Lampedusa-Flüchtlinge im Abseits: „Wir interessieren nicht mehr“
Seit drei Jahren kämpft die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“: Sie fordert ein Bleiberecht aus humanitären Gründen für alle ihre Mitglieder – ohne Erfolg.
Einmal berichtet, dann vergessen: Immer wieder bleiben im journalistischen Alltag Themen auf der Strecke. Die taz.nord möchte mit der Serie „Der zweite Blick“ dranbleiben an Themen, die wir für wichtig halten: Missstände, die wir kritisiert haben, Reformideen und Menschen, die losgezogen sind, die Welt zu verändern.
„Ist Freiheit nur etwas, was den Europäern zusteht?“, ruft er. „Warum müssen wir uns um die Freiheit erst bewerben?“ Den Notizzettel, den er anfangs noch in den Händen hielt, hat der 30-Jährige längst beiseite gelegt. Es ist Samstagnachmittag, etwa 150 Menschen haben sich am Steindamm versammelt, gleich gegenüber dem Hamburger Hauptbahnhof. Die Geflüchtetengruppe hat zum Protest aufgerufen, denn ihr „Lampedusa-Info-Tent“ soll weg: Der Hamburger Senat habe angeordnet, das Zelt an einen anderen Ort zu verlegen, heißt es in dem Aufruf. Zwei Wochen zuvor habe man eine Nachricht von der Versammlungsbehörde erhalten, erklärt Odugbesan. „Wir sollten den Platz bis zum 6. Juni räumen, angeblich wegen Bauarbeiten. Das Zelt sollte an einen anderen Platz in der Innenstadt verlegt werden.“ Allerdings: Drei solcher Anordnungen habe die Gruppe in den letzten Monaten schon bekommen. „Reine Schikane, der Senat spielt mit uns, will uns mürbe machen.“ Odugbesan hebt mahnend den Zeigefinger. „Nicht mit uns“, sagt er. „Wir haben genug von diesen Spielen.“
„Vor zwei Tagen kam eine neue Nachricht, die Bauarbeiten wurden verschoben. Das Info-Zelt darf bis Oktober stehen bleiben“, bestätigt Beate Gleiser, eine der Unterstützerinnen, die gerade Flyer an Passanten verteilt. „Die Männer sind müde, haben kaum noch Energie. Die Situation ist zermürbend, jetzt kommt die Angst um den Standort am Steindamm dazu.“
Die Polizei weiß auf Nachfrage nichts von einer eventuellen Räumung: „Die Versammlungsbehörde hat eine solche Anordnung nicht getroffen“, sagt Polizeisprecherin Karina Sadowsky. Das kleine Camp der Flüchtlinge habe weiterhin den Status einer Dauerversammlung in Form einer Mahnwache. Wie lange die Flüchtlinge damit an diesem Ort bleiben können, das sei aber nicht absehbar.
Seit Mai 2013 steht das „Info-Tent“ nun schon. Die CDU-Fraktion im Bezirk Hamburg-Mitte, in dem der Steindamm liegt, fordert inzwischen öffentlich die Räumung, ebenso Wolfgang Schüler, der im Auftrag örtlicher Gewerbetreibender als „Quartiersmanager“ firmiert. Für Odugbesan aber käme jede Verlegung einer Niederlage gleich, sagt er: Immer noch sei das Zelt die Hauptinformationsstelle der Gruppe, der zentrale Treffpunkt für die Vernetzung, und ja, ein paar Männer nutzten es in der Nacht auch als Schlafplatz. „Das Zelt ist auch ein Symbol für das Leid aller Flüchtlinge weltweit“, sagt er. „Wir brauchen einen zentralen Platz, um daran zu erinnern.“
Drei Jahre sind vergangen, seit sich rund 300 Männer aus dem subsaharischen Afrika zum Kollektiv „Lampedusa in Hamburg“ zusammengeschlossen haben. Mit der Errichtung des schlichten weißen Zeltes in der Hamburger City begann ein langer Kampf gegen die Mühlen der deutschen und der europäischen Bürokratie. Die Gruppe fordert ein kollektives „right to stay“, ein Bleiberecht für die ganze Gruppe. Der Hamburger Senat sah sich dafür als nicht zuständig, verwies auf die Dublin-Verordnung: Weil die Männer auf der italienischen Insel Lampedusa erstmals EU-Boden betraten, wäre Italien auch zuständig für die Asylverfahren. Ein Aufenthaltsrecht für die ganze Gruppe – nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes denkbar – lehnten die Hamburger Behörden stets ab.
Eine unter anderem der Gruppe gewidmete und in massive Ausschreitungen mündende Demonstration mit knapp 20.000 Teilnehmern im Dezember 2013, massive Kritik von Opposition und Menschenrechtsorganisationen: Nichts konnte die Politik umstimmen. Und heute? In Abimbola Odugbesans Gesicht zeigen sich Müdigkeit und Anstrengung. „Unsere Forderung ist immer noch die gleiche, eine Gruppenlösung nach Paragraf 23“, sagt er. „Aber die Politik beachtet uns nicht. Die einzige Behörde, mit der wir regelmäßig in Kontakt stehen, ist die Polizei.“ Der Großteil der 300 Männer von damals lebe noch in Hamburg, wie viele genau, könne er aber nicht sagen. „Wir haben nicht mit allen Kontakt, einige haben sich aus den politischen Aktionen herausgezogen.“ Dafür habe er Verständnis, sagt Odugbesan. „Es gibt keine Spaltung der Gruppe, jeder versucht eben, irgendwie zurechtzukommen.“ Ein Großteil der Männer lebt heute bei Unterstützern, ist auf Spenden angewiesen – oder arbeitet schwarz. Andere haben Praktika gemacht und dürfen heute ganz legal arbeiten.
Hamburgs Ausländerbehörde gibt an, dass aktuell 74 Männer als „Lampedusa-Flüchtlinge“ gemeldet seien: Sie hätten eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, über die aber in jedem Einzelfall das Bundesamt für Migration (BAMF) zu entscheiden hat. 19 Anträge dieser wurden bislang abgelehnt, gerade mal ein Antragsteller hat eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. In 46 Fällen steht die Stellungnahme des BAMF noch aus. Das alles hat die CDU im Februar bei Hamburgs rot-grünem Senat erfragt. „Bis das Verfahren beendet ist, dürfen sich die Betroffenen in Hamburg aufhalten“, sagt Norbert Smekal, Sprecher der Innenbehörde.
„Irgendwie zieht sich der Protest durch mein Leben“, sagt Odugbesan, „ich habe zuhause gekämpft und hier kämpfe ich schon wieder gegen Machtstrukturen.“ Der 30-Jährige hat in Nigeria Soziologie und Englisch unterrichtet. Als er dort gegen soziale Missstände und die Diskriminierung von Frauen protestierte, wurde er bedroht. Einziger Ausweg: Flucht. Zuerst nach Libyen, später nach Italien, 2013 kam er in Hamburg an. Er verstehe sich als eine Art Gewerkschafter, der für die Interessen von Flüchtlingen eintrete. Den politischen Kampf weiterzuführen sei „seine Pflicht“.
Am Infozelt spricht gerade jemand über die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents, über Rassismus und Kolonialismus. Der 25-jährige Sami zieht die Schultern hoch und hält die verschränkten Arme dicht an den Körper gepresst. „Kolonialismus ist der Grund, dass so viele Afrikaner heute ihr Land verlassen wollen“, sagt er. „Aber eigentlich geht es hier nicht um Herkunft und Staaten. Wir wollen für alle Flüchtlinge sprechen.“ Als im Herbst vergangenen Jahres hunderte Flüchtlinge täglich am Hauptbahnhof ankamen, mit Sack und Pack auf der Straße standen, sei das kleine Zelt am Steindamm eine Anlaufstelle gewesen, berichtet Sami. „Wir habe den Leuten gesagt, wo sie Hilfe bekommen, Essen und eine Unterkunft finden können. Und was wir an Verpflegung da hatten, haben wir geteilt.“ Auch darum müsse das Zelt bleiben: „Wir arbeiten quasi ehrenamtlich für die Stadt.“
Wenn Sami über seine Situation spricht, schwingt Ungeduld mit. Er hat keine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Ihm sei Warnung gewesen, sagt Sami, was mit seinem Freund Kofi passiert sei: Der Ghanaer wurde in sein Heimatland abgeschoben, trotz Protesten und obwohl er als wichtiger Zeuge in den Ermittlungen rund um den abgebrannten „Golden Pudel Club“ am Hafenrand galt. „Ich vertraue den Behörden nicht, ich vertraue der Politik nicht“, sagt Sami. „Wenn eine Wahl ansteht, wollen Politiker ein Foto mit uns machen, danach sehen wir sie nie wieder. Wir interessieren die gar nicht mehr.“ Im rot-grünen Koalitionsvertrag etwa wird die Lampedusa-Gruppe mit keinem Wort erwähnt – obwohl die Grünen den Flüchtlingen „eine politische Lösung, die ihnen Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis in Hamburg gibt“ versprochen hatten. Aber da war ja auch noch Wahlkampf, heute ist der Protest der Gruppe angesichts der neuen Fragen um Flüchtlingsunterbringungen zum Randthema geworden.
Ein Zugeständnis, das die Grünen dem großen Koalitionspartner abringen konnten: Die Flüchtlinge können sich zur Einzelfallprüfung melden, die Härtefallkommission oder den Petitionsausschuss der Bürgerschaft um Hilfe bitten und während des Verfahrens mit einer Duldung hier leben. Sami verschränkt die Arme noch etwas fester vor der Brust, und schüttelt den Kopf. „Eine Duldung“, sagt er, „ist noch keine Zukunft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin