Kurator über Kolonialismus: „Hamburg war ein Knotenpunkt“
Beim Festival „DIGGAHH“ in Hamburg geht es um die Hinterlassenschaften des Kolonialismus. Wie wirksam die bis heute sind, erklärt Mèhèza Kalibani.
taz: Herr Kalibani, wo sehen Sie den Kolonialismus auch heute noch am Werk?
Mèhèza Kalibani: Der Kolonialismus prägt uns in vielen Bereichen im Alltag. Manche Menschen behaupten, der Kolonialismus sei Vergangenheit, aber er bestimmt auch die Gegenwart. Das sehen wir in Straßennamen, Denkmälern oder Museen, die Objekte ausstellen, welche unter fragwürdigen Bedingungen erworben worden. Wir sehen ihn aber auch an Universitäten, in der Politik und in der Wirtschaft. In Hamburg gibt es etliche Beispiele.
Woran denken Sie da?
Von meinem Büro aus kann ich das Bismarck-Denkmal sehen, das größte Kolonialdenkmal Deutschlands. Das Denkmal war als Zeichen der Dankbarkeit an den Reichskanzler Otto von Bismarck errichtet. Es wurde größtenteils von Kaufleuten finanziert, die vom Kolonialismus wirtschaftlich profitiert haben. Oder das Hauptgebäude der Universität, welche das Kolonialinstitut Hamburgs war. Man sieht ihn aber auch in vielen Praktiken.
Wie denn das?
Kurator für koloniale Vergangenheit und postkoloniale Gegenwart bei der Stiftung Historische Museen Hamburg. Er promoviert am Institut für Geschichtsdidaktik und Public History der Universität Tübingen.
Die sind versteckter, aber auch dort gibt es Kontinuitäten, etwa in der Wirtschaft: Von wo erwirbt wer was und unter welchen Bedingungen? Oder in Entscheidungsstrukturen: Es gibt kaum Menschen, deren Vorfahren von Kolonialismus betroffen waren, die heute in Entscheidungspositionen sind. Wer ist heute wo und wie repräsentiert? Wenn man genauer hinschaut, steht das alles mit dieser Vergangenheit in Zusammenhang. Bei Kontinuitäten geht es auch um Rassismus und Diskriminierungen. Beide Phänomene waren Fundamente des Kolonialismus.
Welche Rolle hat Hamburg für den deutschen Kolonialismus gespielt?
Hamburg war ein Knotenpunkt. Viele Waren, die in deutschen Kolonien erworben oder produziert worden, wurden in den Hamburger Hafen gefahren. Die Geschichte fängt früh an. Bereits vor der tatsächlichen kolonialen Besetzung gab es viele Hamburger Akteur:innen, die großen Profit mit der kolonialen Ausbeutung gemacht haben. Sie haben viele Geschäfte gemacht, bei denen Sklav:innen oder Zwangsarbeiter:innen eingesetzt wurden. Während der Kolonialkriege, unter anderem bei der Niederschlagung des Aufstands der Herero und Nama, welcher heute als Genozid anerkannt wurde, wurde eine große Anzahl von Soldaten in die Kolonien gefahren.
„DIGGAHH“ steht für „Dekolonial – Interaktiv – Gemeinsam – Gesellschaftlich – Aktuell – Hansestadt Hamburg“ und ist Teil des Projekts „Hamburg dekolonisieren. Initiative zur Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe der Stadt“.
Vom 22. bis 26. Mai bietet das Event Workshops, Talks, Lesungen und Führungen sowie weitere Beiträge aus Kunst und Musik, und das auch in weniger zentralen Stadtteilen sowie bei freiem Eintritt.
Eröffnung: Mi, 22. 5. 17.30 Uhr, Altonaer Museum; Programm unter www.diggahh.de
Wieso heißt Ihre anstehende Veranstaltung „DIGGAHH“?
Wir wollen sie anders machen als gewöhnlich und möglichst viele Menschen ansprechen. Die Veranstaltung wurde auch maßgeblich von der Zivilgesellschaft getrieben. Der Projektträger hat viel mehr begleitend koordiniert und weniger inhaltlich in den Prozess eingegriffen. Den Titel finde ich persönlich sehr interessant, „DIGGAHH“ ist ja etwas Hamburgisches. Wir wollten nicht nur die Leute ansprechen, die an der Uni sitzen oder in einem Büro, sondern wirklich alle, die von dem Thema betroffen sind.
DIGGAH bespielt die ganze Stadt, nicht nur die einschlägigen Museen oder den Hafen. Wieso dieser dezentrale Ansatz?
Auch das war der Wunsch der Zivilgesellschaft: Im September 2023 haben wir ein Meeting mit über 20 Organisationen und Akteur:innen veranstaltet, bei dem wir Ideen gesammelt haben. Eingeladen waren über 40. Dabei ging es darum, wie wir dieses Projekt am besten in die breite Gesellschaft tragen können. Wie könnte eine partizipative Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus aussehen? Das Ziel des Projekts ist schließlich einen Raum zu schaffen, in dem sich viele Leute mit dem Thema auseinandersetzen. Aus diesem Meeting ist eine Gruppe aus 13 Personen entstanden, die sich bereit erklärt haben, am Konzept zu arbeiten. In dieser Kontextualisierung wurde uns dann klar, dass es am besten ist, das Projekt dezentral zu gestalten. Es gibt 40 Veranstaltungen in fünf Tagen. Wir wollten, dass für jede:n Hamburger:in etwas dabei ist. Auch Leute, die unter der Woche arbeiten, haben dann am Wochenende etwas, woran sie teilnehmen können.
Was braucht es, um die Dekolonisierung in der Stadt voran zu bringen?
Das ist ein Prozess und er fängt auch nicht erst jetzt an. Viele Akteur:innen leisten seit Jahrzehnten elementare Arbeit. Ohne diese Vorarbeit würden wir heute von null anfangen. Was braucht es? Meiner Einschätzung nach muss neben der Forschung, die durchaus sehr wichtig ist, die Zivilgesellschaft mehr Raum in der Aufarbeitung bekommen. Man muss mehr Raum schaffen, in dem vor allem betroffene oder engagierte Menschen auch mitgestalten können. Das ist ein langwieriger Prozess, aber was wir hier machen, ist ein Anfang. Der Traum wäre, dass wir jetzt jedes Jahr ein „DIGGAHH“-Open-Air haben. Damit würde man auch nachhaltig eine Wirkung erzielen. Wenn wir jetzt nur ein Projekt machen und das war’s, dann bringt uns das nicht wirklich weiter. Es braucht kontinuierliche Arbeit und die Zivilgesellschaft muss in alle Prozesse eingebunden werden, das ist sehr wichtig.
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