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Kunstfestival in DithmarschenAuch Kohl kann Kunst sein

Der Kunstgriff Dithmarschen fährt jedes Jahr eine reiche Ernte von den Kreativen dieser Region ein. Gezeigt werden Arbeiten von Laien und Profis.

Schillerndes Grün, schöne Blattadern: Durchleuchtete Brassica-Blätter in Nahaufnahme haben mehr Raffinement, als man Kohl zutraut Foto: Wolfgang Wehrmeier

Der Landkreis Dithmarschen ist vor allem bekannt für den Anbau von Kohl und wehrhafte Bauern, weniger aber für seine Kunst. Es gibt sie aber. Der Comic-Pionier Rudolph Dirks wurde in der Kreisstadt Heide geboren, bevor er, sieben Jahre später, mit seinen Eltern nach Chicago auswanderte und seine „Katzenjammer-Kids“ die USA eroberten.

Im öffentlichen Raum sind öfters Skulpturen des Dithmarscher Bildhauers Paul Heinrich Gnekow zu sehen, oder einzelne Werke namhafter KünstlerInnen, wie Pia Stadtbäumers Elster mit Hasenmaske in Marne, oder die Kunst am Bau vor dem Heider Fernmeldeamt.

Doch jenseits von Historie und Auftragskunst gibt es wenige Orte, an denen neue Ideen sich präsentieren können. Von elf Museen sind zwei auf das Zeigen von Kunst ausgerichtet. Dass durchaus kreativ agiert wird, zwischen der Eider und dem Nord-Ostsee-Kanal will die Aktion Kunstgriff zeigen. Auf die Idee kam man im Jahr 2001 nach einem der Volksfeste zur immerwährenden Freude über die gelungene Vertreibung der Dänen in der Schlacht bei Hemmingstedt. Feiern kann ja mehr sein als Futtern und Saufen.

Seit 24 Jahren organisiert der Kreis, vertreten durch die Dithmarscher Volkshochschule in Meldorf, eine 17-tägige Schau für das, was hier in Werkstätten, Ateliers, Garagen, Hobbykellern und Zirkeln entsteht. Stets knapp vor den frühherbstlichen Kohl-Tagen können dabei Laien und Profis Selbstgeschaffenes in Szene setzen. Der Aufruf dazu erfolgt jeweils ein Jahr davor.

Ein sehr weiter Kunstbegriff

„Kuratiert wird nicht“, sagt Kulturvermittlerin Anna Christiansen, die sich seit diesem Jahr darum kümmert, den Kunstgriff durch Flyer, Plakate, Social Media und Begegnungen bekannt zu machen. Ein „sehr weiter Kunst- und Kulturbegriff“ ermögliche vielen, auszustellen. Es müsse nur „ein gestalterischer oder künstlerischer Gedanke hinter den Werken erkennbar sein.“

Von Christiansen werden einige neue Impulse ausgehen. So sind auch Sparten dabei wie Performance, Musik, Literatur und Slam-Poetry. Aufgrund der ländlichen Lage und der wenigen zentralen Ausstellungsräume sind die Orte verstreut und teils außergewöhnlich. Kunstgriff-Gucken bedeutet fast immer Landpartie.

Einige Schauplätze bieten auch Kaffee und Kuchen an. Andere dienen parallel weiter als Kirchen, Kinosaal im Pflegeservice, Teespeicher oder Geschäftsräume der Volks-und Raiffeisenbank am Heider Markt. Durch deren Fenster blickt man gerade auch auf das parallel startende Kohl-Fest. Ohne Auto ist das Herumgucken außerhalb der Kreisstadt nur eingeschränkt machbar. Alternativ sollen künftig geführte Fahrradtouren den Weitblick ermöglichen.

Die Frage „Was darf sich Kunst nennen?“ ist hier ziemlich irrelevant. Von nahezu perfekt inszenierten „Spiegelungen“ ambitionierter FreizeitfotografInnen über dekorative Hafenszenen in Acrylmalerei bis zu den traditionellen Fotos zum Thema „Brüste der Küste“ ist für jeden Geschmack etwas dabei. In dieser Schau gibt es auch das, was aus akademischer Sicht oft als Kitsch bezeichnet wird. Doch was zählt das, wenn es darum geht, sich auszuprobieren und vor allem: mit anderen in Kontakt zu kommen? Kunst ist schließlich Kommunikation.

Das Kunstfestival

Kunstgriff Dithmarschen, derzeit noch in Brunsbüttel, Büsum, Großenrade, Heide, Krumstedt, Linden, Meldorf und Wesselburen, bis 28. 9.

Abschlussveranstaltungen Kurzfilmfest, Filmtheater Heide, 28. 9., 11-15 Uhr; Konzert, St. Nicolai-Kirche, Wöhrden, 17 Uhr

Klima-Slam und Film-Schau

Genau das ist das Motto des Projekts „Kunst verbindet“, dessen TeilnehmerInnen im lichtdurchfluteten Bildungszentrum des Westküstenklinikums Heide zeigen, was sie zum Thema „Walk in my Shoes“ ausdrücken wollten. Fast alle in der Gruppe haben einen Migrationshinterfund. 14 Nationen kommen hier zusammen. Der Titel appelliert an die Empathie.

Den Anstoß zu dieser Gruppe gab Paula Bisiriyu, die bei ihrer Arbeit in der Flüchtlingshilfe erlebte, dass es zwar ein großes Bedürfnis bei MigrantInnen gibt, sich über die universelle Sprache der Gestaltung auszudrücken, aber kaum Möglichkeiten, zusammenzukommen oder auszustellen. Bisiriyu, die aus Rumänien stammt und selbst sehr kunstaffin ist, ohne Profi zu sein, gründete daher diese Gruppe als Sonderprojekt der integrativen „Kunstköpfe“. Sie bereichert den Kunstgriff nun um 25 Positionen, internationale und nationale, denn auch Einheimische dürfen dabei sein.

Neu sind auch politische Themen, die in Form eines Klima-Slam auf die Bühne kommen. Nicht neu, sondern ein Urgestein des Ganzen ist die Film-Schau „Kunstgriff-Rolle“, die als Abschlussveranstaltung am 28. 9. im wunderschönen Heider Lichtblick Filmtheater läuft. Zu sehen gibt es Kurzfilme aller Genres, ob Schüler-Debut, Trickfilm oder hochprofessionelle Filmkunst. Das vielfältige Programm dieses Filmfestes zwischen Sylt und Hamburg wird seit 2005 sorgfältig kuratiert von der Filmmacherin Martina Fluck. Aber Achtung: es beginnt schon um 11 Uhr früh, und die Veranstaltung ist äußerst beliebt.

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