LGBTIQ bei Protesten in Belarus: Revolution und Überlebenskampf

Mit Regenbogenflagge Proteste in Belarus zu besuchen, ist riskant. LGBTIQ-Personen sind dort Gewalt ausgesetzt – und das nicht nur von Seiten der Polizei.

Zwei Personen mit Regenbogenflagge küssen sich

Ein Kuss als politischer Akt bei einem Protest in Minsk im September 2020 Foto: Stringer/epa

MINSK taz | Wenn in den belarussischen Medien über die Proteste, die seit August 2020 stattfinden, berichtet wird, kommen queeren Menschen darin kaum vor. Und wenn, dann für gewöhnlich eher negativ konnotiert und stark verzerrt dargestellt. Besonders „gut“ darin ist der propagandistische TV-Journalist Grigori Asarenok. Die schwülstigen Phrasen seiner homofeindlichen Äußerungen sind manchmal schwer verständlich, aber sie sind immer falsch. Er denkt, wenn er nur die Begriffe „LGBTIQ“ und „weiß-rot-weiße Flagge“ zusammen in einem Satz erwähnt, schafft er es die Proteste zu diffamieren.

Andrei Mukowostschik, Autor der Zeitung SB. Belarus Segodnja (Belarus heute) steht Asarenok in nichts nach: Seine Äußerungen sind weit entfernt von journalistischer Ethik, manchmal schlicht gelogen, und zielen vor allem darauf ab, bei den Le­se­r*in­nen ein Angstgefühl zu erzeugen: „Schwule sind überall. Und sie kommen von überall her – ganz Europa kommt zusammen, um die Annexion eines neuen, unberührten Territoriums zu feiern: mit Regenbogen und Latex, nackt und sadomasochistisch.“

Einen weiteren Wutanfall in den staatlichen Fernsehkanälen provozierte die Demoteilnahme vom Kind des russischen Schauspielers Michail Efremov, das trans ist und vor den Kameras eine Frau küsste.

All dem zum Trotz tauchten 2020 bei den Protestmärschen in Minsk immer wieder Regenbogenflaggen auf. LGBTIQ-Menschen sangen gemeinsam mit allen anderen, machten Scherze und tanzten. Unter den Demonstrierenden gab es einige, die sich mit LGBTIQ-Menschen solidarisierten und den Wunsch teilen, LGBTIQ endlich sichtbar zu machen. Aber unter den Demonstrierenden sind immer auch diejenigen, die zu LGBTIQ-Personen sagen: „Warum seid ihr hier? Das ist nicht euer Protest!“

Festnahmen und Missbrauch

Der bekannte LGBTIQ-Aktivist Andrei Savalej reagierte darauf, wie folgt: „LGBTIQ-Menschen und die ihnen nahestehenden in Belarus – das sind mindestens 10 Prozent der Stimmen. Möchten Sie, dass diese Stimmen gezählt werden? Dann können Sie jetzt schon mal damit anfangen, diesen 10 Prozent aller Wäh­le­r*in­nen mit dem nötigen Respekt zu begegnen. Dann werden die Sie auch in ihrem Wahlprogramm unterstützen.“

Doch es blieb nicht nur bei verbaler Kritik: LGBTIQ-Aktivist*innen wurden bei den Demos gewaltvoll festgenommen und mussten Missbrauch erfahren. Einer von ihnen ist Shenja Welko. Er ist trans, hat seine Transition vollzogen und hat dafür gekämpft, dass der Staat anerkennt, dass er männlichen Geschlechts ist.

Auf einer der Protestversammlungen wurde er festgenommen. Und musste dann durch die Hölle gehen und Spott über sein Äußeres und sein Geschlecht ertragen. Während der Festnahme lachten die Sicherheitskräfte ihn aus, beleidigten ihn, warfen ihm das Verhörprotokoll, das er sich zu unterschreiben geweigert hatte, ins Gesicht: „Solche Typen wie dich braucht das Land nicht.“ Im Untersuchungsgefängnis wurde er spöttisch verhört, gefragt, was in seiner Unterhose zu finden sei und mehrmals wurde betont, dass er besonders gründlich untersucht würde.

Während er auf seine Gerichtsverhandlung wartete, hatte Shenja suizidale Gedanken, weil er sich absolut nicht vorstellen konnte, wie er auch nur einen weiteren Tag unter solchen Bedingungen überleben könne. Glücklicherweise musste er nur 50 Euro Strafe zahlen, dann ließen sie ihn gehen.

„Wir haben nicht umsonst gelebt“

Shenja ist auch Teil eines internationale Kunstprojekts der polnischen LGBTIQ-Aktivist*innen Bart Staszewski und des Belarussen Nick Antipov. Im Dokumentarfilm „Wir haben nicht umsonst gelebt“ werden persönliche Geschichte von queeren Menschen in Belarus erzählt. Eine Chance für Shenja, und auch Olga und Sweta, endlich gehört zu werden. Endlich zu erzählen, wie es ist, als LGBTIQ-Person in Belarus zu leben und für gleiche Rechte in einem Land zu kämpfen, in dem gerade eine Revolution stattfindet. Sie sollen hier mit ihren Geschichten zu Wort kommen.

Sweta erzählt: „Am 9. August 2020 holte man mich aus dem Wahllokal, wo ich als unabhängige Wahlbeobachterin war. Die folgenden fünf Tage verbrachte ich im Gefängnis. Ich wusste nicht, was währenddessen in Minsk vor sich ging. Aber wenn wir mit 36 Menschen in einer 4-Personen-Zelle hocken, ist klar, dass auf den Straßen gerade irgendwas passiert. Und dann siehst du ein Mädchen im kurzen Kleid, das zwischen all diesen Armen und Beinen sitzt, die von zwei Ebenen herunterhängen, in diesem stickigem Raum, und sie hat eine blutende Wunde am Bein. Ich hab sie gefragt: ‚Was ist das?‘ Und sie hat geantwortet: ‚Da hat mich ein Gummigeschoss gestreift, nichts Schlimmes. Ich hab noch mal Glück gehabt.‘ Es war der komplette Wahnsinn: Aus den Gefangenentransportern wurden die Leute geholt, mit Stöcken geschlagen, Männer haben geschrien, um Gnade gebettelt. Es war die Hölle und drei Tage lang hat das nicht aufgehört. Und diese Hölle ist nicht von selbst entstanden, ist nicht aus dem Nichts gekommen. Du verstehst: Irgendwas geht da vor, irgendein wichtiger Wendepunkt ist erreicht.“

Shenja sagt: „Es gibt die Wirklichkeit, die das belarussische staatliche Fernsehen zeigt, und dann kommst du auf die Straße und Menschen, die dich eigentlich vor Kriminalität schützen sollen, bewerfen dich mit Blend- und Rauchgranaten. Und das ist die andere Wirklichkeit, die manche Menschen, die hier leben, angeblich nicht sehen. Und doch passiert das hier, dass man einfach Menschen auf der Straße umbringt.“

Sweta meint: „Ich denke, LGBTIQ-Menschen äußern in dieser Revolution einfach ihre Meinung. Ich denke nicht, dass man hier unterscheiden sollte. Ich plädiere im Grunde nicht für die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen, Gläubigen und Atheisten. Es sind alles einfach Menschen, die für das Recht kämpfen zu lieben, wen sie wollen, und einfach sie selbst sein zu dürfen. Die Rolle von LGBTIQ in dieser Revolution ist genau die gleiche wie die Rolle jedes beliebigen anderen Staatsbürgers, jeder anderen Staatsbürgerin: auf die Straße gehen und für Menschenrechte einstehen. Das ist das allerwichtigste. Und wir sind bereit, dafür zu kämpfen.“

Olja findet: „Ich kam nach Hause, habe auf Telegram geschaut und da hatte ich eine Mitteilung aus einem der Chats von den Märschen der Frauen: ‚Sag mal, fehlen da nicht irgendwie Regenbogenflaggen?‘ Und da wurde mir klar, dass viele Menschen ähnlich gedacht haben. Dann haben wir viel darüber geredet, dass auch unsere Stimmen gehört werden sollten. Wir möchten, dass die anderen Leute wissen, dass wir auf ihrer Seite sind, nicht nur am 9. August, sondern auch an allen anderen Tagen, und dass sie verstehen, dass wir alle zusammen für die gemeinsame Freiheit kämpfen.“

„Jeder Tag ist unserer“

Shenja sagt: „Als ein queerer Block auf die Demo kam, gab es sehr unterschiedliche Reaktionen. Es gab Menschen, die sind zu uns gekommen und haben uns angeschrien: 'Das ist nicht euer Protest. Ihr habt euch im Tag vertan! Das ist nicht euer Tag! Haut ab, warum entehrt ihr unseren Protest? Ich weiß noch, wie ich zurückgebrüllt habe: ‚Jeder Tag ist unserer!‘ Das war mir sehr wichtig. Die Leute hatten doch gar keine Vorstellung davon, wie viele LGBTIQ-Personen da in der Menge waren. Tatsächlich gab es aber mehr Leute, die uns akzeptiert haben, die uns mit Flaggen zugewunken haben, die uns zugerufen und uns unterstützt haben – sie waren in der Mehrheit.“

Olga ergänzt: „Aber du bekommst von allen Seiten einen drauf. Die Staatspropaganda benutzt dich, um die Protestbewegung zu diskreditieren. Friedliche Protestierende, nicht die Mehrheit von ihnen, würde es vorziehen, wenn du diese Regenbogenflagge wegtätest. Die LGBTIQ-Gemeinschaft, die sich in den Medien äußerte, sagte, es sei sowieso alles sinnlos. Aber du verstehst, dass du gar nicht mehr anders kannst als an den Protesten teilzunehmen, denn in dem Moment, indem alle für die gemeinsame, abstrakte Freiheit demonstrieren, wird niemand für deine Freiheit demonstrieren als du selbst.“

Und Sweta sagt abschließend. „Wir sind Menschen wie alle anderen. Wir haben im Gefängnis in überfüllten Zellen gesessen. Wir wurden mit Stöcken geschlagen. Wir haben überlebt, wir lagen in Krankenhäusern, und mit all diesen Blessuren verließen wir Belarus. Das betrifft nicht ausschließlich LGBTIQ, sondern alle Belaruss*innen: Es gib diejenigen, die noch Kraft haben, weil sie vielleicht weniger Stockschläge abbekommen haben und deshalb noch bleiben. Es gibt, die noch im Gefängnis sitzen. Einige sind gestorben. Deren Widerstand ist vorbei.“

Sie beschreibt ihr Leben zwischen Überlebenskampf und Revolution als einen Jonglierakt. Und sagt: „Und du jonglierst mit alldem, während du nur auf einem Bein stehst. Aber wir wollen auf beiden Beinen stehen, auf unserer Erde, und nicht jonglieren. Wir wollen unsere Liebsten und unsere Kinder umarmen. In Freiheit, zu Hause.“

Übersetzung aus dem Russischen von Gaby Coldewey

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