Kulturszene in Sachsen und die AfD: Generalstreik in Radebeul

Der Rechtsaußen Jörg Bernig wurde zum Kulturamtsleiter in der sächsischen Kleinstadt gewählt. Die Kulturszene reagiert mit einem Protestbrief.

Ein Junge schaut durch ein Loch einer Pappwand mit Old Shatterhand.

Fotowand im Karl-May-Museum Radebeul: Der Ort bei Dresden ist ein beliebtes Tourismusziel Foto: Peter Hirth/laif

Wer von Dresden nach Radebeul telefonieren will, benötigt keine Vorwahl. Im Westen Dresdens müssen gelbe Ortsschilder an den fließenden Übergang zwischen den Nachbarorten erinnern. Sie erinnern auch an den fragenden Volkswitz, ob Radebeul eine Vorstadt von Dresden sei oder umgekehrt.

Ein Hinweis darauf, dass die Radebeuler stolz sind auf die Eigenständigkeit ihrer für eine Stadt von 34.000 Einwohnern ungewöhnlich breiten Kulturszene, ja sogar auf eine „Radebeuler Lebensart“, wie der erst 33-jährige Vorsitzende des Kulturvereins, Björn Reinemer, formuliert. Die sollte keineswegs nur als Ausläufer der angeblichen Weltkulturhauptstadt Dresden gelten.

Radebeul leistet sich denn auch als einzige Stadt im Landkreis Meißen ein Kulturamt. Das brachte die Stadt nun auch überregional in die Schlagzeilen, weil der Stadtrat in der vorigen Woche geheim und mit knapper Mehrheit den weit nach rechts abgedrifteten Lyriker Jörg Bernig zum neuen Kulturamtsleiter wählte. Über ein Jahr wurde kein Nachfolger für den nach langer Amtszeit 2019 zurückgetretenen Alexander Lange gefunden, der jetzt die Städtische Galerie leitet. Dem Personalvorschlag des CDU-Fraktionschefs Ulrich Reusch folgten offenbar auch die AfD und zwei weitere Stadträte, über die noch spekuliert wird.

Auch Tage danach dominiert noch die Überraschung über diesen Coup. Vielleicht fiel deshalb das spontane Echo unter nahezu allen, mit denen Bernig als künftiger Amtsleiter zusammenarbeiten müsste, so heftig aus. Mittlerweile haben 350 Künstler und Kulturschaffende den offenen Protestbrief unterzeichnet, der die Wahl als schädlich für Radebeul bezeichnet.

Vor neuerlicher Wahl

Unter ihnen der hochbetagte ehemalige Präsident des Sächsischen Kultursenats, Bernhard Freiherr von Loef­fel­holz, vor 1989 immerhin Spitzenbanker der Dresdner Bank und Vorsitzender des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft. Kirchenvertreter, Ärzte, Gastronomen und Wissenschaftler gehören ebenfalls zu den Unterzeichnern. Erst unter diesem Druck hat der parteilose Oberbürgermeister Bert Wendsche am Montag sein Veto eingelegt. Am 15. Juni soll die Wahl wiederholt werden.

Kulturleute zeigen sich auch deshalb betroffen, weil die Stadtratsentscheidung nicht die auch hier divergierenden Stadtmilieus widerspiegelt. Mit 19,1 Prozent Wählerstimmen und sechs von 34 Stadträten bleibt die AfD unter dem Sachsendurchschnitt. Gastronomen und Händler in Altkötzschenbroda, dem elbnahen Ortsteil der Touristen und der großen Feste, haben mit einer Aktion „Wir machen blau“ schon gegen penetrante AfD-Agitation protestiert. Nicht, weil sie überzeugte Linke wären, sondern weil sie dieses Auftreten für geschäftsschädigend halten.

Die langgezogen an der Meißner Landstraße zwischen Elb­ufer und Weinhängen gelegene Stadt gilt zwar als konservativ, aber eher im besten kulturbürgerlichen Sinn. Bei den Besuchen der Landesbühnen Sachsen, die hier ihr Stammhaus haben, bekommt man davon einen Eindruck. Das Haus an der Weintraube ist beliebt, der Spielplan mit Rückgriffen auf Brecht oder Heiner Müller und brisanter Gegenwartsdramatik durchaus ambitioniert, aber die Inszenierungen überfordern auch niemanden.

Im Namen Karl Mays

Eine deutsche Legende steht synonym für den Ruf und den Namen Radebeuls. Der Volksschriftsteller Karl May und seine Frau Klara lebten lange hier. Seine Villa „Shatterhand“ beherbergt das Karl-May-Museum, ein Anziehungspunkt, wenn auch wegen der Kündigung des Direktors derzeit in schweren Gewässern. May, sonst gern von Deutschnationalen vereinnahmt, dient interessanterweise den Verfassern des Protestbriefs gegen die Wahl Bernigs als Kronzeuge „für Toleranz, Weltoffenheit und kulturellen Austausch“.

Der erste Name unter dem Brief lautet Helmut Raeder, seit drei Jahrzehnten Organisator der großen Radebeuler Kulturfeste. Und vor allem der jährlich zu Himmelfahrt üblichen Karl-May-Festtage im Lößnitzgrund.

Den Protest hält Raeder auch für einen wichtigen „Teil der demokratischen Willensbildung, nachdem die AfD auf die demokratische Wahl Bernigs pochte. Allerdings spricht auch er vom Platzen einer möglichen „Illusionsblase“ in einer Stadt, die zwar viel weniger piefig-kleinstädtisch sei als die meisten dieser Größe, in der aber trotzdem jede jeden zu kennen meinte.

Man kennt zum Beispiel den Maler, Publizisten und Bernig-Freund Sebastian Hennig als glühenden Pegida-Verehrer. Man weiß, dass der Landesvize der Werte-Union, Sven Eppinger, in der Stadtratsfraktion über Einfluss verfügt. Im Goldenen Anker in Altkötzschenbroda bestritt Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen für die Werte-Union im August des Vorjahres eine Wahlkampfveranstaltung, die sich in Nichts von einer der AfD unterschied.

Wein und Gesang

Aber eben dieses Altkötzschenbroda steht für eine in der Zeit von Amtsleiter Lange aufblühende aufgeklärte Kunstszene, kleine Galerien und interessante Läden sowie für das große Wein- und Straßentheaterfest im Herbst. Sechzig Bildende Künstler wohnen inzwischen in Radebeul. Die Verquickung von Natur, Weinbau und Kultur hat neben Spitzenkönnern von Bühne und Musik auch das Ehepaar Biedenkopf nach dem Rücktritt des früheren sächsischen Ministerpräsidenten inspiriert, hier eine Zeit lang zu wohnen.

Der Schauspieler „Fiete“ Junge oder der Schlagzeuger „Baby“ Sommer ergänzen mit privaten Veranstaltungsreihen das städtische Angebot. Einer der Aufsässigen der späten DDR, der Künstler Reinhard Zabka, hat in Serkowitz ein skurriles „Lügenmuseum“ eingerichtet. Sternwarte und Stadtbibliothek verdienen ebenfalls eine Erwähnung. Das Staatsweingut Schloss Wackerbarth und die Hoflößnitz gelten unter Weinfreunden im Elbtal als kulturelles und kulinarisches Mekka.

Fast in der Bedeutungslosigkeit versunken sind allerdings die Erben Karl Mays. Zu DDR-Zeiten blühte hier bei den „Old Manitous“ die Hobby-Indianistik, die Sehnsucht nach dem Wilden Westen und dem Westen überhaupt. In Lindenau gibt es noch ein Gelände mit einem Saloon.

Unter Schock stehend starrt die Kulturszene nun mit gemischten Gefühlen auf die Wahlwiederholung am 15.Juni. Bernig und seine verwaltungserfahrene Kontrahentin aus dem Erzgebirge werden absehbar wieder antreten. Es könnte bei gleichem Personal auch wieder gleich ausgehen, wird befürchtet. Wer Jörg Bernig noch aus seiner Zeit als ernst zu nehmender Dichter und Wissenschaftler kennt, bevor er zu Tumult, Sezession und „Umvolkungs“-Ideologien driftete, versteht nicht, dass er nicht von sich aus zurückzieht. „Mit wem will er denn zusammenarbeiten, wenn sich alle verweigern“, ist immer wieder zu hören.

Bernig aber schweigt. Und die AfD, immer für eine Kabarettnummer gut, weiß inzwischen, wer an der erneut angesetzten Wahl schuld ist. CDU-Generalsekretär Alexander Dierks erinnere mit seiner Aufforderung an den Stadtrat, „sich mit der Personalie noch einmal auseinanderzusetzen“, an totalitäre Zeiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.