Länderranking zur rechten Gewalt: Brandenburg ganz vorn
In Brandenburg ist die Gefahr am größten, Opfer eines Neonazi-Übergriffs zu werden. Das geht aus den Zahlen des Bundesinnenministeriums hervor.
Schon bei der Vorstellung der Landesstatistik im Frühjahr räumte das Potsdamer Innenministerium eine bedenkliche Zunahme rassistischer und fremdenfeindlicher Angriffe ein – allein acht ereigneten sich in der kleinen Universitätsstadt Cottbus. Jetzt steht fest: Brandenburg hat im vergangenen Jahr eine alarmierende Spitzenposition übernommen: Nirgendwo in Deutschland war das Risiko größer, Opfer einer rechtsextremen Gewalttat zu werden. Das geht aus einer aktuellen Berechnung des Bundesinnenministeriums hervor, die der taz vorliegt.
In Brandenburg ereigneten sich 2014 demnach 2,98 rechte Übergriffe pro 100.000 Einwohner – mehr als in allen anderen Bundesländern. Auf Platz zwei des Negativ-Rankings liegt Berlin mit 2,81 rechtsextremen Attacken pro 100.000 Einwohner, dicht gefolgt von Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.
Erstmals landete 2014 auch Nordrhein-Westfalen in dem Ländervergleich bedenklich weit vorne – sogar noch vor Sachsen-Anhalt und Sachsen. Angesichts der enormen Gewaltbereitschaft der neonazistischen Szene beispielsweise in Dortmund bestätigt dieses Ergebnis eine Entwicklung, vor der Fachleute seit längerem gewarnt haben.
Vergleichszahlen auf Nachfrage
Der Ländervergleich ist für einige Regionen heikel – schließlich droht ihnen ein Imageproblem. Sachsen-Anhalt beispielsweise stand bisher regelmäßig am schlechten Ende der Statistik. Einige Landesregierungen dürften also erleichtert gewesen sein, dass das aufschlussreiche Ranking unter Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen aus dem jährlichen Verfassungsschutzbericht verschwunden war.
Opferberaterin Antje Arndt
Erst auf Nachfrage der Linksfraktion im Bundestag reichte das Bundesinnenministerium nun die Vergleichszahlen für 2013 und 2014 nach.
Die Innenexpertin der Linksfraktion, Martina Renner, wirft dem Bundesamt für Verfassungsschutz vor, es sei „wieder einmal seiner Aufgabe nicht nachgekommen“, die Politik und die Öffentlichkeit über „das reale Ausmaß der Gefahr durch gewalttätige Neonazis zu informieren“.
Das Bundesinnenministerium hingegen begründet den Wegfall des Vergleichs aus dem Verfassungsschutzbericht lapidar mit der „Notwendigkeit, den Umfang der Publikation zu begrenzen“. Zudem habe man 2014 das Format „verschlankt“ und mehr auf „journalistische Bedürfnisse“ zugeschnitten. Dieses Format habe „nur durch den Verzicht auf verschiedene Angaben“ realisiert werden können, „die in früheren Berichten noch enthalten waren“, argumentiert das Bundesinnenministerium. Eine kuriose Begründung, schließlich zogen gerade Journalisten den Ländervergleich gerne als Anhaltspunkt für die regionale Gewichtung des Problems heran.
Grenzen der Statistik
Die Linksfraktion fordert nun, die Statistik müsse künftig wieder in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen werden. Auch wenn sie „nur einen Ausschnitt der Realität“ widerspiegele, enthalte die Übersicht doch „extrem wichtige Indikatoren“ – etwa wo sich gefährliche Neonaziszenen entwickeln und ob die Gegenmaßnahmen funktionieren oder nicht.
Allerdings birgt die Statistik auch Schwächen. Die Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt kann sich beispielsweise über die angebliche Verbesserung der Lage in ihrer Region nicht freuen: „Die offiziellen Zahlen geben nicht wieder, was 2014 in Sachsen-Anhalt tatsächlich alles passiert ist“, kritisiert die Opferberaterin Antje Arndt.
Während die Opferberatungsstelle insgesamt 77 bei der Polizei angezeigte rechtsextreme Gewalttaten registrierte, kam das Innenministerium überraschend nur auf 47 Fälle. Statt einer geschrumpften Gefahr sieht die Opferberatung deshalb eher ein gewachsenes „Wahrnehmungsdefizit“ bei den Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt.
Am geringsten war die Gefahr, Opfer rechter Gewalt zu werden, der Statistik nach im Saarland und in Baden-Württemberg. Im Saarland registrierten die Sicherheitsbehörden demnach 2014 nur 0,2 rechtsextreme Gewalttaten pro 100.000 Einwohner, in Baden-Württemberg waren es 0,22.
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