Kunst zur BER-Eröffnung: Ein bisschen wie fliegen
Nun öffnet doch tatsächlich nicht nur der BER, sondern auch die Berliner Ausstellung „Wir heben ab“. Wenn auch vorerst nur zwei Tage.
Jetzt ein Flugfahrrad von Panamarenko! Das wäre ideal, um zum Kupferstichkabinett am Kulturforum zu kommen. Denn der Platz vor den Museen ist von einer Baustelle umgeben, die man zu Fuß umständlich umgehen muss. Wäre es da nicht fein, mit dem Fahrrad, dem der belgische Künstler Panamarenko ganz feine Libellenflügel gezeichnet hat, kurz durch die Luft gleiten zu können und auf den Terrassen vor dem Kulturforum zu landen?
Der Traum vom Fliegen ist zurzeit schwer belastet. Zwar kann der Flughafen BER am 31. Oktober mit neunjähriger Verzögerung eröffnen, aber vom Reisen wird in der jetzigen Situation der Pandemie abgeraten. Viele Fluggesellschaften haben Flüge storniert und sehen selbst einer ungewissen Zukunft entgegen. Real zu fliegen, in einem Flugzeug mit vielen Passagieren, die Freude daran und die Möglichkeit dazu verringern sich gerade rapide. Aber immerhin hat das Blau des Himmels etwas davon.
Dass in dieses Blau aufzubrechen und durch die Lüfte wie ein Vogel gleiten zu können ein alte Wunschvorstellung der Menschen ist, davon erzählt die Ausstellung „Wir heben ab. Bilder vom Fliegen von Albrecht Dürer bis Jorinde Voigt“ im Kupferstichkabinett. Sie eröffnet, ein Gruß an den BER, an diesem Wochenende. Und ist ganz aus der reichhaltigen Sammlung des Kupferstichkabinetts bestückt. Ein großer Vorteil in Pandemiezeiten, wie die Kuratorin Anna Marie Pfäfflin weiß. Wenn man schließen muss, wie es ja nun nach den neuen Verordnungen ab Montag der Fall ist, und später verlängern möchte, gibt es keine Komplikationen mit Leihverträgen.
Fledermaus vorm Besen einer Hexe
Eine Kulturgeschichte ganz aus dem eigenen Bestand machen zu können war für die Kuratorin auch ein Vergnügen. Zu suchen, wer sich alles in die gezeichneten Himmel erhob: Vögel und Insekten, Engel und Heilige, Götterboten der Antike, Hexen und Teufel, Akrobaten und Luftschiffer.
Ausstellung im Kupferstichkabinett, Kulturforum. Vorerst nur 31. 10. + 1. 11., 11–18 Uhr geöffnet. Zunächst geplant bis 21. Februar 2021. Zeitfensterticket notwendig, Buchung unter www.smb.museum. Katalog „Wir heben ab“, Wienand Verlag, Köln, 112 Seiten, 17 Euro
In der Auswahl, die mit viel Luft dazwischen gehängt ist, finden sich schöne Werke prominenter Künstler. Gustave Doré und Eugene Delacroix, den dunklen Seiten der Romantik zugetan, haben virtuose Bilder von Satan und Mephisto entwickelt, die voller Kraft über Städte und durch Sterne gleiten. Von Max Klinger stammt eine Aquatinta-Radierung, in der eine große Fledermaus vor den Besen einer Hexe gespannt ist, die mit fliegender Mähne durch die Lüfte braust. Ein Adler hilft auf einem anderen, sehr dramatischen Blatt Klingers, Prometheus zu entführen. Unheimlich sind auch die fliegenden Menschen, die Francisco de Goya 1815 unter weit gespannten Flügeln in eine Platte gestochen hatte.
Die Ausstellung, nach Themen und Epochen gegliedert, widmet sich mit wenigen Stücken auch den Anfängen der Luftfahrt. Darunter ist die Luftschifferin Madame Wilhelmine Reichardt, die mit dem Physiker und Aeronauten Gottfried Reichardt verheiratet war. Beide waren Pioniere der Luftschifffahrt. Gemeinsam bauten sie einen Gasballon, 1811 stieg Wilhelmine in Berlin das erste Mal auf. Wie sie mit einem Ballon sehr wagemutig über das Münchner Oktoberfest glitt, hat Joseph Siedler in einer Lithografie 1820 festgehalten.
Von Otto Dix und Wolf Vostell stammen Grafiken, die sich mit den Auswirkungen der Luftwaffe im Krieg beschäftigen. Bei Vostell sind die Starfighter nebeneinander aufgereiht, eine aggressive Form, die fast zu einem Ornament wird. Otto Dix zeigte in einer Radierung von 1924 die aufgerissenen Mauern eines von Fliegerbomben zerstörten Hauses, über die Leichen von Menschen und Tieren hängen.
Da ist man bei einer harten Seite der realen Luftfahrt angekommen. Der Traum vom Fliegen war glücklicher, solange er sich in der Fantasie entfalten konnte. Dem körperlichen Erleben, sich in der Höhe und der Luft bewegen zu können, gelten allerdings auch einige Grafiken von Akrobaten (von Fernand Legér und Paul Klee) und von Schaukelnden (Max Klinger). Sie thematisieren die Suche nach Leichtigkeit als ein Erlebnis, das für kurze Zeit fühlbar macht, wie etwas anderes als das an die Erde gebundene Leben möglich ist – ein utopischer, fantastischer, spielerischer Moment, der ganz für sich genügen kann. Und doch wird er in der Kunst oft genutzt, um Metapher zu werden für den Wunsch nach größerer Freiheit.
Vor der Schaukelnden von Max Klinger denkt die Kuratorin Anna Marie Pfäfflin denn auch an die Romanfigur Effi Briest von Theodor Fontane, die so gerne auf einer Schaukel saß. Und damit in den Augen ihrer Mutter schon etwas ungebührlich Wildes, Grenzüberschreitendes ausdrückte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers