LGBT in Warschau: Polens neue Opposition
Die größte LGBT-Demo entwickelt sich zum Sammelbecken für außerparlamentarische Opposition. Sie eint die Kritik an der Regierung.
Ohnehin läuft einiges schief an diesem Morgen der 16. „Parada Równości“, der Warschauer Gleichheitsparade: Zwei neue Banner, die für einen Lautsprecherwagen bestimmt waren, sind verschwunden, eine der teilnehmenden Organisationen hat Stress mit dem Ordnungsamt, weil aus ihrem Wagen Öl ausläuft – und jetzt will die Polizei auch noch die Demoroute verlegen, wegen einer möglichen Blockade. „Normalerweise bleiben die GegendemonstrantInnen an der Seite stehen“, sagt Magdalena. „Dass sie uns blockieren wollen, wäre neu.“
Magdalena ist 26 Jahre alt, Psychologiestudentin und arbeitet seit 2011 für Kampania Przeciw Homofobii, die Kampagne gegen Homophobie, abgekürzt KPH, eine der wichtigsten Lobbyorganisationen für LGBT-Rechte in Polen. In diesem Jahr organisiert Magdalena den Beitrag von KPH bei der Parada Równości, der größten LGBT-Pride-Parade Polens.
Als die Parada Równości 2001 zum ersten Mal stattfand, zogen 300 Menschen mit einer Regenbogenfahne durch die Warschauer Innenstadt, nur begleitet von einem Autoradio. Seitdem ist die Demonstration bisher in jedem Jahr gewachsen. Zuletzt gingen 2015 15.000 DemonstrantInnen für Akzeptanz und Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender auf die Straße.
Wenn in diesem Jahr die Parade erneut wachsen würde, wäre das ein Signal an die neue Regierung. „Ich wünsche mir, dass es 20.000 werden“, noch mal 5.000 mehr als vor dem Machtwechsel in Polen.
Der Druck der Konservativen
Dass die rechtskonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) seit November 2016 allein regiert, bekommen polnische LGBT-Lobbygruppen auf unangenehme Weise zu spüren. Zunächst als Präsident Andrzej Duda im vergangenen Jahr per Veto ein Gesetz zur rechtlichen Anerkennung von Transpersonen verhinderte. Es hätte ihnen erlaubt, ihr offizielles Geschlecht ohne medizinische Eingriffe zu ändern. Der Präsident begründete seine Entscheidung mit „Unstimmigkeiten“ im Gesetzestext.
Magdalena Świder
Mit ihren „Reformen“ der öffentlichen Medien und des Verfassungsgerichts greift die PiS-Regierung zudem zwei strategisch wichtige Bezugspunkte für LGBT-Lobbygruppen an.
Und nicht zuletzt schafft die rechtspopulistische Rhetorik ein Klima, das queere Menschen und ihre VertreterInnen dämonisiert, als westlich, unpolnisch und störend stilisiert. „Der Hass, den die PolitikerInnen verbreiten, wirkt sich auf unseren Alltag aus. Seit dem Regierungswechsel gab es drei Angriffe auf die Räumlichkeiten von KPH“, sagt Magdalena. „Das Büro können wir durch Videokameras schützen, aber die Einzelnen in der Community fürchten jetzt mehr um ihre Sicherheit.“
Inzwischen ist es 15 Uhr, und die Demowagen stehen vor dem Kulturpalast. Zwischen den Stahl-und-Glas-Türmen des Warschauer Geschäftsviertels hämmert Technomusik. Die beiden verschwundenen KPH-Banner sind nach einigen hektischen Handytelefonaten wiederaufgetaucht und Magdalenas schwarze Haare unter einer blonden Polyesterperücke verschwunden. Zusammen mit einem Dutzend weiterer EndzwanzigerInnen verteilt Magdalena Regenbogenflaggen.
Die wenigsten, die heute mitlaufen werden, sind über 40 Jahre alt. Unweit des KPH-Wagens fällt allerdings ein Herr auf, unter dessen Schirmmütze weiße Haare zu sehen sind. Maciej Nowak, 51, Theaterkritiker, Fernsehkoch und einer der wenigen offen schwulen Promis in Polen. Nowak läuft seit ihren Anfängen in der Parada Równości mit. Für ihn steht fest, dass die polnische LGBT-Bewegung von jüngeren Menschen vorangetrieben wird: „Die jungen Leute sind auf den Geschmack einer Freiheit gekommen, wie sie sie im Westen sehen“, vermutet er. „Eine Freiheit, sich selbst zu entfalten. Diese steht im Kontrast zu einer Gesellschaft, die konservativer wird.“
Geeint gegen die Regierung
Die Parada Równości wird nicht allein von LGBT-Organisationen getragen. Die Bewegung für Frauenrechte nimmt mit einem eigenen Wagen teil,dazu kommen die junge linke Partei Razem, die liberale Nowoczesna sowie Mitglieder des Komitees zur Verteidigung der Demokratie (KOD), der bürgerlichen Protestbewegung gegen die Reformen der PiS-Regierung. In dem Protestzug, der den Kulturpalast umkreist, spiegelt sich nicht nur das gesamte sexuelle Spektrum, sondern die gesammelte inner- und außerparlamentarische Opposition gegen die neue polnische Regierung.
Mittlerweile hat die Polizei entschieden, die Demoroute zu ändern, weil sich die angemeldete Gegendemonstration an der engsten Stelle der Route aufgestellt hat. Es sind nicht mehr als 50 Personen. Magdalena ist genervt: „Sie hätten diese Demonstration nicht zulassen dürfen. Nicht so kurzfristig.“ Die Polizei versuche normalerweise, Konfrontationen und Gewalt möglichst von vornherein zu verhindern. Das Umleiten der Route werden die Homogegner als Erfolg verbuchen.
Damit die Opposition der Straße möglichst unübersehbar wird, versuchen die OrganisatorInnen, möglichst viele zivilgesellschaftliche Gruppen anzusprechen. Deswegen sieht die Parada Równości auch nicht aus wie eine Pride-Parade nach US-amerikanischem Vorbild: Es gibt keine nackten und halb nackten DemonstrantInnen, kaum Fetischkleidung und keine hypersexualisierte Symbolik. Transparente und Schilder handeln von Würde und Akzeptanz, nicht von Analsex. Die Parada ist, verglichen mit den CSDs anderer Länder, eine brave Veranstaltung. Sie verzichtet auf das provokative Zurschaustellen von Anderssein. „In den westlichen Prides geht es darum, klar zu zeigen: Es ist okay, schräg zu sein“, sagt Magdalena. „Dieses Konzept funktioniert in mittel- und osteuropäischen Ländern so nicht. Wir wollen keine Parallelgesellschaft sein, sondern akzeptiert werden.“
Infolge dieser Ausrichtung zieht die Parada Równości auch konservativere Organisationen an, etwa die christliche LGBT-Gruppe Wiara i Tęcza, „Glaube und Regenbogen“. Artur ist Transmann und läuft als Teil einer Delegation der Gruppe bei der Parada mit – ausgerechnet hinter dem Wagen der Frauenrechtebewegung, die für eine uneingeschränkte Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch eintritt – dem sich vor allem die katholische Kirche in Polen entgegenstellt. Für Artur kein Widerspruch: „In unserer Gruppe gibt es unterschiedliche Meinungen über Abtreibung. Einige sind dagegen, einige unter bestimmten Bedingungen dafür. Aber heute ist das nicht unser Thema, sondern die Akzeptanz von LGBT in Kirche und Gesellschaft.“
Die Regierung ignoriert die Bewegung
Akzeptanz, Toleranz, Gleichheit. Es sind vor allem große Worte, die die Parade eint, daneben hat jede teilnehmende Organisation ihre eigenen Forderungen, die sich zum Teil widersprechen. Unter der Strategie der möglichst großen Inklusivität leidet das Profil der Parada. Wofür sie konkret eintritt, ist nicht eindeutig.
Eindeutig ist nur, wer der politische Gegner ist. Und der fällt durch Abwesenheit auf. Bis auf die Gruppe in der Altstadt und einige einzelne GegendemonstrantInnen hat sich niemand der Parada entgegengestellt. Im Jahr 2004 ließ der damalige Warschauer Bürgermeister und PiS-Gründer Lech Kaczyńsky die Parada noch mit fadenscheiniger Begründung verbieten. Seit sie allein regiert, ist PiS in der Lage, die Bewegung einfach zu ignorieren. In den öffentlichen Fernsehsendern gibt es keine Übertragungen. Magdalena ist das egal und zuckt mit den Schultern: „Wir wollen alle erreichen, die von der Regierung genervt sind. Und die schauen ohnehin kein staatliches Fernsehen mehr.“
Auf der anderen Seite der Weichsel endet der Protestzug und ergießt sich in eine Strandbar. Magdalena ist erschöpft, ihre Perücke verrutscht. Während die Demogemeinde in der Abendsonne entspannt, muss sie noch den Wagen zur Mietfirma zurückbringen. In der Zwischenzeit melden Polizei und die Warschauer Lokalnachrichten: 10.000 DemonstrantInnen. Mit Wohlwollen kann man etwas draufrechnen und sagen, dass die Parada ihre Größe beibehalten hat – doch das Ziel, noch größer zu werden, hat sie verfehlt. Immerhin: In dieser Nacht, so viel ist erreicht, wird der Kulturpalast in Regenbogenfarben leuchten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken