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LGBTI und AlltagLängst nicht so offen

Sechs Jahre ist es her, dass eine Rede der Dragqueen Panti Bliss über ihre Diskriminierungserfahrungen viral ging. Wie viel hat sich seitdem geändert?

Panti Bliss 2015 in Dublin Foto: Brian Lawless/picture alliance

Und ich kontrolliere mich“, hat Panti Bliss gesagt. Das ist sechs Jahre her. „Ich hasse mich dafür, aber ich kon­trol­liere mich.“ Vor sechs Jahren sprach die irische Dragqueen im Anschluss an eine Theatervorführung in Dublin über Homophobie. Über ein Erlebnis mit Jugendlichen an einem Zebrastreifen. Die jungen Männer werfen ihr, werfen ihm – denn da ist sie gerade als Er unterwegs – eine leere Milchpackung an den Kopf und rufen „Schwuchtel!“.

Panti Bliss spricht darüber, dass sie sich nun immer am Zebrastreifen kontrolliere, um zu entdecken, „was mein Schwulsein verraten hat“. Das Video von der Rede bekam damals in zwei Tagen 200.000 Klicks.

Damals, vor sechs Jahren, ist die Welt eine andere. In Irland wie Deutschland ist heiraten noch Heteros vorbehalten, und Maischberger talkt zum Thema „Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die ‚moralische Umerziehung‘?“. Einer der Gäste, ein Politiker namens Jens Spahn, wird dort als „bekennender Homosexueller“ angekündigt.

Und Panti Bliss spricht darüber, dass jede „vernünftige Diskussion“, ob LGBTI so viel wert sind wie alle anderen Menschen, dass jeder abfällige Spruch, jeder Milchkarton für immer bei dir bleibt. „Und das fühlt sich beklemmend an“, sagt Bliss – oppressive, man könnte auch übersetzen: unterdrückend. „Und ich kontrolliere mich, und ich hasse mich dafür. Und manchmal“, sagt sie ins Publikum, „manchmal hasse ich Sie dafür, dass sie mir das antun.“ Endet dann aber versöhnlich: „Aber nicht heute.“

Die Welt ist gar keine andere

Zum Glück ist das lange her. Sechs Jahre. Einige von uns dürfen heiraten, man spricht von „besorgten Eltern“ nur noch ironisch und von „bekennenden Homosexuellen“ gar nicht mehr. Diejenigen, die vor sechs Jahren anfingen, ihre Sexualität zu entdecken, während man im Fernsehen diskutierte, ob die Schule ihnen dafür Wissen zur Verfügung stellen darf, sind jetzt erwachsen. Die Menschen, die damals eingeschult wurden, entdecken allmählich ihre Sexualität. Dieses Mal sind wir vorbereitet, oder?

Ich wünschte, Panti Bliss’ Vortrag käme mir alt vor. Aber sechs Jahre ist nicht lang, und die Welt ist gar keine andere. Der schwule Mann gilt als angekommen, seit er heiraten darf. Aber die abfälligen Sprüche, die „vernünftigen Diskus­sio­nen“, die Milchkartons, die sind noch bei uns.

Und langsam schleicht sich diese Idee hinzu, dass wir dankbar sein sollen. Für die Ehe und dafür, dass wir nicht mehr „bekennend“ genannt werden. Und langsam schleicht sich die Idee ein, dass es mal gut ist mit dem Gejammer, denn das ist doch alles Jahre her!

So offen, wie wir heute alle sind, so offen sind wir doch seit Ewigkeiten! Und dann kommt der Gedanke auf, dass dieses schwul (dieses lesbisch, dieses queer) keine politische Kategorie mehr ist, sondern etwas, mit dem ich mich interessant mache. Denn es ist ja alles erreicht, und alles, was war, ist vergessen. Und das fühlt sich beklemmend an.

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Peter Weissenburger
Freier Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, queeres Leben, Wissenschaft.
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