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Lafontaine hat Schröder degradiert

Unter Oskar Lafontaine ist die SPD als linke Volkspartei wiederauferstanden. Im Steuerstreit präsentiert sie sich geschlossen wie schon lange nicht mehr. Dahinter verblaßt Schröders Profil  ■ Aus Bonn Markus Franz

Während die Spekulationen über den künftigen Kanzlerkandidaten der SPD munter ins Kraut schießen, schafft Parteichef Oskar Lafontaine emsig Fakten. Die Verhandlungen über die Steuerreform sind dabei für den saarländischen Ministerpräsidenten von zweifacher Bedeutung: Nicht nur, daß er seine Partei gegenüber der Koalition profiliert, gleichzeitig führt er sie auf einen Kurs, den sein größter Rivale um die Kanzlerkandidatur, Gerhard Schröder, ohne Verlust seiner Glaubwürdigkeit kaum steuern könnte. Ein einflußreicher Genosse meint: „Ein Kanzlerkandidat kann zwar ein bißchen von der Linie seiner Partei abweichen, aber nicht viel. Schröder aber müßte in wichtigen Fragen einlenken.“

Noch vor wenigen Monaten schlug Lafontaine viel Kritik aus den eigenen Reihen entgegen. Zum Einjährigen als Parteivorsitzender fragte sich mancher, ob sich der Führungswechsel gelohnt habe. Zwar räumte jeder ein, daß er aus der zerstrittenen Partei wieder eine Einheit gemacht habe, nur fragte man sich wofür? Inhaltliche Positionen waren kaum auszumachen. Doch nun scheint sich zu bewahrheiten, was ein Vertrauter Lafontaines vor einigen Monaten gegenüber der taz sagte: Er zieht die Leitplanken ein, um den Straßenbelag kümmert er sich später. Nun ließe sich sogar hinzufügen: Er belegt die Straße so, daß niemand anderes als er auf ihr fahren kann. Vor allem nicht Gerhard Schröder.

Bei der Steuerreform hat Lafontaine unmißverständlich das Ruder an sich gerissen. Von Scharping bis Schröder hecheln alle SPD-Größen hinter den Vorgaben Lafontaines hinterher. Während noch ein Papier des finanzpolitischen Sprechers Joachim Poß vom November 1996 aktuell schien, in dem die gleichmäßige Besteuerung aller Einkunftsarten gefordert wurde, also auch der Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, legte sich Lafontaine fest: Das wird es mit der SPD nicht geben. Seitdem ist von keinem Genossen Gegenteiliges zu hören. Einen weiteren Coup landete Lafontaine wenig später: Nachdem sich etliche SPD- Politiker schon für eine Senkung des Spitzensteuersatzes auf 40 Prozent ausgesprochen hatten, forderte Lafontaine, es solle beim Spitzensteuersatz von 53 Prozent bleiben. Damit hat der SPD-Chef seine Partei nicht nur gegenüber der CDU als Partei der sozialen Gerechtigkeit profiliert, sondern zugleich links von Gerhard Schröder positioniert. Denn der niedersächsische Industriefreund möchte im Gegensatz zum Herrn der Subventionen aus dem Saarland den Spitzensteuersatz deutlich senken.

Auch beim Thema Lohnnebenkosten hat Lafontaine sowohl die Koalition als auch Schröder mit einer Klappe geschlagen. Seine Forderung, die Lohnnebenkosten zum 1. Juli dieses Jahres um zwei Prozentpunkte zu senken, quittierte CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble jüngst mit der Bemerkung, eigentlich sei man sich in dieser Frage ja bereits einig. Selbst mit dem Lafontaine-Vorschlag, die Einnahmeausfälle durch eine Erhöhung der Energiesteuern zu finanzieren, kann sich die Union anfreunden. Nicht so Schröder, der sich wie jüngst im Stern-Streitgespräch mit Joschka Fischer vehement gegen eine Ökosteuer ausspricht.

Schon seit dem Jugendparteitag der SPD im November 1996 führt Lafontaine den Tanker SPD in Gefilde, in denen ein Kapitän Schröder kaum unfallfrei manövrieren könnte. So setzte Lafontaine in der SPD gegen den Widerstand von Schröder die von den Jusos geforderte Ausbildungsplatzabgabe durch. Angeblich sogar wider bessere Überzeugung, wie innerhalb der SPD gemunkelt wird. Lafontaine habe damit in erster Linie das Ziel verfolgt, der Jugend in der Partei entgegenzukommen. Ein Kanzlerkandidat Schröder jedenfalls hätte Schwierigkeiten, diesen Beschluß glaubwürdig mitzutragen.

Geradezu als ein Wink mit dem Zaunpfahl wirkte eine Bemerkung Lafontaines am Vortag des Jugendparteitags. Der SPD-Chef wurde gefragt, ob er sich im Kabinett Lafontaine die jetzige Juso- Vorsitzende Andrea Nahles als Jugendministerin vorstellen könne. Lafontaine antwortete, grundsätzlich wolle er über die Kandidatenfrage nichts sagen, weil sich die SPD auf inhaltliche Positionen beschränken wolle. Aber, fuhr er überraschend fort: Wesentliches Ziel der SPD-Politik sei nun mal die internationale Harmonisierung von Steuern und Abgaben. Und der Kanzlerkandidat der SPD müsse selbstverständlich dahinterstehen. Andrea Nahles empfand diese Aussage als spektakulär und fast schon als Vorentscheidung über die Frage der Kanzlerkandidatur. Denn niemand anderes als Lafontaine selbst hat dieses Thema aufgebracht und gegen den Widerstand seiner Partei durchgesetzt. Während Lafontaine sein Profil auf diese Weise schärft, stumpft das von Schröder auf bundespolitischer Ebene immer mehr ab. Dort hat der niedersächsische Ministerpräsident kaum noch etwas zu melden. Ausgerechnet beim beherrschenden Thema der letzten Monate hat Lafontaine Schröder zum Statisten degradiert. Der wirtschaftspolitischer Sprecher nimmt nicht an den Verhandlungen mit der Koalition über die Steuerreform teil. Schröder muß die Meriten Lafontaine überlassen, und die läppern sich zusammen – obgleich die meisten Medien dem SPD-Chef immer noch vorwerfen, reine Blockadepolitik zu betreiben. So hat die Union eingelenkt, die Steuerreform teilweise schon auf 1998 vorzuziehen, erklärt sich zur Senkung der Lohnnebenkosten bereit, greift Vorschläge der Lafontaine- geführten SPD auf wie etwa mehr Teilzeitarbeit und beabsichtigt sogar in klassischer SPD-Manier ein Milliarden-Programm zur Belebung der Baukonjunktur.

Schröder befindet sich in dem Dilemma, einerseits nicht gegen Lafontaine opponieren zu dürfen und andererseits gegenüber dem Kontrahenten stärker auftreten zu müssen. Wohin innerparteiliche Profilierungssucht führen kann, hat sich schließlich unter dem Vorsitz von Rudolf Scharping gezeigt, als die SPD zerstritten und fast handlungsunfähig war. Die Partei würde es Schröder nicht durchgehen lassen, ein zweites Mal an der Demontage des Parteivorsitzenden mitzuwirken. Und so bleibt Schröder nichts anderes übrig, als seine Standpunkte lediglich anzudeuten und damit seine Konturen zu verlieren. Beim Thema Spitzensteuersatz klingt das so: „Ob man's bei 53 Prozent läßt oder runter geht, muß man sehen.“ Auf seine Bedenken zum Euro angesprochen, an dem Lafontaine zum vereinbarten Termin festhält, geht er in die Defensive. „Ich werde doch wohl noch Fragen stellen dürfen.“ Schröder glaubt, daß Lafontaine es noch einmal als Kanzlerkandidat wissen will. Darauf angesprochen, sagt er: „Ja, davon gehe ich aus.“ Schröder setzt auf seine Popularität. Schließlich, so sagt er, „werde ich nicht von der Partei gekürt, sondern von den Menschen draußen“. Tatsächlich sprechen die Meinungsumfragen für ihn. Doch die müssen nicht ausschlaggebend sein. Denn Lafontaine muß 1998 nicht gegen Schröder, sondern gegen Kohl antreten. Und gegenüber dem Rheinland-Pfälzer holt der Saarländer mächtig auf.

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