Kunstaktion in Berlin: Der Flieger bleibt unten
Bevor sich Flüchtlinge Tigern zum Fraß vorwerfen lassen sollen, wollten Aktivisten 115 Personen aus der Türkei einfliegen. Daraus wird nichts.
Mit viel Tamtam hatte das Zentrum, das sich einem „radikalen Humanismus“ verschrieben hat und in der Vergangenheit immer wieder Aufsehen erregt hat, in der letzten Woche seine neueste Kunstaktion in Berlin eingeleitet: In einem Käfig vor dem Maxim-Gorki-Theater nahe des Berliner Regierungsviertels hat die Gruppe Schauspieler in römischen Kostümen platziert und darüber hinaus vier Tiger, denen sich laut Ankündigungen der Künstler an diesem Dienstagabend Flüchtlinge freiwillig zum Fraß vorwerfen lassen wollen. Eine Kunstaktion, die, wie immer, polarisiert. Ihr Titel: „Not und Spiele: Flüchtlinge fressen“.
Im Rahmen der Aktion sammelte die Gruppe auch Spenden. Mit dem Geld sollte ein Flugzeug, die sogenannte „Joachim I.“ auf den Weg geschickt werden, um am heutigen Dienstag 115 in der Türkei wartende, überwiegend aus Syrien stammende Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen und mit ihren in Deutschland wartenden Verwandten zusammenzuführen.
Kern der Kritik ist die einfache Kinderfrage: Warum dürfen Kriegsflüchtlinge eigentlich nicht mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen – sondern ersaufen stattdessen im Mittelmeer? Heute abend sollte die Maschine in Berlin landen.
Die Statisten waren Flüchtlinge
Tatsächlich hatte die Künstlergruppe einen Vertrag mit der Fluggesellschaft Air Berlin abgeschlossen. Demnach sollte der Charterflug laut Angaben des Zentrums „dem Transport von Statisten eines Theaterstücks“ gelten – strenggenommen völlig richtig.
Allerdings: Weil es sich bei diesen Statisten nicht um Schauspieler, sondern um Flüchtlinge handelt, stornierte die Fluggesellschaft, die wiederholt auch für ihre Beteiligung an Abschiebeflügen in der Kritik stand, den Vertrag wieder. Denn den Flüchtlingen fehlen Arbeitserlaubnisse und Visa.
Und mehr noch: Angeblich machten deutsche Behörden, so zumindest stellt es das Zentrum für Politische Schönheit dar, Druck auf die Fluggesellschaft, die Gruppe nicht zu transportieren. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Ganz überraschend allerdings auch nicht.
Tatsächlich hatte die Frage des Flugtransportes bereits ein politisches Vorspiel. In einem Schreiben an Bundesinnenminister Thomas de Maiziere hatte ein Anwalt der Künstlergruppe den Minister am 22. Juni aufgefordert, die Landung des Flugzeuges und die Einreise der Flüchtlinge zu ermöglichen. Der Rechtsanwalt schickte dem Innenministerium auch eine Liste mit. Darauf verzeichnet: Die Namen, Geburtsdaten und Passnummern der einreisewilligen Flüchtlinge. Das Innenministerium wies das Ansinnen jedoch zurück – und wurde anderweitig aktiv. 115 Flüchtlinge per Airbus am Flughafen Tegel, das wäre für den Innenminister nicht nur ein symbolisches Problem gewesen.
Und so recherchierten schließlich die Beamten, um welchen Flug es sich wohl handeln könnte; bis am Ende das Präsidium der Bundespolizei die Fluggesellschaft Air Berlin direkt kontaktierte, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Dienstag der taz bestätigte.
„Dabei ging es nicht darum, Druck auszuüben, sondern die Fluggesellschaft auf die rechtliche Lage hinzuweisen.“ Bei diesem Gespräch soll auch vermittelt worden sein, „dass das Bundesinnenministerium keine Möglichkeit sieht, von den gesetzlichen Einreisevoraussetzungen abzusehen.“
Ein Paragraf für die Schlepper
Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist der Paragraf 63 des Aufenthaltsgesetzes, wonach „Beförderungsunternehmen“ Ausländern nur bei der Einreise helfen dürfen, „wenn sie im Besitz eines erforderlichen Passes und eines erforderlichen Aufenthaltstitels sind.“ Der Paragraf regelt auch, dass das Bundesinnenministerium bei Zuwiderhandlung Zwangsgelder gegen Beförderungsunternehmen verhängen kann.
Genau darauf zielt die Aktion der Künstler ab: Dass die Regelung eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Schlepper ist, weil Fliehenden auch durch sie der legale Weg nach Deutschland verstellt ist. Und so kam es wie es kommen musste: Kurz vor dem Abflug kündigte Air Berlin den Vertrag mit den Künstlern. Der Kontakt mit dem Bundespolizeipräsidium wirkte.
Air Berlin, sagte eine Sprecherin der Fluggesellschaft am Dienstag der taz, habe erst „sehr kurzfristig“ davon erfahren, dass ein Großteil der Passagiere keine Einreiseerlaubnis hatte und habe sich „gezwungen gesehen, die zugrundeliegenden Verträge außerordentlich aus wichtigem Grund zu kündigen“. Die Künstler, so die Sprecherin weiter, hätten Air Berlin über „wesentliche Aspekte“ der Beförderung im Unklaren gelassen. Das Vertrauensverhältnis sei dadurch „nachhaltig erschüttert“ gewesen.
Und so wurde nichts aus dem außerplanmäßigen Flug mit der Flugnummer AB9717. Und was nun mit den Passagieren ist und mit dem syrischen Mädchen names Dina, geboren auf der Flucht am 1. Juli 2014 in der Türkei, dessen Name neben all den anderen auf der Liste steht, die das Zentrum vorgelegt hatte, das bleibt wohl vorerst unbeantwortet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“