Kurdenpolitik in der Türkei: Bürgermeister der Opposition in Istanbul verhaftet
Der Istanbuler Bezirksbürgermeister und ethnischer Kurde Ahmet Özer wurde verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied der verbotenen PKK zu sein.
Özer ist Mitglied der größten Oppositionspartei CHP und arbeitet eng mit dem Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu zusammen. Der Istanbuler Stadtteil Esenyurt liegt ganz im Westen der Stadt und hat 1,5 Millionen Einwohner. Ahmet Özer gewann den Bezirk bei den Kommunalwahlen im März mit 49,05 Prozent der Stimmen. Es ist das erste Mal, dass ein Bezirksbürgermeister von Istanbul mit dem Vorwurf konfrontiert wird, er sei Mitglied der PKK.
Hintergrund der Anschuldigung ist offenbar, dass Özer ethnischer Kurde ist. Von Haus aus ist er Soziologie-Professor, ein Intellektueller, der sich 40 Jahre lang mit Stadtplanung beschäftigt hat und an mehreren Universitäten lehrte. Er ist 64 Jahre alt und geriet bis zu seiner jetzigen Verhaftung nie mit der Justiz in Konflikt.
Seine Verhaftung findet vor dem Hintergrund einer undurchsichtigen politischen Offensive der Regierung gegenüber der kurdischen Minderheit im Land statt. Vor seiner Fraktion äußerte sich Erdoğan am Mittwoch das erste Mal öffentlich zu dem Vorstoß seines rechtsradikalen Koalitionspartners Devlet Bahceli.
Erdoğan sagt, er strecke den Kurden seine Hand entgegen
Der hatte angeboten, man könne den historischen Führer der PKK, Abdullah Öcalan, der seit 25 Jahren in Isolationshaft auf einer Insel im Marmarameer festgehalten wird, auf Bewährung entlassen, wenn dieser vor der Fraktion der kurdischen DEM Partei dem Terror abschwört, die Auflösung der PKK erklärt und die heutige PKK Führung auffordert, die Waffen niederzulegen.
Einen Tag später erschütterte dann ein Anschlag auf einen Rüstungskonzern, zu dem die PKK sich später bekannte, das Land. Die türkische Luftwaffe bombardiert seitdem kurdische Stellungen im Nordirak und in Nordsyrien.
Erdoğan sagte dazu am Mittwoch, er strecke dennoch seine Hand den Kurden im Land entgegen. Er forderte sie auf sich von der PKK zu distanzieren. „Wir wollen euren Glauben, euren Islam und eure Heimat beschützen. Lasst uns gemeinsam das „Jahrhundert der Türkei“ aufbauen.“
Da an demselben Tag, als Erdoğan diese Rede hielt, Ahmet Özer verhaftet wurde, kritisierte die Opposition Erdoğans Rede als „hohles Gerede“. Sowohl der CHP Vorsitzende Özgür Özel als auch die DEM-Vorsitzenden kritisierten die Verhaftung von Özer heftig.
Bei einer spontanen Kundgebung in der Nacht vor dem Gericht, wo Özer dem Haftrichter vorgeführt wurde, nannte Ekrem Imamoglu Özers Verhaftung einen „Schlag gegen Recht, Gerechtigkeit und die Demokratie“. „Ist es das was ihr unter Umarmung, Frieden und Ruhe versteht?“, fragte er an Erdoğan gerichtet.
Özers Festnahme als Vorspiel für Istanbuls Bürgermeister?
Aus den Reihen der AKP wurde bereits gestreut, die Regierung plane in Esenyurt jetzt einen staatlichen Treuhänder anstelle des gewählten Bürgermeisters einzusetzen. Bislang hatte die Regierung nur im kurdisch dominierten Südosten gewählte kurdische Bürgermeister absetzen und durch Treuhänder ersetzen lassen.
Sollte es nun auch in Istanbul dazu kommen, wäre das wohl ein Vorspiel für die Absetzung des Oberbürgermeisters Imamoglu selbst, meinte ein Kommentator im oppositionellen TV-Sender Halk TV. Imamoglu gilt als aussichtsreichster Herausforderer von Erdoğan bei den nächsten Wahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich