörden so wären wie die Berliner, dann wäre schon vieles gewonnen.“

Marie Bousso (Name geändert) lebt seit dreieinhalb Jahren in Deutschland, sie ist aus Kamerun. Gemeldet ist sie in einem brandenburgischen Landkreis. Von der dortigen Ausländerbehörde erzählt sie nur schlechtes: unfreundliche, respektlose Mitarbeitende, keine Übersetzung, ständiges Drohen mit Abschiebung. „Ich gehe nur zusammen mit einer weißen Begleitung hin, die Leute dort mögen keine Schwarzen Menschen“, erzählt sie der taz. Mittlerweile macht sie eine Ausbildungsduldung zur Köchin. Doch das sei ein harter Kampf gewesen: „Meine Sachbearbeiterin kennt alle Regeln, die, die gut für mich sind und die, die schlecht sind. Aber sie nutzt nur die schlechten“, sagt sie. Nur mithilfe ihres Anwaltes habe sie schließlich die Erlaubnis zur Ausbildung erhalten.

Dennoch will Bousso nicht die Berliner Ausländerbehörde verteidigen – die sei schließlich Teil desselben Systems. „Wir sind wirklich frustriert, mit allem, was in Deutschland passiert“, sagt sie. Als Mitglied der No Border Assembly fordert sie sichere Aufenthaltstitel für sich und ihre Mitstreiter*innen. „Man lässt uns nicht arbeiten, obwohl Deutschland Arbeitskräfte braucht. Wir wollen frei sein, aber wir müssen nur warten.“

Ohnehin klingen die Beschwerden gegen die Ausländerbehörden oft ähnlich. Eine Aktivistin der Seebrücke Tübingen erzählt der taz am Telefon, wie die dortige Ausländerbehörde Anträge auf Familiennachzug nur sehr schleppend bearbeite, Duldungen und Aufenthaltstitel nur für kurze Zeiträume verlängere. Ein Mitglied von No Lager Osnabrück berichtet von rigiden Sachbearbeiter*innen. Insgesamt nehmen Gruppen aus zehn deutschen Städten an der Aktionswoche teil, die das Bündnis Netzwerk Abolish Ausländerbehörde zum zweiten Mal ausgerufen hat. „Wir haben uns irgendwann gedacht: Es ist wichtig, sich zu vernetzen und die Kritik bundesweit zu formulieren“, sagt Liz Winter vom Bündnis der taz.

Es geht dem Bündnis nicht nur darum, die Arbeitsweise der Behörden anzuprangern. „Wir kritisieren in einem größeren Rahmen das ganze System, das dahintersteht – dass überhaupt eine Unterteilung stattfindet zwischen Menschen, die zur Ausländerbehörde gehen müssen und davon abhängig sind, und den anderen, die nicht dorthin müssen.“ Winter glaubt nicht an eine reformierbare Ausländerbehörde, die irgendwann fair und gerecht funktionieren könnte.

Nicht ohne Grund trägt das Bündnis die Forderung „Abolish“, also „Abschaffen“ im Namen. „Klar kann man nicht von heute auf morgen die Ausländerbehörden abschaffen, weil ja momentan ganz viel dranhängt für Menschen. Es ist eine langfristige Forderung und setzt gesellschaftlichen Wandel voraus“, sagt Winter.

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