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Kulturpolitik in der VW-Stadt WolfsburgKein Raum mehr für kritische Kunst

Nach dem Rauswurf des Kunstmuseum-Leiters Ralf Beil ist in Wolfsburg auch die City Gallery des Kunstvereins gefährdet.

Wurden zum Ende des Jahres 2018 gekündigt: Die Räume der City Gallery Foto: Bettina Maria Brosowsky

Wolfsburg taz | Arbeiten für VW: Das ist wie Nordkorea. Diesen Spruch des mittleren Managements hört man mitunter in Wolfsburg. Allerdings wird ein Unterschied klargestellt: Statt der Androhung eines Straflagers sorgen üppige Gehälter für die bedingungslose Loyalität zum Dienstherren. Wer sich nicht daran hält, auch wenn er nicht unmittelbar auf der Gehaltsliste von VW steht wie der gerade vorzeitig entlassene Direktor des Wolfsburger Kunstmuseums, Ralf Beil, spürt die Härte des Systems.

Beil hatte etwa im Kontext seiner Ausstellung „Wolfsburg Unlimited“ im Mai 2016 auch ein Symposion veranstaltet, das Leben und Werk des jüdischen Automobilkonstrukteurs und Motorjournalisten Josef Ganz würdigte. Er zählt mit anderen Entwicklern zu den geistigen Vätern des VW-Käfers.

Am Ende der Veranstaltung ging ein leichtes Raunen durch den Raum, denn vielen war klar, dass mit dem österreichischen Automobildesigner Erwin Komenda eine mögliche weitere Leiche im Giftschrank lagert. Der Urheberrechtsprozess seiner Erben gegen Volkswagen hat im vergangenen November begonnen. Komendas Tochter Ingrid Steineck will, dass ihr Vater als Entwicklers des Käfer-Designs anerkannt wird.

Ebenfalls nicht auf der Gehaltsliste von VW stehen der Kunstverein Wolfsburg und sein Team. Dessen vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördertes Jahresprogramm ist stets politisch und gesellschaftskritisch untermauert, 2019 geht es um Utopie und Regulierung in der digitalisierten Welt.

Streit um Autokritik

Im Streit haben sich das Kunstmuseum Wolfsburg und dessen Direktor Ralf Beil im Dezember getrennt. Der Vertrag mit Beil sei zum 30. Juni 2019 gekündigt, ab sofort sei er von seinen Dienstpflichten freigestellt worden, teilte das Museum am 14. Dezember mit. Einer einvernehmlichen Aufhebungsvereinbarung habe Beil nicht zugestimmt.

Beils Nachfolger wird der bisherige Leiter des Ludwig Forums für Internationale Kunst in Aachen, Andreas Beitin. Beitin wird das Amt zum 1. April 2019 übernehmen. Bis dahin ist das Kunstmuseum wegen Sanierungsarbeiten geschlossen.

In einer E-Mail beklagte Beil seinen Rauswurf und bedauerte, zwei große Ausstellungen im kommenden Jahr nicht mehr betreuen zu können: „Die künstlerische Freiheit dafür ist am Kunstmuseum Wolfsburg offenbar nicht mehr gegeben. Unlängst verlautete von Dritten, dass ‚das Museum den Konzern unterstützen sollte‘. Hier haben sich die Akzente seit meinem Amtsantritt massiv verschoben, denn damals waren mir kuratorische Freiheit und Unabhängigkeit fest zugesichert worden …“

Träger des Kunstmuseums ist die Kunststiftung Volkswagen. Dieses Jahr feiert es sein 25-jähriges Bestehen.

Ob Beils programmatische Ausrichtung Anlass für den Streit war, ist unklar. Für den Herbst 2019 hatte Beil eine Ausstellung geplant, die sich kritisch mit dem Autozeitalter und seinen Auswirkungen auseinandersetzen sollte: „Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“.

2016 unterzeichneten Volkswagen und die Stadt Wolfsburg das „Memorandum of Understanding #WolfsburgDigital“, um den VW-Standort zur digitalen Großstadt auszubauen. Für den Kunstverein Anlass genug, sich etwa mit dem unkontrollierten Machtzuwachs weniger Internetmonopolisten auseinanderzusetzen. Ab dem 21. Februar geht die erste Ausstellung des Programms, Titel: „spiritual * digital“, quasi-religiösen Aspekten einer „realen Virtualität“ (Bazon Brock) nach.

Seit Ende 2011 hatte der Kunstverein zudem eine kleine, pointiert programmatische Dépendance im Alvar Aalto Kulturhaus betrieben, seine „City Gallery“. Damals verfolgte die Stadt hochfliegende Pläne: In einem „Bildungshaus“ (neuerlich eines finnischen Architekten) sollten Bibliothek, Volkshochschule und die „Neue Schule“ gemeinsam Räume finden. Der weniger geliebte Aalto-Bau, Standort der Bibliothek, sollte aufgeben werden.

Da kam der Kunstverein als kultureller Leerstandsfüller gerade recht,. Das Ganze wurde Ende 2011 in einem „Kulturentwicklungsplan“ als Schlüsselprojekt zur Förderung zeitgenössischer Kunst festgeschrieben. Nun ist Papier geduldig, und Vereinbarungen sind es sowieso, wenn die Verantwortlichen wechseln.

Da sich zudem die Wolfsburger Kassenlage aufgrund der Dieselskandale derzeit nicht ins Unermessliche entwickelt, wird zurückgerudert: Kein „Bildungshaus“ mehr – und Kündigung der City Gallery zum Jahresende 2018, da Raumbedarf für die Bibliothek. Damit einher soll die Reduzierung des städtischen Zuschusses für den Kunstverein gehen.

Es steht aber mehr auf dem Spiel als Geld oder ein Raum, betonten die Verantwortlichen des Kunstvereins, die kurzfristig zum Pressegespräch luden. Das lediglich 32 Quadratmeter kleine, ehemalige Blumengeschäft im Aalto- Bau war zum öffentlichkeitswirksamen Kunst-Schaufenster erblüht, in sechs Jahren wurden über 50 vorwiegend junge, internationale Positionen gezeigt. Performances, DJing oder die „Donnerstagsbar“ für VW-Pendler sorgten mit Pop-up-Formaten für agile Momente jenseits bürgerlicher Kultur, so, wie es einer Großstadt gut ansteht.

Es wird auf Sicht gefahren, niemand denkt über morgen hinaus.

Und: Zwei junge Kurator*innen konnten sich hier erste professionelle Sporen verdienen. Die City Gallery wurde trotz ihres Lowest-Budget-Betriebs zur renommierten Ausbildungsstätte. Das alles gibt es nun nicht mehr, bislang liegen auch keine praktikablen Alternativangebote von Seiten der Stadt vor. Mehr noch: Für die gesamte Kulturentwicklung, etwa auch des Standortes Schloss Wolfsburg, scheint niemand einen vernünftigen Plan zu haben, sagt Axel Bosse, Kassenwart im Kunstverein. Der Ex-VW-Maschinenbauer war über zehn Jahre als Grüner in der Kommunalpolitik tätig.

In der Autobauerstadt wird kulturpolitisch auf Sicht gefahren, niemand denkt über morgen hinaus. Und dennoch leistet man sich Spielereien, wie den quietschgrünen E-Mobility-Werbe-Kubus am Bahnhof. Das 1,3 Millionen Euro teure Gebäude und seine zusätzlichen Betriebskosten haben es 2017 ins Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler geschafft. Warum nicht Kunst hier einziehen lassen – so sie es uns wert ist?

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