Lachs-Industrie in Island: Leiden in den isländischen Fjorden
Tierschützer beklagen Massentierhaltung und Fischsterben durch Parasitenbefall in der Lachszucht. Ein Gesetz dazu ist bislang gescheitert.
Die zuständige Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei hält sich bedeckt: „Angesichts des polarisierten Charakters der Debatte prüfen wir Zeitpunkt und Umfang der künftigen Gesetzgebung sorgfältig“, teilte Bjarkey Olsen Gunnarsdóttir (Links-grüne Bewegung) der taz schriftlich mit.
Kurz vor der Sommerpause hatte sie einräumen müssen, dass sie für den Gesetzentwurf des Ministeriums keine Mehrheit finden konnte. Ob ein neuer Entwurf noch vor der Parlamentswahl in einem Jahr präsentiert werde, hänge „vom Fortgang der Diskussion und dem Grad der Unterstützung durch die Öffentlichkeit und die Lachsindustrie“ ab.
Mit dem Gesetz sollte beispielsweise festgelegt werden, dass pro Fjord nur ein Unternehmen aktiv sein kann. Sanktionsmöglichkeiten wie Strafzahlungen und der Entzug von Lizenzen waren vorgesehen. Finanzielle Anreize sollten den Einsatz modernster Methoden und Gerätschaften belohnen, um die negativen Folgen der intensiven Lachszucht abzumildern.
Die Betreiber sollten außerdem künftig eine Abgabe für die Nutzung von Islands natürlichen Ressourcen zahlen. Und es sollte mehr Geld in die Forschung dafür fließen, wie Umwelt und Tiere am besten geschont werden könnten. Warum reichte das der Protestbewegung nicht?
Jón Kaldal von der Organisation Icelandic Wildlife Fund (IWF) meint, außer strengerer Regulierung und Überwachung habe der Entwurf nichts zu bieten gehabt. „Wir haben aus Norwegen und anderen Ländern gesehen, dass das nichts nützt“, sagte Kaldal der taz im Video-Interview.
Um eine wirkliche Verbesserung zu erreichen, müssten viel größere Schritte unternommen werden. Er fordert ein Gesetz, das die Lachszucht in den isländischen Fjorden nach und nach zurückfährt und schließlich abschafft. Wenn die Menschen weiter Lachs züchten wollten, dann nur noch in Anlagen an Land.
1,7 Millionen Fische starben im Oktober und November wegen des Lausbefalls
Mehr als 65 Prozent der Menschen in Island sind gegen die Lachsfarmen im Meer, wie eine Umfrage im IWF-Auftrag Anfang August erneut zeigte. Kaldal sieht sich bestätigt: Die Bevölkerung habe sich von einer Hochglanzkampagne der Lachslobby im Frühjahr nicht blenden lassen.
Stattdessen wurde ein Bild von Aktivistin Veiga Grétarsdóttir zum Symbol. Darauf zu sehen ist ein noch lebendiger Zuchtlachs, dessen Kopf bis zur Unkenntlichkeit zerfressen ist von dem Parasiten Lachslaus. Popikone Björk illustrierte damit im vergangenen Herbst auf Instagram die Forderung der Protestbewegung: „Schluss mit der Massentierhaltung im Fjord!“ Kurz danach, wie zur Bestätigung, kam es zu einem Mega-Lausbefall und einer „absurd hohen Sterblichkeit“ bei Zuchtlachsen, wie Kaldal sagt. „Das war niederschmetternd“.
Karl Steinar Óskarsson von der isländischen Lebensmittel- und Veterinärbehörde MAST bestätigt, dass es 2023 ein riesiges Problem gab: Insgesamt 1,7 Millionen Fische starben im Oktober und November wegen des Lausbefalls oder mussten deswegen getötet werden. Óskarsson leitet die Abteilung Aquakulturen der Behörde, er hätte das neue Gesetz gerne gehabt. So muss er weiter auf Grundlage des bisherigen von 2019 arbeiten, was unter anderem bedeutet, dass er keine Bußgelder verhängen kann.
Trotzdem zeigt er sich der taz gegenüber zufrieden. „Die Situation ist seit dem letzten Jahr viel besser geworden“, sagt er. Es sei ja auch im Interesse der Unternehmen, dass es so einen starken Lachslausbefall nicht wieder gebe. Sie seien deshalb seiner Aufforderung zu wöchentlichen Lagebesprechungen unter Anwesenheit eines unabhängigen Tierarztes gefolgt.
Lebensmittelbehörde berichtet von Verbesserungen
Ziel sei, dass rechnerisch nicht mehr als 0,5 weibliche Parasiten pro Fisch vorkämen. 2023 wurden bei Stichproben in den Käfigen des Unternehmens Arctic Fisk, das zum Branchenriesen Mowi gehört, durchschnittlich 96 Lachsläuse pro Tier gezählt, wie damals das Magazin Heimildin berichtete.
Die Zielvorgabe von 0,5 sei mit mechanischen Methoden – Warmwasserbäder, Laserbehandlung – prophylaktisch erreichbar, so Óskarsson. Das Equipment dafür hätten die Unternehmen 2023 in Island nicht zur Verfügung gehabt, da man offenbar mit dem Problem nicht gerechnet habe.
Seine Behörde habe dieses Jahr erst einmal medizinisch gegen Parasitenbefall eingreifen müssen, statt wie im Vorjahr mehr als 20-mal. Im Übrigen, so Óskarsson, sei die Sterblichkeit in den Beständen generell zurückgegangen. Beim Aussetzen der in Süßwasser gezogenen Jungfische in die Meeresnetze verende häufig ein gewisser Anteil – auch da habe seine Behörde Verbesserungen verlangt und bereits gesehen.
Lachszucht hat sich in den letzen zehn Jahren verzehnfacht
Was der Mann von der Behörde als Erfolge zählt, beeindruckt die Gegner der Lachsindustrie kaum – zumal die Warmwasser-Behandlung der Kaltwasserfische in der Kritik steht. Eine Tierhaltung, die solche Maßnahmen überhaupt nötig macht, ist ihr Problem. Neben den Tieren in den Netzen gilt die Sorge vor allem den heimischen Ökosystemen.
Die Lachszucht ausschließlich an Land wäre hingegen kostenspielig. Ministerin Gunnarsdótti aber schreibt, das sei „einer Überprüfung wert, während wir weiterhin die Umwelteinflüsse durch meeresbasierte Unternehmen untersuchen“. Zudem expandiere die Lachszucht an Land in Island aktuell bereits stark.
Die Branche ist sehr schnell sehr stark gewachsen – 2014 kamen erst 4.000 Tonnen Zuchtlachs aus Islands Fjorden, im Jahr 2022 waren es 45.000 Tonnen. Gunnarsdótti betont vor dem Hintergrund, wie wichtig die Lachsindustrie inzwischen für die Wirtschaft der ansonsten strukturschwachen Westfjorde sei.
Koldal lässt das Argument nicht durchgehen: Auch wenn es um Jobs geht, müsse man auf Nachhaltigkeit achten. Die Ministerin will ebenfalls beides – aber mit Zuchtlachs im Fjord: „Es ist wichtig, ein Gleichgewicht zwischen der Unterstützung dieser Industrie und der Berücksichtigung von Umweltbelangen zu schaffen.“ Wie das konkret erreicht werden soll, bleibt unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“