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Kulturwissenschaftlerin übers Lesen„Trösten kann auch dröge Theorie“

Erbauliche Lektüre: Die Kulturwissenschaftlerin Hanna Engelmeier kommt mit ihrem schönen Buch „Trost“ nach Göttingen.

Geht auch mit Theorie: Für viele Menschen hat Lesen tröstliche Effekte Foto: Boris Roessler/dpa
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Frau Engelmeier, wenn jemand Ihr Buch im „Lebens-“ oder oder auch „Selbsthilfe“-Regal im Buchladen des Vertrauens sucht – und vielleicht sogar darin findet: Wie froh wird er*­sie damit?

Hanna Engelmeier: Ich vermute, dass die­se*r Le­se­r*in wenn nicht unglücklich, dann zumindest auch nicht getröstet würde. Ich habe mir nicht angemaßt zu versuchen, Leuten in Krisensituationen Trost zu spenden. Sondern zu analysieren, in welchen Situationen Lektüre tröstlich wirken kann und was es mit einer vielleicht allgemeinen Trost-Funktion von Literatur auf sich haben könnte. Dabei ging es mir weniger darum, Trost als eine Art Heilungseffekt oder Reparaturverfahren für seelische Notlagen zu verstehen, sondern als ein ästhetisches Erlebnis. Da wäre es vermutlich für jemanden, der*­die konkrete Rezepte haben möchte, eine Enttäuschung.

Trotzdem gibt es diese Ebene, scheint mir: Das Buch handelt vom Zusammenhang von Lesen und Getröstetwerden. Und in so mancher Rezension – davon haben Sie ja nicht wenige bekommen –, stößt man auf die Sicht: Auch das Buch selbst hat durchaus tröstlich gewirkt auf die Rezensierenden.

Mich hat das gefreut, auch wenn mir Le­se­r*in­nen das geschrieben haben. Das hat mich auch sehr gerührt. Ich glaube, was an dem Text als tröstlich empfunden wird, ist der Beobachtungsmodus, den ich versucht habe mir dafür zu erarbeiten.

Worin besteht der?

Vor allem darin, bestimmte Regungen bei der Lektüre genau zu beschreiben, sie auch ernst zu nehmen. Eines der Themen ist ja, dass man sich oft dafür schämt, trostbedürftig zu sein – und dann auch noch zu lesen, ausgerechnet, um das zu kontern. Das gilt ja, zumal im akademischen Rahmen, als nicht unbedingt angemessen. Weil so ein Lesen nichts damit zu tun hat, einen Text analytisch zu durchdringen und dadurch Erkenntnis zu erzeugen. Sondern damit, ihn für ganz eigenen Zwecke und ganz subjektiv zu funktionalisieren. Trotzdem glaube ich, dass das immer wieder passiert – nicht nur bei erklärtermaßen erbaulichen Texten, sondern auch bei ganz dröger Theorie. Mit der sich ja, wer entsprechend gepolt ist, auch trösten kann.

Bild: Christian Werner
Im Interview: Hanna Engelmeier

38, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, hat über die Geschichte der deutschen Anthropologie zur Zeit der frühen Darwin-Rezeption promoviert. Seit 2014 schreibt sie für die Zeitschrift Merkur unter anderem eine Kolumne über „Körperliche Ertüchtigung“. Für „Trost“ erhielt sie den Clemens-Brentano-Preis für Literatur der Stadt Heidelberg 2022.

Also, bei mir rennen Sie da die sprichwörtliche offene Tür ein …

Ich glaube, das Tröstliche daran könnte unter anderem sein, dass bestimmte Lese- oder auch Lebenssituationen als wiedererkennbar erscheinen. Und Identifikation spielt sicherlich eine Rolle. Es könnte also sein, dass einige Le­se­r*in­nen solche Identifikationsmomente hatten. Und dann trete ich im Buch ja auch dafür ein, dass das in Ordnung ist, dass es eine schützenswerte Art zu lesen ist, für die man sich nicht zu schämen braucht – dass es in Ordnung ist, trostbedürftig zu sein und sich damit auch an Texte zu wenden, und zwar ausdrücklich Texte aller Art.

Wie ist das Buch überhaupt entstanden?

Ich habe halt etwas, das bei mir selbst vorkommt, auch bei anderen beobachtet: ein Phänomen, das auch teilweise benannt wird, aber nur selten ausgearbeitet wird; schon deshalb, weil Trost sehr subjektiv und partikular ist. Deshalb scheint dieses Phänomen erst mal wenig theoriefähig oder objektivierbar zu sein. Das hat mich herausgefordert, weil ich dachte: Man muss es aber doch irgendwie eingrenzen können. Also habe ich versucht, diese Grundidee – das ist etwas rein Subjektives – besonders ernst zu nehmen; und in meinem Schreibverfahren abzubilden.

Was genau heißt das?

Dass ich mir erlaube, subjektiv zu schreiben und auch gar nicht zu behaupten, dass es nicht subjektiv sei – sondern zu sagen: ja, es ist subjektiv und man kann das ernst nehmen. Das heißt aber nicht, dass das Gesagte nicht auch intersubjektiv nachvollziehbar wäre und nicht auch zu Erkenntnissen führte.

Nun ist ja der Trost durchs Lesen – oder der Trost des Lesens – das eine. Und dann gibt es, komplementär oder darin verschränkt, auch den Trost des Schreibens. Sie haben von beidem kosten können, könnte man sagen – hat das Buch zu schreiben Sie selbst überraschende tröstliche Effekte gezeitigt?

Es gibt seit der Antike eine Auseinandersetzung mit dem Schreiben als einer sogenannten Selbsttechnik. Also als ein konventionalisierten Verfahren, das hilfreich ist, um sozusagen seelisch oder geistig in Ordnung zu kommen und Dinge, die man erlebt und die einen vielleicht auch angreifen, zu bearbeiten und damit auch zu verarbeiten. Insofern ist Schreiben sicherlich dem ganzen Bereich des Trostes ohnehin nahe, weil das, was ich als Trost beschreibe, in gewisser Weise auch eine Technik ist. Für mich war die Arbeit an dem Buch trotzdem auch sehr anstrengend: Es hat relativ lange gedauert, ich habe mehrere Jahre daran gearbeitet, nicht am Schreibvorgang selbst, das geht relativ schnell.

Aber?

Das Entwickeln eines Verfahrens, in dem ich ja auch teilweise sehr heterogene Elemente miteinander kombiniere und mich dazu dann auch noch selbst positioniere: Das war sehr aufwendig und hat viele Schleifen gebraucht, viel Abwägungsarbeit und auch viel, ja, Diskussionen mit meiner Lektorin oder meinem Lektor, aber auch mit Freundinnen und Freunden, die das Buch in allen möglichen Aggregatzuständen gelesen haben. Das wäre für mich ein weiterer wichtiger, tröstlicher Effekt.

Nämlich?

Dass man mit so einem Text, an dem man mit vielen Leuten arbeitet, eine bestimmte Form der Kommunikation und der Gemeinschaft auch herstellt. Für mich ist das am Schreiben nicht nur dieses Buches fast das Wichtigste: dass es zu einem Austausch kommt mit anderen Leuten, die sich für das Gleiche interessieren – oder sich vielleicht noch nicht dafür interessieren, aber dann dadurch, dass man darüber schreibt, dafür interessieren können.

Das Buch

Lesung und Gespräch (Moderation: Peer Trilcke): Fr, 20. 5., 20 Uhr, Literaturhaus Göttingen

Hanna Engelmeier: „Trost. Vier Übungen“. Mattes & Seitz, Berlin 2021, 198 S., 20 Euro; E-Book 13,99 Euro

Strukturiert ist das Buch in vier „Übungen“ (zuzüglich eines Nachsatzes, in dem ein Dackel eine wichtige Rolle spielt). War das von Anfang an klar?

Ja, das ist eine frühe Idee gewesen. Was in den einzelnen Kapiteln behandelt wird, hat sich im Laufe der Arbeit stark verändert. Aber die als „Übungen“ zu bezeichnen, stand relativ früh fest. Das war vielleicht auch eine Art Vorsichtsmaßnahme, um mir selbst zu vermitteln, dass diese Exerzitien, die es ja auch sind, durchaus etwas Vorläufiges haben. Und mir selbst zu vermitteln, dass ich das Buch nicht in Stein meißele. Und mir dadurch etwas von der von der Last zu nehmen, dem Gewicht der teils ja sehr großen Fragen, die darin vorkommen. Gleichzeitig ist es auch ein Wortspiel, es klingt das Genre des Essays an, aber eben auch die geistlichen Exerzitien.

Es kann dabei auch eine Form von Scheitern geben – erst das Üben führt ja, wenigstens der Redensart zufolge, zur Meisterschaft. Im Kapitel zum Autor David Foster Wallace referieren Sie dessen Gedanken, dass der gescheiterte Text eigentlich der bessere sei, weil er nach einem nächsten Text verlangt, der „den Trost bereithält, vielleicht besser zu werden“. Wenn Sie das Buch jetzt noch mal schreiben dürften oder müssten, würde es schon wieder anders geraten?

Das ist für mich tatsächlich ein sehr wichtiger Gedanke. Für mich ist ein fertiger Text einer, den ich an einem bestimmten Punkt loslasse; bei dem ich denke: Ich kann für diesen Text jetzt nichts mehr tun – weil ich erst mal alles gegeben habe. Klar: Manchmal muss man Texte, das wissen Sie ja selbst, abgeben, wenn man an diesem Punkt noch nicht ist. Aber idealerweise sagt man: Ich kann jetzt nichts mehr tun. Und gleichzeitig ist immer klar, zumindest bei der Art und Weise, wie ich schreibe oder was ich mache: Es könnte immer ein bisschen anders sein. Der Text behält also eine Art Offenheit, in die sich im besten Fall das Publikum einschreiben kann in der Lektüre; eigene Dinge ergänzen oder ihn ablehnen, ihm widersprechen kann. Und ja: Für mich ist jeder Text immer haltbar bis zum nächsten.

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