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Kunstaktion am Potsdamer PlatzEin provisorisches Mahnmal gegen die Gleichgültigkeit

Kommentar von Lea Wolters

Eine Installation in Berlin erinnert an die in Gaza getöteten Menschen. Den Künst­le­r*in­nen gelingt so, was die deutsche Politik seit Langem versäumt.

Sichtbarkeit geschaffen: Die Installation von „Rocco and his brothers“ am Potsdamer Platz Foto: Lea Wolters

A m Potsdamer Platz plätschert es. Acht große Drahtkörbe stehen dort am Dienstag auf einem Marmorsockel in einem flachen Wasserbecken. Gefüllt sind sie mit genau 62 Strandbällen. Grünes Schilf umrandet die Kunstinstallation.

Bei genauerem Hinsehen wird klar: Die Bälle sind Wassermelonen nachempfunden, die auch als Symbol des palästinensischen Widerstands dienen. Sie sollen für die 62.000 Menschen stehen, die Schätzungen zufolge bislang im Gazakrieg getötet wurden.

Die Installation sei ein „Denkmal für die ermordeten Menschen Palästinas“, erklärte die Künstlergruppe „Rocco and his brothers“ auf ihrer Instagram-Seite am Dienstag. Das 2016 gegründete Ak­ti­ons­künst­le­r*in­nen-Kollektiv ist durch spektakuläre Kunstaktionen im öffentlichen Raum bekannt geworden, mit denen es auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen will – zuletzt etwa mit dem Projekt „Schlüssel zur Stadt“, bei dem die Gruppe verschlossene U-Bahnhöfe für Obdachlose öffnete.

Das „Denkmal für die ermordeten Menschen in Palästina“ ist schon am Dienstagabend nicht mehr vollständig. Das Schild zur Einordnung wurde abgerissen, übrig geblieben sind nur Klebestreifen auf dem Beton. „Schade, dass es schon weg ist, es wurde Zeit, dass es so was mal gibt“, sagt eine Passantin.

Versäumnisse der deutschen Politik

Was die deutsche Politik im seit fast zwei Jahren andauernden Krieg in Gaza nicht geschafft hat, haben die Ak­ti­vis­t*in­nen jetzt selbst in die Hand genommen: Sichtbarkeit zu schaffen für zehntausende getötete Zivilist*innen, die in der Debatte in Deutschland häufig nur als Randnotiz oder Kollateralschaden eines vermeintlich notwendigen Krieges gegen die Hamas genannt werden.

Nicht erst seit dem Gazakrieg kritisiert die palästinensische Diaspora, von der ein großer Teil in Berlin lebt, die Gleichgültigkeit der deutschen Politik gegenüber ihren Geschichten und kollektiven Traumata.

Die offensichtlich beabsichtigte Bezugnahme der Kunstinstallation auf das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wirft aber die Frage auf, ob das dem eigentlichen Zweck der Aktion hilft oder eher schadet – insbesondere in einer Zeit, in der sogar Gedenktage an die Schoa oft durch propalästinensische Proteste vereinnahmt werden.

Die Aktion ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass eine Erinnerungskultur, in der unterschiedliche Perspektiven gehört und ernst genommen werden, in der deutschen Migrationsgesellschaft längst selbstverständlich sein sollte. Die Vision einer radikal vielfältigen Gesellschaft, in der unterschiedliche Geschichten und Erfahrungen ausgehalten werden, sollte jedoch ohne Opferkonkurrenzen und Gleichsetzungen auskommen.

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