Altes Mehlmahlhandwerk: Das Ur-Brot der Kanaren

Francisco Cabrera mahlt in seiner Mühle auf Fuerteventura wie seine Vorfahren geröstetes Gofio. Es heißt, dieses Mehl habe einst den Hunger besiegt.

Ein Mann mit sonnengebräuntem Gesicht sitzt vor einem Haus

Francisco Roman Cabrera Oramas betreibt seine Mühle aus dem Jahr 1846 noch wie damals Foto: Jan Söfjer

FUERTEVENTURA taz | Francisco Román Cabrera Oramas steht auf einem seiner Windmühlenräder und rafft den Stoff des untersten Flügels zusammen. Zehn Meter ist die Mühle hoch, acht Meter misst jeder der sechs Flügel. Wer von ganz oben abstürzt, fällt viele Meter tief. Cabrera weiß von den Verunglückten, von den Müllern, die mitgerissen wurden – weil sie unachtsam waren und ein Windrad sich in ihrer Kleidung verfangen hat. Seine Windräder sind gesichert und können sich nicht drehen. Außerdem trägt der 44-Jährige eine klassische Müllertracht: eine weiße Hose, ein weißes Hemd und eine weiße Weste, alles von seiner Mutter aus Leinen handgefertigt. Sollte ein Flügel ihn erwischen, würde der Stoff seiner Kleidung einfach zerreißen, statt ihn mitzuzerren.

Der Wind auf Fuerteventura kann stark sein, „bis zu 120 Stundenkilometer“, sagt Cabrera. Das ist Windstärke zwölf, ein Orkan. Die Mühle wurde 1846 gebaut, Francisco Cabreras Eltern kauften sie 1964 für 30.000 Peseten und zwei Kälber. Windmühle heißt auf Spanisch „molino“, diese heißt aber „molina“: La Molina de la Asomada. Molinos und Molinas sind verschiedene Arten von Windmühlen. „Die männliche Molino ist steifer und stabiler. Die weibliche Molina ist fragiler, aber elastischer und flexibler zum Wind“, sagt Cabrera. Sie kann mit mehr Energie umgehen. Der Kopf der Molina ist nicht starr verankert. Ist der Wind sehr stark, hebt er den ganzen Mühlenkopf mit Windrädern leicht an. Die Molina geht mit dem Wind.

Cabrera steigt vom Dach herunter. Unter seinen Füßen liegt die Wüstenerde Fuerteventuras. Sechs Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Puerto del Rosario reicht der Horizont bis zu den beigefarbenen Vulkanhügeln in der Ferne. Es ist still. Cabrera betritt das Innere der Mühle, die zum Kulturgut von Fuerteventura erklärt wurde. Er arbeitet ohne Strom und Motoren, nur mit Windkraft und alter Handwerkstechnik. Gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos und Werkzeuge hängen an den weiß getünchten Wänden, Sägen, Hämmer und Zangen. In der Mitte des Raumes stehen die Mühlensteine eingerahmt in einer Holzkonstruktion. Hier mahlt Francisco Cabrera das Gofio. Das ist der Name des Mehls, aber auch eines kanarischen Ur-Brots, wobei man eher von einer Teigpaste sprechen muss, die ungebacken gegessen wird – entweder süß oder salzig. „Gofio ist das älteste Essen der Insel. Das gab es schon vor den Spaniern“, sagt Cabrera.

„Das Aroma von Gofio, das mit Milch vermischt unsere Küche durchdringt, sehr heiß zum Frühstück, das sind liebenswerte Erinnerungen für kanarische Kinder und Erwachsene“, schreibt Arturo Hardisson de la Torre, Professor an der Universität von La Laguna in Teneriffa, im Vorwort des Buches „Alle Rezepte mit Gofio“ von Lourdes Soriano und Benítez de Lugo. „Das Beste, was uns jeden Morgen aus dem Bett holt, ist die Entfaltung seines Geschmacks am Gaumen. Milch mit Gofio zum Frühstück ist zum Ritual der Bewohner dieser Inseln geworden“.

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Gofio-Mehl kann mit seinem karamelligen Röstaroma für alles verwendet werden: zum Backen, für Fleisch- und Fischgerichte und sogar im Eis. Doch oft wird die Gofio-Paste süß mit Zucker und Zimt gegessen und mit Honig, Nüssen und Rosinen dekoriert. Von der Konsistenz und vom Geschmack her erinnert sie an Marzipan.

Traditionelle Getreidesorten von den Kanaren
Eine alte Mühle

Die Mühle seiner Vorfahren Foto: Jan Söfjer

Gofio kann aus allen Getreidearten hergestellt werden – inklusive Mais, den auch Francisco Cabrera benutzt. Die Körner röstet Cabrera mit Sand in einer Pfanne auf einem mit Holz befeuerten Ofen. Der Sand absorbiert die Feuchtigkeit des Getreides und wird anschließend herausgesiebt. Dann kippt Cabrera die gerösteten Körner in einen Schacht, der zur Mitte der Mühlsteine führt. Das Mehl gleitet in einen Auffangbehälter. Cabrera nimmt eine Prise heraus, reibt es zwischen den Fingern und probiert. Die Textur gefällt ihm. Anschließend siebt er das Mehl. So wird es besonders fein, während in industriellem Gofio oft noch Schalenreste enthalten sind.

Cabrera kauft die traditionellen Getreidesorten, die er verarbeitet, auf den Kanaren ein. Auch Freunde von ihm bauen Getreide an: Andrei Iancu, 39, und Carlos Chiara, 73. Sie betreiben das Non-Profit-Projekt Association Vitalis und haben ein Faible für vergessene kanarische Getreidesorten. „Früher wurde auf jeder kanarischen Insel Landwirtschaft betrieben“, sagt Iancu. Auf El Hierro wurden Ananas, auf La Palma Bananen und auf Fuerteventura Weizen angebaut. Auf manchen Inseln wie auf La Palma gibt es immer noch viel Landwirtschaft. Auf Fuerteventura wurde sie praktisch komplett vom Tourismus ersetzt.

Iancu und Chiara stehen auf einer Anhöhe und blicken auf die Ortschaft Guisguey hinunter, die ein paar Kilometer nördlich der Mühle liegt. Vor Jahrhunderten war Guisguey die Kornkammer von Fuerteventura. Hunderte von Terrassen erstreckten sich über die Hügel. Kanäle leiteten das wenige Regenwasser in die von Trockenmauern begrenzten Felder. Der Rumäne und der Argentinier bewirtschaften eine Parzelle und bauen dort alte kanarische Getreidesorten an – etwa Schwarzweizen, Rothirse, alte Maissorten und Emmer, der zu den ältesten kultivierten Getreidearten gehört. „Er wurde vor mehr als 10.000 Jahren von den Menschen domestiziert“, sagt der Agraringenieur Chiara. Er lebt mittlerweile seit gut 20 Jahren auf Fuerteventura. Als er zum ersten Mal die Insel besuchte, gefielen ihm das Klima, die Sicherheit und die wirtschaftliche Stabilität. Also entschied er sich zu bleiben – wie so viele.

Chiara pflückt einen roten Maiskolben: „Dieser kanarische Ur-Mais kam nach der Entdeckung Amerikas auf die Kanarischen Inseln.“ Die ersten Erwähnungen habe es 1515 gegeben, sagt Chiara und zitiert den kanarischen Historiker José de Viera y Clavijo, der von wilden Eseln schrieb, „die Kolben der roten Hirse aßen“.

Fuerteventura ist eine karge Insel. Bevor Frachtschiffe alle Dinge des täglichen Bedarfs lieferten, lebten die Menschen vom Fischfang, von der Landwirtschaft und der Ziegenhaltung. Der Gofio-Teig, so sagt man, habe den Hunger auf den Kanaren besiegt.

Traditionell wird er im „Zurrón“ geknetet – einer Tasche aus der Haut eines Zickleins. Man füllt das Gofio-Mehl mit Wasser oder Milch sowie weiteren gewünschten Zutaten hinein und knetet alles auf dem Oberschenkel zu einer Paste. Die Körperwärme unterstützt den Mischprozess. Wenn man ihn isst, gibt der Gofio-Teig den Zucker langsam und gleichmäßig ab, wegen der Röstung. Die Energie bleibt dann für bis zu zwölf Stunden im Blut.

Heute wird Gofio-Mehl in Fabriken hergestellt. Francisco Román Cabrera Oramas ist, wie er sagt, der letzte Müller, der Gofio-Mehl noch wie vor Jahrhunderten produziert.

Er sagt: „Ich möchte dieses Vermächtnis teilen, damit es nicht verloren geht.“

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