LSBTI*-Wissenschaftskongress in Berlin: Kleine Siege, große Klagen
Drei Tage lang wurde zu alle Themen des queeren Lebens diskutiert – Gesellschaft, Kultur, Theorie. Was fehlte? Der tonangebende Mainstream.
So luxuriös pflegen die Akteure dieses gesellschaftlichen Feldes sonst nicht zu konferieren: Im dbb forum in Berlin, in Wurfweite zum Boulevard Unter den Linden, gegenüber des nicht minder antiprovinziellen Mode- und Lebensmittelhauses Galeries Lafayette, tagten mit Hilfe von sehr viel unterstützendem Geld des Bundesbildungs- und Forschungsministeriums 150 Menschen – Zuhörende, Referierende – zu „Gleich-Geschlechtlichen Erfahrungswelten“.
Eingeladen hatte die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, von der in diesen Tagen eben noch geschäftsführenden Bundesregierung gegründet.
Vielleicht war es diese großzügige Architektur, die zu einem absolut freundlichen Klima der Tagung beitrug. Noch vor zehn Jahren, als es einen vergleichbaren Kongress (unter dem Titel „Sexuelle Demokratie“) in Saarbrücken gab – keiner mit Bundesgeldern, Träger war die Landeszentrale für politische Bildung –, ging es atmosphärisch unter den Teilnehmenden rauer zu.
In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit getragen wurden damals die Anliegen von Trans*, von migrantischen Schwulen und Lesben, von queer politics – die alle Abschied von dem forderten, was öffentlich als Schwulen- und Lesbenbewegung verhandelt wurde. Man war sich damals einig, dass es um mehr gehen müsse als um die Interessen von Homosexuellen.
In diesen zehn Jahren muss offenbar viel gearbeitet worden sein. Auf diesem Kongress in Berlin waren Trans* und Inter in jeder Hinsicht mit Macht vertreten. Wer nicht kundig war – jene, die sich nicht wissenschaftlich oder politisch, Tag für Tag mit dem Thema SchwulLesbischTrans*Inter beschäftigen (wollen) –, konnte viel erfahren. Etwa über die Sorgen von Trans*Menschen, über Intersexuelle, an denen früher oft und mit der Geburt durch chirurgische Eingriffe am Genitalen Verstümmelungen im Namen biogeschlechtlicher Eindeutigkeit verübt wurden.
Über die theoretischen Perspektiven von Queerem überhaupt, das darauf beharrt, den klassischen Glutkern der biopolitischen Macht, das Mann-Frau-Schema, durch den Nachweis ihrer Unzulänglichkeit zu erschüttern. Denn: Ist die Welt des Sexuellen und Genderhaften nicht wirklich in übel vergröbender Absicht viel zu stark in heteronormative Blick- und Denkweisen unterteilt?
Die Akronym-Falle
Das Problem dabei war nur, dass die Welt außerhalb dieser Szene sich kaum für diese Fragen interessiert, beziehungsweise allenfalls am Rande. Die Formel der Tagung, die dem verstehbaren Wort „Wissenschaftskongress“ vorgestellt war, LSBTI*, mag für diese gewisse Distanz zum Thematischen stehen: Johanna Wanka, Nochwissenschaftsministerin des Bundes, ließ ihr Grußwort durch eine überaus freundliche Mitarbeiterin ihres Amtes vorlesen.
Man hörte den Worten zu, war angenehm erstaunt über die starke Sympathie, die diese oberste Behörde für sexualpolitische Anliegen hegt, etwa als sie vom „demokratischen Gemeinwesen“ sprach, das „Diversität“ schätze: Aber die absolut charmante Vorleserin, Beamtin in höchsten Diensten, sagte konsequent und lautbildend schwierig genug „Lesp-Ti“ – doch sie kannte das Akronym offenbar nicht und wusste es nicht auszusprechen. Natürlich nahm das niemand krumm, weshalb auch – aber allein diese Geste hätte einen inneren Aufmuckser bei den Zuhörenden zur Folge haben können:
Kann man mit einer Chiffre, die außerhalb des eigenen Wirkkreises niemand unfallfrei aussprechen kann, eigentlich Claims in den Wissenschaftslandschaften oder in der Politik erobern? Ist „LSBTI*“ wirklich die günstigste Formel, um die Bastionen des Heteronormativen zu schleifen?
Immerhin, ein kleiner Sieg im Sinne dieser biogeschlechtlichen Suspendierung wurde unmittelbar errungen: Die Toiletten des Hauses, als Ort der nominellen Scheineindeutigkeit („Herren“, „Damen“) gegeißelt, wurden mit filzschreibermarkierten Zetteln neu codiert: „Toilette mit Pissoir“ und „Toilette ohne Pissoir“ – die neue Unterscheidung war also nur noch die zwischen solchen, die stehend Erleichterung sich verschaffen können, und jenen, die dies ohne akrobatisches Talent nicht vermögen.
Nicht mainstreaming
Ambivalent – früher hätte man misslich gesagt: zwitterhaft – blieb die dreitägige Veranstaltung dennoch. Womöglich notgedrungen. Einerseits konnte der Kongress nicht recht die akademischen Ansprüche erfüllen. Was schon daran liegen könnte, dass es einerseits kaum Verankerung von sexualpolitischen Fragestellungen im akademischen Bereich gibt, andererseits aber der Mainstream des Universitären auch bequem in Ruhe gelassen wird, weil, dies auch ein Indiz von dieser Konferenz, der Mainstream nicht so recht in den Blick genommen wird.
Vermisst wurden beispielsweise (ressourcenverteilende) Referierende und Debattierende, die aus den Edelinstitutionen der Hochschulen kommen: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Helmholtz-Gesellschaft, Fraunhofer-Institut, Max-Planck-Institut und so weiter. Oder Spitzenkader der politischen, aus sich selbst heraus multiplikatorisch arbeitenden Stiftungen der Parteien?
Hätte man diese nicht, freundlich formuliert, anregen können, sich diesen Themen zu widmen – denn: Wäre Förderung von Wissensfeldern zu Sexuellem nicht vorbildlich, gerade im Sinne der Tradition von Magnus Hirschfeld, dem Namensgeber der Bundesstiftung und bis 1933 wichtigsten Promotors von queerer Wissenschaft in Deutschland?
Andererseits musste eine solche Konferenz auch der Selbstverständigung dienen, musste den Anliegen von Intersexuellen und Trans* Raum geben, um über sich selbst hinaus Aufmerksamkeit zu organisieren: Wo sonst könnten sie es tun?
Trotzdem blieb das Rätsel, weshalb noch der interessantesten, wahlweise wahrgenommen: abwegigsten Idee Raum gegeben wurde, jedoch nicht Menschen, die in bürgerrechtlichen Verbänden, aus den USA, aus Deutschland, aus Skandinavien, durchaus anspruchsvoll arbeiten und gewiss wüssten, wie sich auf ihre Länder die Gesetzgebungen (und die Kämpfe um sie) zu Homo-Ehen auswirkte?
Auch auf die schwulen und lesbischen Betroffenen selbst – sind sie zufriedener geworden, fühlen sie sich stärker „gesehen“, „mitgenommen“, „abgeholt“ – also integriert? Der Mainstream der queeren Szene, so gesehen, blieb außen vor: Man war an Berichten zu Erfolgen vielleicht nicht so interessiert, weil es den rhetorischen Modus von „Klagen und Fordern“ verletzt hätte.
Wobei natürlich die Kritiken überwiegend triftig formuliert wurden: dass die Forschungen zum Nationalsozialismus und zur Nachkriegszeit weitgehend zum Erliegen gekommen sind oder nicht richtig in Schwung kommen: Die „sexual otherness“ fehlt in den Standardwerken deutscher HistorikerInnen, um Fragen der antihomosexuellen Restauration nach 1945 kümmert sich global nur eine – Dagmar Herzog aus den USA.
Der blinde Fleck
Jeffrey Weeks, Emeritus der London South Bank University und als Soziologe mit der wichtigste Analyst von „sexual liberation“ seit den fünfziger Jahren, hielt eine Lecture, in der er die sogenannte Identitätspolitik nicht verdammte, sondern lobte: Ohne den Kampf von Schwulen und Lesben um Rechtsgleichheit hätte es keine Chance gegeben, dass Trans* und Intersexuelle in die Arena der gesellschaftlichen und politischen Debatte gehen können.
Ein blinder Fleck blieb ohnehin – und musste es eventuell auch, weil es sonst dann doch tüchtigen und sichtbaren Streit gegeben hätte, vor allem zwischen Sprechern der autonomen Schwulenbewegung der Siebziger und dem Rest: der, den man als „Pädo“ bezeichnet. Immerhin gehörten pädosexuelle Menschen noch in den siebziger Jahren selbstverständlich zur Wahrnehmung schwuler Selbsterkenntnis.
Verblüffend schließlich auch, dass der jüngst abgeschlossene Koalitionsvertrag von Schwarzen und Roten nicht so recht zur Erörterung kam. Streng genommen gab es noch kein Regierungsprogramm, in dem eine Koalition öffentlich erklärt, wie gut und richtig sie die Anliegen von Schwulen und Lesben, doch eben auch von Trans* und Inter findet. Man kann es lesen: So einen Koalitionsvertrag gab es noch nie.
Das hätte als Erfolg genommen werden können – auf einem Podium zu Inter hingegen war von „windelweichen“ Passagen in diesem Werk die Rede: als ob man damit keine Politik machen könnte. Und als ob man nicht auch ein bisschen zufrieden sein könnte über das Erreichte und wahrscheinlich zu Erreichende. Dass Letzteres daran geknüpft sein würde, die eigene Szene zu öffnen, sich stärker verständlich zu machen, die Haltung der „Alles ist noch schlimm und wie früher“ hinter sich zu lassen: Das scheint ganz offenkundig.
Der taz-Autor ist für die Initiative Queer Nations e. V. Mitglied im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
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