Kurseinbruch an Chinas Börsen: Komplett-Crash bleibt aus
Ein Kursrutsch am chinesischen Aktienmarkt schreckt Anleger auf. Zu einem Kollaps der Gesamtwirtschaft führt der Börsenkrach jedoch nicht.
Um über 30 Prozent seit dem Höchststand Mitte Juni sind die chinesischen Aktienmärkte gefallen, nachdem sie zuvor in einer einjährigen Hausse um mehr als 150 Prozent in die Höhe geschossen waren.
Dass ein Börsenkrach in China nicht wie etwa in den USA die gesamte Wirtschaft gleich in den Abgrund reißt, hat zum einen damit zu tun, dass die meisten Chinesen die heimischen Aktienmärkte nicht als langfristig angelegte Anlagemöglichkeit betrachten, sondern mehr wie ein Kasino für das schnelle Geld. Zum anderen hängt das mit dem nach wie vor weitgehend abgeschotteten chinesischen Finanzsystem zusammen.
Zwar hat das Börsenfieber der vergangenen Monate sehr viele Chinesen gepackt. Zahlen der Europäischen Handelskammer in Peking zufolge gab es bis Mitte Juni landesweit insgesamt 175 Millionen Depots. Mit massenweisen Privatinsolvenzen ist aber nicht zu rechnen. Denn Chinesen haben gerade einmal rund 13 Prozent ihres Vermögens als eine Art „Spielgeld“ in Aktien angelegt. Zum Vergleich: In den USA sind es 56 Prozent.
Aktien als Altersvorsorge
Vor allem in den USA ist ein Börsencrash häufig gleichbedeutend mit einem Zusammenbruch der Gesamtwirtschaft. Denn in den Vereinigten Staaten sind Börsen für viele Firmen die zentrale Schaltstelle ihrer Finanzierung. Sehr viel zu investierendes Kapital beziehen sie aus einem Börsengang und dem Aktienhandel. Und wer fürs Alter vorsorgen will, sieht sich gezwungen, in Wertpapiere an den Börsen zu investieren. Zumindest wer bei fallenden Kursen von dieser Altersvorsorge abhängig ist, ist gestraft.
Auch die chinesische Führung strebt ein solches Finanzsystem an. Zumindest der zurzeit amtierende Ministerpräsident Li Keqiang teilt die Auffassung von Marktliberalen, wonach freie Finanzmärkte im Idealfall für effiziente und wettbewerbsfähige Unternehmen sorgen. Das ist zwar in der Realität auch in den USA und Europa häufig nicht der Fall.
China aber ist weit davon entfernt: Die meisten großen Unternehmen werden nach wie vor vom Staat finanziell gepäppelt, sollten sie in Schwierigkeiten geraten. Und auch den kompletten Zusammenbruch der Aktienmärkte weiß Peking mit massiven Staatsmaßnahmen zu stoppen. So hatten sich die Kurse zwischen dem massiven Sturz vor einem Monat und dem Kursrutsch am Montag etwas erholt.
Dass die kommunistische Führung Anfang der 1990er Jahre überhaupt in Schanghai Aktienmärkte zuließ, hing vor allem mit dem Gedanken zusammen: Eine große Volkswirtschaft braucht auch eine Börse. Eine Bedeutung wie in New York, London oder Frankfurt haben die chinesischen Aktienmärkte aber nie erhalten. Bis vor Kurzem war der Schanghaier Aktienmarkt noch komplett vom Rest der Welt abgeschottet.
Schwer berechenbares Kasino
Mittlerweile hat die Regierung zwar eine Reihe von Kanälen geöffnet. Ausländische Investoren können in Schanghai mit einer Sonderlizenz Aktien erwerben – dazu gehören die meisten internationalen Großbanken. Zudem ist es seit diesem Jahr möglich, über die Börse Hongkong Schanghaier Aktien zu kaufen. Doch die Aktien sind weiterhin streng reguliert.
Internationale Anleger sind bislang vorsichtig geblieben und haben den chinesischen Markt als das behandelt, was er ist: ein schwer berechenbares Kasino. Die Lage ist nach der geplatzten Blase daher völlig anders als bei der Subprime-Krise ab dem Sommer 2007. Damals sank der große Dampfer Amerika, und alle waren an Bord. Das ist bei China nicht der Fall.
Was nun jedoch zu befürchten ist: dass Chinas angestrebte Finanzmarktreformen auf der Strecke bleiben. Vor allem Staatsunternehmen gelten als unrentabel und müssen vom Staat massiv bezuschusst werden. Das reißt Löcher in den Staatshaushalt. Eine Liberalisierung der chinesischen Kapitalmärkte sollte die Probleme beheben. Der Kursrutsch der vergangenen Wochen dürfte diese Pläne vorerst gestoppt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid