Kumbh-Pilgerfest in Indien: Die vorläufige Millionenstadt
Zur Kumbh Mela erwartet die indische Stadt Allahabad am Sonntag 30 Millionen Menschen. Die Auswirkungen für die Umwelt könnten verheerend sein.
BERLIN taz | Gläubige Hindus aus aller Welt strömen derzeit in die nordindische Stadt Allahabad. Gemeinsam wollen sie beten, feiern und baden. Anlass dafür ist die Kumbh Mela, das weltgrößte Pilgerfest. Die Organisatoren müssen logistische Meisterleistungen vollbringen, und auch die Umwelt leidet unter den Menschenmassen.
Die Wallfahrt findet zwar alle zwölf Jahre in Allahabad statt. Doch nie zuvor waren so viele Menschen zu Gast wie in diesem Jahr: Im Verlaufe des 55-tägigen Festes wird die Stadt über 90 Millionen PilgerInnen beherbergen. Allein am Sonntag, dem Hauptbadetag, werden 30 Millionen Gläubige aus Indien und vielen anderen Ländern erwartet.
Der Höhepunkt für die PilgerInnen ist das reinigende Bad am Sangam, dem Ort, wo die Flüsse Yamuna und Ganges zusammenfließen. Hier verschütteten einer Hindu-Legende zufolge Götter und Dämonen bei einem Streit einige Tropfen des göttlichen Nektars der Unsterblichkeit. Wer hier badet, kann seine Seele reinwaschen und mit positiven Auswirkungen auf die Wiedergeburt rechnen.
Die Behörden versuchen, den heiligen Ort für die Pilgermassen sauber zu halten. Vor einem Jahr begannen sie mit den Vorbereitungen: Auf dem 25 Quadratkilometer großen Festivalgelände wurden 40.000 Toiletten gebaut, 324 Kilometer Wasserleitungen installiert und 770 Kilometer Stromleitungen verlegt.
Schattenseiten der Megacity
Damit die PilgerInnen zu den Badestellen kommen, hat die Stadt zudem 156 km temporäre Straßen angelegt, 70.000 Parkplätze geschaffen und 18 Brücken über die beiden Flüsse gebaut. „Um die Menschenmenge zu kontrollieren und einer Massenpanik vorzubeugen, haben wir uns für ein Einbahnstraßensystem entschieden“, erzählt Ashok Sharma, der Leiter des derzeit weltweit größten Medienzentrums. „Außerdem sind über 20.000 Polizisten im Einsatz, die Hälfte davon bewaffnet.“ Täglich fahren 40 Boote auf dem Fluss, die das Wasser von Tierkadavern, Opfergaben und sonstigen Abfällen des Pilgerfests befreien sollen.
Einige PilgerInnen sind beeindruckt von der relativ gut funktionierenden Infrastruktur. Doch in einer Stadt, die von jetzt auf gleich zu einer Megacity in der Größe des Großraum Tokio schwillt, gibt es dennoch Schattenseiten. Indische Zeitungen berichten täglich von Problemen mit der Trinkwasserversorgung, von der steigenden Zahl Magen-Darm-Erkrankter und einer Wasserqualität, die alles andere als zum Baden einlädt. „Während des ersten wichtigen Badetages im Januar wurde im Wasser ein biologischer Sauerstoffbedarf gemessen, der die Richtwerte um das Doppelte übersteigt“, erzählt Bharat Lal Seth vom Centre for Science and Environment (CSE) in Delhi.
Der Wissenschaftler und Journalist hat das Fest in den ersten Tagen besucht und festgestellt, dass viele Infrastrukturmaßnahmen noch nicht abgeschlossen waren. Er räumt aber ein, dass die Behörden wichtige Schritte unternommen hätten. „Das Industriezentrum in Kanpur, flussaufwärts von Allahabad, wurde vorübergehend geschlossen. Zudem wurden einige Dämme geöffnet, um mehr Frischwasser in die beiden Flüsse zu leiten.“
Die ökologische Nachhaltigkeit der Kumbh Mela zu fördern bezeichnet Gopal Patel als essenziell. Er ist Mitbegründer der neu gegründeten indischen Abteilung des Green-Pilgrimage-Netzwerks. Ziel des Netzwerks ist es, Empfehlungen für die Verminderung ökologischer Auswirkungen von religiösen Großereignissen auszusprechen.
Unabsehbare Folgen
Bei seiner Reise nach Allahabad war Gopal beeindruckt von der guten Organisation des Events. „Rund um die Uhr wurden die Straßen von Abfall befreit“, berichtete er. Doch wo der Müll abgelagert wird, sei nicht ersichtlich. „Für eine Stadt ist es ein enormer Aufwand, für einen kurzen Zeitraum so eine ausgeprägte Infrastruktur zu schaffen“, erzählt Gopal weiter. „Dafür ist es wichtig, die Vertreter von Religionsgemeinschaften mit städtischen Behörden an einen Tisch zu bringen.“
Der Handlungsbedarf ist groß. Denn was auf der Kumbh Mela passiert, bekommen nicht nur die PilgerInnen zu spüren. BewohnerInnen umliegender Dörfer berichten über eine gekappte Stromversorgung. Den vielen hunderttausend FabrikarbeiterInnen in Kanpur fehlt ihre Einkommensquelle.
Erst in ein paar Monaten wird man abschätzen können, welche ökonomischen und ökologischen Auswirkungen das Pilgerfest auf die umliegenden Gemeinden und die Umwelt hat. Bharat Lal Seth vom CSE hofft auf langfristigen Lösungen. „Die Kumbh Mela kommt und geht alle zwölf Jahre. Aber warum sollte der Fluss vorher und nachher dreckig sein dürfen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!