piwik no script img

Kunstausstellung in IstanbulWarten auf den König

Das Istanbuler Kunsthaus Arter zeigt mit „The Roving Eye“ museumsreife zeitgenössische Kunst aus Südostasien.

Heri Dono, Political Clowns, 1999, Electric, sound and kinetic installation Bild: Arter

Kann man an einem runden Tisch Pingpong spielen? Ungläubig bleiben auf Istanbuls Einkaufsmeile Istiklal Caddesi in diesen Tagen Schaulustige vor einem Schaufenster stehen. Im Ausstellungsraum des Kunstraums Arter steht eine kreisrunde Installation aus grünen Tischtennisplatten. Wer hineingeht, dem schieben freundliche Helfer das Plattenrund auseinander.

In seiner Mitte stehend, nehmen die Neugierigen plötzlich nicht mehr an einem Zweikampf teil. Sondern beteiligen sich an einem Gruppenspiel, bei dem man die Richtung des Spiels verändern kann – und eine ungewohnte Verkehrung der Perspektive erlebt.

Von innen nach außen, permanenter Standortwechsel und die Lust am Partizipativen. Was auf den ersten Blick wie ein Gag oder Eyecatcher aussah, entpuppte sich als Charakteristikum der Kunst, die dort für drei Monate zu sehen ist.

„The Roving Eye – Das umherschweifende Auge“ heißt die Schau von 40 Arbeiten und fast ebenso vielen Künstlern aus acht südostasiatischen Ländern nicht umsonst. „Ping Pong Go Round“, die Arbeit des Singapurer Künstlers Lee Wen, hat es nur sichtbar gemacht.

Die Ausstellung

Bis 5. Januar 2015: Arter, Istanbul. Der Katalog kostet 45 TL

Gewagtes Angebot ans Laufpublikum

Kunst aus Südostasien in der Türkei. Die jüngste Arter-Ausstellung ist ein gewagtes Angebot an ein ultrakonsumistisch zerstreutes Laufpublikum, das zwar alle angesagten Fashion-Brands, aber kaum die wichtigen Künstler des eigenen Landes aufzählen kann. Und sie muss ganz unterschiedliche Mentalitäten überbrücken.

Gehörte das Osmanische Reich, der Vorläufer der Türkei, zu den brutalen Kolonisatoren der Weltpolitik, waren Länder wie die Philippinen, Vietnam oder Malaysia ihr Opfer. Aber in einem Werk wie „Political Clowns“ dürfte sich wohl jede Bevölkerung dieser Welt wiedererkennen. Der indonesische Künstler Heri Dono hat grell bemalte Köpfe auf eine Stange gesteckt: eine Mischung aus Pappkameraden und Schießbudenfiguren.

Iola Lensi, die Singapurer Kuratorin der Schau, versucht erst gar nicht, dem fremden Publikum die Terra incognita der Weltkunst mit einem langweiligen kunsthistorischen Abriss näherzubringen. Sie meidet fernöstliche Klischeebilder von Wasserbüffeln und Tänzerinnen im Reisfeld. So teilt sich das Verbindende der Kunst aus Fernost mit der Südosteuropas ganz von selbst mit.

Ob es nun die Fantasieuniformen sind, mit denen der thailändische Künstler Jakkai Siributr die Fetische seiner autoritätshörigen Gesellschaft aufs Korn nimmt. Oder ob es die die Schuhe aus Gewehrpatronen sind. Mit den ungewöhnlichen Bekleidungsstücken will die philippinische Performance- und Installationskünstlerin Josephine Turalba den Boden der Gewalt sichtbar machen, auf dem sich der Kolonisierte bewegt. Am Bosporus lässt sich ihre Arbeit aber auch vor dem Hintergrund der Gezi-Kämpfe lesen. Noch vor einem Jahr liefen die Istanbuler quasi auf den Tränengaskartuschen der türkischen Polizei.

Politisch imprägnierte zeitgenössiche Kunst

Dass die visuellen Künste derart zum Medium der Umbrüche werden, verwundert nicht in einer Region, die die Teilung Vietnams 1954 und den nachfolgenden Krieg darum, die blutige Kommunistenverfolgung der 1960er Jahre in Indonesien oder die Diktatur der Khmer Rouge in Kambodscha gesehen hat. Und in der die Kolonialmächte Geschichte schrieben. Doch so politisch imprägniert zeitgenössische Kunst in Südostasien auch ist, so wenig arbeitet sie mit dem Holzhammer.

Für Augen, die von der westlichen Konzeptkunst ermüdet sind, ist es faszinierend zu sehen, wie sinnlich und spielerisch sich bei dieser Kunst Politik und Ästhetik verbinden. Von Weitem betrachtet nehmen die mannshohen Porzellanvasen im chinesischen Blau-Weiß-Stil des vietnamesischen Künstlers Bui Cong Khanh die klassische Form der Hochkultur auf.

Wer genau hinschaut, erkennt hinter den Pagoden und Wäldern auf den kostbaren Skulpturen plötzlich Gewehre, Kanonen oder eine Festung auf einem Berg. Tausend Jahre war das Land mit der ältesten zusammenhängenden Geschichte der Welt unter chinesischer Herrschaft, bis es im 19. Jahrhundert unter französische Kolonialherrschaft kam.

Wie wenig sich diese Kunst auch auf einen festen Standpunkt festlegen lässt, beweist der thailändische Künstler Manit Sriwanichpoom. Auf seiner vierzehnteiligen Fotoserie „Waiting for the King“ sieht man Thailänder nach einem der vielen politischen Umstürze im Land mit ernsten Gesichtern am Straßenrand auf König Bhumipol warten.

Der Fotograf ist Teil des Problems

Das Ritual am Geburtstag des ikonisch verehrten Monarchen ist das einzig stabile Moment in dem einzigen Land Südostasiens, das vom Kolonialismus verschont blieb. Als Thailänder ist der Fotograf selbst Teil des beobachteten Problems, bannt das Ereignis aber aus der Distanz ins Bild. Bei vielen Arbeiten ist es diese flexible Perspektive, die Iola Lenzis Idee des „Roving Eye“ beglaubigt.

Ihre museumsreife Schau ist nicht nur ein erstklassig kuratiertes Projekt. Es präsentiert auch eine geballte Ladung Systemkritik. Mit ihr unterstreicht der nichtkommerzielle „space for art“ in politischen Umbruchzeiten seinen Anspruch einer Plattform der kritischen Öffentlichkeit.

Arter gehört zur Vehbi Koc Foundation, der Familienstiftung des liberalen Unternehmerclans, der während der Gezi-Proteste unter Beschuss der AKP-Regierung geriet, weil er das ihm gehörende Divan-Hotel gegenüber dem Gezipark als Toilette und Lazarett öffnete.

Wenn während der neuen Ausstellung an der Fassade des Hauses die Arbeit „The Untouchables“ des thailändischen Künstlers Michael Shaowanasai hängt, wirkt auch das wie ein Signal von innen nach außen. Die thailändischen Worte für „king“ und „queen“ auf den illuminierten Leuchtkästen abstrahieren ein nationales Heiligtum zu einer Konsum- oder Popikone.

Ein riskantes Werk. Denn in Thailand gilt die bloße Erwähnung der Monarchennamen als Majestätsbeleidigung. Noch so ein Institut, mit dem auch die Menschen in der Türkei des Recep Tayyip Erdogan so ihre Erfahrung haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!