Kulturerbe Roggensauerteiglaib: Alle Wege führen zum Brot
Der Roggensauerteiglaib ist das führende Produkt der Slow-Food-Bewegung im Kärtner Lesachtal. Er ist auch immaterielles Weltkulturerbe.
Der Duft schleicht sich fast unbemerkt durch die Nase ins Hirn. „Heimelig“, signalisiert er, „warm und lecker“. Er kommt aus dem Backofen, in dem sich das Brot seiner Vollendung nähert. Wenig später öffnet Rosa Lanner – schlank, kurze silberne Haare, eine blitzblanke weiße Schürze über der blauen Bluse – die Tür. Und prompt entweicht noch mal ein ganzer Schwall von Aromen. Nussig, fruchtig-säuerlich, würzig wie Koriander- und Fenchelsamen, ein Hauch von Kümmel. Und dann kommt das Brot in Sicht. Acht längliche Körbchen haben die Laibe in Form gehalten, die die Seniorchefin des Hotels Wanderniki in Obergail im Lesachtal nun auf das große Holzbrett stürzt. Mattmittelbraun ist die Kruste, etwas verwischt, aber noch zu erkennen der Herz-Jesu-Stempel – den hatte Lanner noch im letzten Moment in den fertig geformten Teig gedrückt.
Empfohlener externer Inhalt
Wie gern würden wir nun gleich kosten, zumal wir dieses besondere Brot praktisch selbst hergestellt haben! Doch flink schlägt uns die Wirtin auf die Finger. „12 Stunden muss das jetzt ruhen“, sagt sie. „Der Geschmack muss von der Kruste in die Krume wandern.“ Es bleibt der knurrende Magen und die Vorfreude auf das nächste Frühstück.
Wir sind nicht die einzigen Gäste, die die Backstube unter Anleitung von Rosa Lanner mitnutzen dürfen. Ihre Workshops zur „Kunst der Brotbackens im Lesachtal“ bietet sie regelmäßig an. Und sie ist auch nicht die einzige Bewohnerin dieses versteckten Tals im österreichischen Kärnten, die ihr Familienrezept an Interessierte weitergibt. Denn auch wenn es so viele Varianten gibt wie Bauernhäuser: Die Menschen hier wissen ihr Brot zu schätzen – und dass es nicht nur Spaß macht und ein bisschen Geld bringt, das Handwerk weiterzugeben, sondern wichtig für das ganze Tal ist.
Anreise Mit der Bahn von Linz/München via Salzburg und Bischofshofen nach Spittal/Millstättersee, umsteigen nach Oberdrauburg. Dann mit dem Bus nach Kötschach-Mauthen und von dort ins Lesachtal. Kärnten hat auch einen Last-Mile-Service: ein rund um die Uhr zu buchendes Bahnhofshuttle etwa von Lienz oder Oberdrauburg https://www.bahnhofshuttlekaernten.at/
Vor Ort Gut ausgebautes Bussystem im Lesachtal. Fahrpläne: https://mobilbuero.com/fahrplaene/ Mit der LesachtalCard sind sie kostenfrei zu nutzen: https://www.lesachtal.com/de/Unterkunft-finden/Gaestekarten/Lesachtal-CARD Das Angebot an Unterkünften ist klein, aber fein. Zu buchen sind Zimmer in Ökohotels, Berggasthöfen und Bauernhöfen, die teils auch Ferienwohnungen haben. Auch einige Privatzimmer sind im Angebot https://www.lesachtal.com/
Denn das Lesachtaler Brot ist mehr als ein Grundnahrungsmittel. Mit seiner Wertschöpfungskette steht es für Kultur und Geschichte der Region, für die Verquickung von Wissen, Traditionen, Ritualen, Spirituellem, Sprache und Landschaft, sogar für baukulturelle Elemente. So ähnlich steht es in der Begründung der Unesco, die es 2010 in die Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen hat. Sie hält für schützenswert, wie die Lesachtaler über Jahrhunderte die Herausforderungen des harten Lebens gemeistert haben: Wie und wann säe ich das richtige Korn, wie löse ich Transportprobleme, wie mahle ich das geerntete Getreide, wie mache ich das wiederum bekömmlich und haltbar – eigentlich also: Wie überleben wir hier?
Vom täglichen Brot
Diese Zusammenhänge sind auch der Slow-Food-Bewegung wichtig. Deren Anhänger:innen setzen sich weltweit dafür ein, dass jeder Mensch Zugang zu Nahrung hat, mit der es ihm, aber auch den Produzent:innen und der Umwelt gut geht. Die hochwertig ist und in regionalen Kreisläufen sauber und fair hergestellt wird. Sie hat das Lesachtaler Brot zum sogenannten Presidio ernannt. Das sind Lebensmittel, die nach diesen Prinzipien erhaltenswert erscheinen, aber Gefahr laufen zu verschwinden, weil das Wissen um ihre Herstellung verloren geht.
Beide Auszeichnungen helfen, Förderungen zu bekommen. Sie nehmen die Lesachtaler von heute aber auch in die Pflicht. Und dabei geht es eben nicht nur um das Zusammenrühren des Teigs mit dem Schååwa, dem Teigschaber, oder um das Ansetzen des Sauerteigs, der das Roggen-Weizenvollkorn-Gemisch bekömmlicher und aromatischer macht. Nein, es beginnt schon mit dem Anbau des Getreides: Alte Kultursorten wie der Weizen Kärntner Früher oder der Oberkärntner Winterroggen sind an die Landschaft angepasst, wo Höfe und Felder der Bergbauernfamilien auf Hangterrassen in bis zu 1.427 Meter Seehöhe liegen und bei weitem nicht alles wächst.
Bei den langen, kalten Wintern müssten gut abgepasst werden, wann man anbaut und wann erntet, erklärt Helene Lugger. Sie trägt die blonden Haare kurz, Jeans, Sneakers und einen leuchtendroten Anorak gegen den aufziehenden Regen, als sie uns zeigt, wie die Müllnerbauern das Problem früher gelöst haben: Weil wenig Zeit war, die Ernte zu verarbeiten, bevor der erste Schnee kam, errichteten die Landwirte am Hang eigene Mühlen, in denen das Korn gleich gemahlen werden konnte. „Das Lesachtal hieß früher das Tal der hundert Mühlen“, sagt Lugger. Angetrieben wurden die Mühlen vom Wasser der überall herabströmenden Bäche. Und sie konnten viel mehr als Mehl herstellen: Über findige Konstruktionen trieben sie auch Seilbahnen an, die Saatgut und Gerätschaften nach oben, geerntetes Getreide und Mehl ins Tal transportieren konnten.
Noch heute gehört den Luggers selbst eine der letzten Mühlen in Maria Luggau, das mit seiner Wallfahrtskirche das religiöse Zentrum und mit seinem großen Bauernladen auch das Schaufenster der hiesigen Erzeugnisse ist. Sie haben den Mühlenverein mitgegründet, dem Helenes Schwiegervater Mario Lugger derzeit vorsitzt. Seine Mitglieder wollen das Wissen über den Bau der Mühlen, die dahinterstehende Technik und das Müllerhandwerk bewahren und weitergeben.
Altes Wissen
Das sei oft gar nicht so einfach, sagt Lugger, während sie vorführt, wie sie mit einem Handgriff das Wasser aus der offenen Holzleitung auf das Mühlrad umlenkt. „Jetzt wird es laut“, ist gerade noch zu hören, bevor ein gewaltiges Stampfen und Knirschen losgeht: Das Korn rieselt zwischen die schweren Steine und fällt als Mehl über ein ausgeklügeltes System in ein großes Sieb über einem Kasten, das die Kleie, das gröber und das feiner gemahlene Mehl wie von Zauberhand sortiert. Kleinere Schäden und Verschlisse könne man selbst reparieren, so Lugger. „Aber wenn mal ein Mühlstein bricht, wird es schwierig. Das gesamte Wissen liegt ja im Erfahrungsschatz der Leute hier, die zum Teil schon sehr alt sind, und kann von niemand anderem eingebracht werden.“
Im Moment reicht das Lesachtaler Mehl nicht aus für all das Brot, das die Bäuerinnen, Gastwirte und nicht zuletzt der Bäcker in Maria Luggau backen. Zur Not weiche man eben auf Kärntner Biomehl von außerhalb aus, sagt Nikolaus Lanner pragmatisch. Lanner ist der Sohn von Rosa, Namengeber und Inhaber des Öko-Alpenhotels Wanderniki und nicht zuletzt auch Vorsitzender des örtlichen Tourismusverbandes. Das Lesachtaler Brot sei „nichts Museales, sondern gelebte Tradition und Kultur“. Das versuche er auch den anderen Tourismusaktiven im Tal zu vermitteln, damit sie weniger Scheu haben, die Idee mitzutragen und weiterzuentwickeln. „Es ist nicht immer einfach“, sagt Lanner. „Viele müssen auch erst einmal sehen, was sie davon haben.“
Ein Weg dazu sind Hoffeste, die im Wechsel bei den verschiedenen Betrieben stattfinden, glaubt er. Dort könne jede:r die eigenen Besonderheiten präsentieren. Auf dem Gailerhof in Niedergail funktioniert das an diesem Samstag ganz wunderbar. Der Regen stört hier niemanden, man rückt einfach unter dem Vordach und den beiden blauen Zelten zusammen. Die Bäuerin schleppt noch einen zusätzlichen Klapptisch und Bänke in die Stube. Platz wird gemacht. Schließlich sollen alle mitkriegen, wie wunderbar der Kuchen aus dem Café „Kuhle Einkehr“ schmeckt, der hier dem Brot ein bisschen die Show stiehlt. Wir wollen noch mal raus, Nachschlag holen. Hallo, juchhe, kein Problem. Bringts mir noch den Zirbenschnaps! Denn auch das gehört zum Lesachtal: Feste wollen begossen werden. Das Schnapsregal im Hofverkauf Maria Lugaus ist nicht das schmalste.
Wer mehr Höfe und Betriebe an einem Tag erleben will, kann das auf dem Brot- und Morendenweg machen – und gleich mit Bewegung verbinden. Auch das Wort Morende gehört zur spezifischen Kultur des Tales. Es leitet sich vom Italienischen ab. „Geamo Morenden“, soll es geheißen haben, wenn die Bauernfamilien zusammenkamen und ihre traditionellen selbst hergestellten Gerichte speisten. Die rund dreieinhalb Stunden lange Wanderung führt an Stationen vorbei, an denen es Bergkäse, Speck, Schlipfkrapfen, Stockblattln und natürlich das Brot gibt – wie jetzt auch endlich im Wanderniki. Der Geschmack? Knusprig die Kruste, würzig die Krume. Lecker. Und mehr braucht's jetzt gerade auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?