Kunstversteigerung in New York: Alles nach Asien
Christie's versteigert die Rockefeller-Sammlung. Für die Käufer zählt nicht nur das Renommee der Exponate – sondern auch das der Vorbesitzer.
115 Jahre später hängt das Aquarell auf einer mit Stoff bezogenen Drehwand am Kopfende eines Saals des Auktionshauses Christie’s in New York. Es ist nur zwei Postkarten groß und aus den hinteren Reihen im Saal kaum zu erkennen. Aber die potenziellen Käufer kennen den Apfel bereits aus nächster Nähe. Denn in den zurückliegenden Monaten sind Vertreter von Christie’s mit diesem und anderen Kunstwerken aus der Sammlung von Peggy und David Rockefeller um die Welt gereist, um sie ausgewählten Milliardären beim Essen im kleinen Kreis schmackhaft zu machen.
Ein paar Meter neben dem Aquarell lehnt sich Jussi Pylkkänen über den Rand seines hölzernen Pultes, fährt mit seinem ausgestreckten Arm wie ein Prediger über das Publikum von Multimillionären und Milliardären und sagt die erste von vielen Zahlen dieses Abends: „800“. In diesem Kreis bedeutet das: „800.000“.
Aus dem Saal und von abwesenden Käufern, die aus Asien, Europa und USA per Telefon mit „Spezialisten“ des Auktionshauses verbunden sind, kommen in Zweihunderttausend-Dollar-Schritten höhere Gebote. Die Leuchttafel hinter dem Auktionator, die jedes neue Gebot in Dollar und fünf anderen Währungen anzeigt, flickert aufgeregt hinterher. „Gebt mir 3,2 für diesen wunderbaren Picasso“, sagt Pylkkänen. Bei 3,3 Millionen, wozu noch die 600.000 an Kommission für das Auktionshaus kommen, haut er ein Hämmerchen mit der linken Hand auf das Pult und biegt gleichzeitig die rechte Hand flach nach oben.
646 Millionen Dollar
Damit ist das erste Geschäft des Abends nach weniger als zwei Minuten besiegelt. Wenige Minuten später zahlt jemand für Gauguins „Die Welle“ 35 Millionen Dollar. Matisse’ „Odaliske mit Magnolien“ kommt für 80,8 Millionen unter den Hammer. Die Werke von sieben Künstlern, von denen die meisten zu Lebzeiten bettelarm waren, erzielen neue Höchstpreise. Und viele andere Werke kommen für weit mehr Geld als erwartet unter den Hammer. Am Ende, als alle 44 Kunstwerke verkauft sind, lautet das Ergebnis: 646 Millionen Dollar. Mehr hat nie zuvor eine private Sammlung erbracht.
An diesem und an zwei weiteren Abenden der Woche versteigert Christie’s die Rockefeller-Sammlung – Kunst des 20. Jahrhunderts, Möbel, Schmuck, goldene Geldspangen, Salzstreuer und Porzellan – darunter ein auf 250.000 Dollar geschätztes Geschirr von Napoléon, das am Mittwochabend für 1,8 Millionen gekauft wird. Insgesamt rechnet das Auktionshaus mit Einnahmen bis zu einer Milliarde Dollar vor Ende dieser Woche.
Doch trotz der sensationellen Zahlen bleibt die Stimmung in dem Saal bedeckt. Schon lange vor dem Ende, als es an die Versteigerung eines Renoir geht, der letztlich für nur 9 Millionen Dollar und damit 1 Million unter seinem Schätzwert verkauft wird, verlassen die Ersten den Saal. Die Anwesenden sind entweder Stammkunden oder Leute, die für diese Gelegenheit für Christie’s offenlegen mussten, dass sie über die nötigen zweistelligen Millionensummen auf ihren Konten verfügen. Doch von ihnen kommen kaum Gebote. Die meisten laufen von außerhalb an den Telefonen der „Spezialisten“ von Christie’s ein. Xin Li ist der Star unter ihnen.
„Leben wie ein Rockefeller“
Mehrfach treibt die gebürtige Chinesin und Vizechefin von Christies Asiengeschäft am Dienstagabend die Zahlen in die Höhe. Für ihre Kunden in Asien ersteigert sie einige der teuersten Werke. Damit könnte für Bilder, die in Europa entstanden sind und die das letzte halbe Jahrhundert in den USA verbracht haben, ein Kontinentwechsel anstehen. Als Nächstes werden sie möglicherweise in den Residenzen von chinesischen Milliardären verschwinden. Offenbar haben die neuen Reichen dort den Geschmack der neuen Reichen von der Mitte des letzten Jahrhunderts in den USA übernommen.
Die Werke, die an diesem Abend die besten Preise erzielen, verdanken das nicht allein den Künstlern, die sie gemacht haben, sondern auch den Sammlern, durch deren Hände sie gegangen sind. Für die größte Wertsteigerung stehen dabei Werke, die zuerst an der Wand von Gertrude Stein und nach ihrem Tod bei Rockefellers hingen. Als wären sie bei Ersterer intellektuell, bei Letzterem finanziell geadelt worden. „Leben wie ein Rockefeller“ war einer der Werbeslogans des Auktionshauses für das Ereignis.
Der Vizechef des Aktionshauses, Jonathan Rendell, hat die Auktion zwar als „Weltereignis“ angekündigt. Aber die Namen der Käufer erfährt die Welt nicht. Als der letzte Hammer gefallen ist, empfängt Christie’s die Journalisten zu einer Pressekonferenz in einem fensterlosen Raum. Es gibt Häppchen und Champagner, Christie’s-Mitarbeiter verteilen Listen mit Geldsummen in Dollar, Pfund und Euro. An den Wänden des Raums hängen vier soeben verkaufte Gemälde. Allein mit ihnen hat das Auktionshaus in den zurückliegenden Stunden rund 64 Millionen Dollar an Kommissionen verdient. Doch wieder keine Euphorie: Liegt das daran, dass einige Favoriten des Abends, darunter auch Picassos Mädchen, nicht über ihren Schätzwert gekommen sind? Guilleaume Cerutti, der Chef von Christie’s, gibt sich unbeeindruckt. „Wir haben das so erwartet“, versichert er, „das ist ein großartiger Preis.“
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