Kultur zurück auf Start: Toi, toi, toi!
Wegen Corona mussten Theater, Kinos und Clubs dichtmachen. Jetzt geht's wieder los – zumindest teilweise
Zurück aus dem Lockdown: Für Kultureinrichtungen ist es finanziell überlebenswichtig, dass das möglich wird. Hier sind vier Werkstattberichte zu einem fragilen Status Quo in Pandemiezeiten.
Das Stadttheater
Auf der Maximilianstraße ist alles wie immer. Menschen mit riesigen Sonnenbrillen und winzigen Hunden flanieren vorbei, unter der Markise der Münchner Kammerspiele wird Aperol Spritz getrunken.
Intendant Matthias Lilienthal wartet abseits der Luxuskulisse vor dem Personaleingang. Er trägt sein Standardoutfit – T-Shirt, Gangster-Hoodie, Jeansjacke – und einen selbst genähten Mundschutz. Wegen der Infektionsgefahr sprechen wir im schmucklosen Innenhof des Stadttheaters miteinander.
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Nachdem er Mitte Februar eine Arte-Doku über das Virus sah, sei ihm klar geworden, „die gleiche Scheiße wird auch hier passieren“, sagt Lilienthal, trotzdem sei es ein Schock für ihn gewesen, als Söder die Theaterhäuser schloss. Die Kammerspiele hatten gerade mitten in den Vorbereitungen seines Abschieds gesteckt.
Während seiner fünfjährigen Amtszeit war Lilienthal vielen Münchner:innen zu progressiv gewesen, nun geht es für ihn zurück nach Berlin. Konsequenterweise hatte er seine turbulente Intendanz mit einer 24-stündigen Busfahrt beschließen wollen, die das Publikum an verschiedene Orte der Stadt geführt hätte, wo sie prägende Regiepositionen auf Basis von Roberto Bolaños macht- und globalisierungskritischem Roman „2666“ erlebt hätten. Dann nichts, nada, niente. „Das passt zu dieser merkwürdigen Liebesaffäre zwischen München und mir“, findet er im Nachhinein.
Während des Shutdowns wurde es still im Haus, hier und da ein digitales Projekt, die Gewerke führten Vorbereitungen für seine Nachfolgerin Barbara Mundel durch. Doch seit knapp einem Monat darf wieder geprobt werden. Im Juli lädt das Haus dann doch noch zur großen Verabschiedung ins Münchner Olympiastadion ein. Und Mitte Juni finden, während viele andere Häuser vor Herbst gar nicht mehr aufsperren, zwei Indoorpremieren statt.
„Das Proben unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen hat eine kleine Beimischung von Gefängnis“, sagt Lilienthal. Die Produktionsteams müssten unter sich bleiben, den nötigen Sicherheitsabstand einhalten oder Mundschutz tragen. Eine der beiden Premieren wird Susanne Kennedys begehbarer Parcours „Oracle“ sein, bei dem man an mehreren Stationen kleine Szenen zu Digitalität und künstlicher Intelligenz vorgeführt bekommt.
Von einem Plateau aus hat man einen guten Blick auf das verschachtelte Bühnenbild, die Schauspieler:innen proben mit Masken und Plastikvisieren. Nicht jedes Stück kann noch gespielt werden, Liebes- oder Kampfszenen sind tabu. Ursprünglich hätte alle zehn Minuten eine neue Vierergruppe den Parcours betreten sollen, jetzt ist es eine Person pro Slot. Eine Mundschutzpflicht und die Umrüstung der Klimaanlage auf 100 Prozent Frischluftzufuhr sollen die Ansteckungsgefahr minimieren.
Lilienthal fragt sich, wie lange die jetzige Theaterlandschaft unter diesen Bedingungen bestehen bleibt. Wenn die freien Gruppen, mit denen er stets gerne zusammengearbeitet hat, die nächsten zwölf Monate nicht touren dürfen, werden das zwei Drittel von ihnen nicht überleben, befürchtet er.
Und wenn auch in der nächsten Spielzeit nur ein Bruchteil der Plätze in den Theatersälen besetzt werden darf, käme man spielzeitübergreifend auf etwa 1,5 bis 2 Millionen Euro Mindereinnahmen des Hauses.
Das Freiluftkino
Wenn man sich nach Filmabenden an der frischen Luft sehnt, dann sollte man Hanna Prägers Freiluftkino besuchen. Und tatsächlich ist dieses winzige Open-Air-Kino in der brandenburgischen Provinz etwas Besonderes. Man findet es auf dem Grundstück einer von riesigen Eichen umgebenen Waldgaststätte an lediglich drei Tagen im August.
Die übrige Zeit ist das historische Lokal ein beliebtes Ausflugsziel für Tourist:innen, die sich auf ihren Wanderungen durch den Naturpark Nuthe-Nieplitz mit gebratener Forelle und Belziger Burgbräu stärken wollen.
Denn in ihrem Hauptberuf ist die Kinobetreiberin gelernte Köchin. Sie ist in der Region aufgewachsen, ihre Eltern erwarben 2005 die Waldgaststätte Zur alten Eiche, danach stand das Lokal sieben Jahre leer. Während dieser Zeit ging Präger auf eine Hotelfachschule in Berlin, bei jedem Heimatbesuch überlegte die Familie, was mit der stillgelegten Gaststätte passieren sollte. „Eines Nachts bin ich aufgewacht und dachte, na gut, dann mache ich es halt.“
Gleich nach der Wiedereröffnung nahm Präger Kontakt zu einem Kinoförderverein in der Nachbarschaft auf. Weil das À-la-carte-Geschäft in der Abgeschiedenheit nur schleppend läuft, hatte sie die Idee, ihr Hobby mit dem Beruf zu verbinden. „Ich gucke schon seit meiner Kindheit wahnsinnig gerne Filme“, sagt sie, nun wollte sie, wenn der Verein im Sommer seinen Kinosaal schließt, Filmabende auf ihrer Terrasse veranstalten.
Präger schaffte sich eine große Leinwand an und überlegte sich ihr erstes Kinoprogramm. Sie zeigt keine Blockbuster, sondern Unterhaltungsfilme mit Niveau, die stets zu dem von ihr ausgewählten Jahresthema passen müssen. Im vergangenen Jahr waren es Roadmovies, unter anderem „25 Kilometer“ mit Lars Eidinger und Bjarne Mädel in den Hauptrollen. Und weil sie ihrem Publikum mehr als bloß Kino bieten will, überlegt sie sich stets ein kleines Rahmenprogramm dazu.
Weil in besagtem Roadmovie Tischtennis gespielt wird, stellte sie eine Tischtennisplatte auf, und als sie den Film „Dänische Delikatessen“ zeigte, in dem „Menschen verarbeitet werden“, wie sie es beschreibt, kochte sie vegetarisches Essen und legte Organspendeausweise auf die Tische. Schnell sprachen sich ihre Kinoabende herum, mittlerweile kommen sogar Gäste aus Berlin und Potsdam.
Doch so voll, wie es in den letzten Jahren war – der Besucherrekord lag bei 150 Menschen –, wird es in diesem Jahr nicht werden. Präger, die sich in den letzten Wochen mit Fensterverkauf, Terrassengeschäft und Essenslieferungen über Wasser gehalten hat, ist jedoch froh, dass sie ihr Sommerkino überhaupt öffnen kann.
Allerdings dürfe man dieses Mal nicht einfach so bei ihr vorbeikommen, sondern müsse vorab einen Sitzplatz reservieren, wenn man dabei sein wolle. Denn mehr als 50, maximal 60 Stühle darf sie wegen des gebotenen Sicherheitsabstands nicht aufstellen. Auch auf das beliebte Themenbuffet müssen die Gäste aus Hygienegründen in diesem Jahr verzichten. Stattdessen bekommt jede Gruppe einen eigens für den Abend bestückten Picknickkorb.
Und welches Oberthema hat Präger ausgewählt? Eigentlich schwarze Komödien, aber nachdem in den vergangenen Monate nur über Krankheit und Tod geredet wurde, will sie auf klassische Komödien umschwenken. „Ich möchte den Leuten mit meinen Abenden ein positives Gefühl mitgeben.“
Bleibt nur die Frage, ob die Verleiher die Wunschfilme auch herausrücken.
Der Technoclub
Jetzt weiß ich, wie sich ein normales Wochenende anfühlt“, sagt Steffen Kache. Es ist Samstagmittag, und er geht ans Handy – etwas, das in den vergangenen 27 Jahren vermutlich eher nicht passiert wäre. Wenn andere feierten, musste er arbeiten. Freitags und samstags schlug er sich die Nächte um die Ohren: für die Distillery, Leipzigs ältesten Technoclub.
Als Anfang der 90er Jahre die Technowelle in den Osten schwappte, wollten er und seine Crew zu dieser Musik tanzen und dafür nicht jedes Mal nach Berlin fahren. Also beschlossen sie, selbst einen Club aufzumachen. Sie besetzten eine alte Brauerei, räumten den Keller aus, zapften den Brunnen an und stellten ein Notstromaggregat hinein. Eine Gewerbeerlaubnis hatten sie nicht und auch nicht die brandschutztechnischen Voraussetzungen.
„Doch es ist glücklicherweise nie etwas passiert“, sagt Kache. Nach zweieinhalb Jahren zogen sie in ein ehemaliges Lager am Rande einer Freifläche des Bayerischen Bahnhofs um, das sie komplett zum Club umbauten. Seitdem feiern hier regelmäßig ganz legal bis zu 500 Leute freitags zu HipHop, Drum ’n’ Bass und Reggae und samstags zu elektronischer Musik.
Der März hätte eigentlich der Höhepunkt einer erfolgreichen Clubsaison von Anfang September bis Ende April werden sollen. Kache, der sich im Vorstand der LiveKomm, des Bundesverbands der deutschen Musikspielstätten, engagiert, erzählt, dass man dieses Jahr ein gutes Stück darin weitergekommen sei, die Clubs als kulturelle Einrichtungen zu etablieren.
„Wir waren auf einem super Weg und hatten ein supercooles Programm für unseren Club geplant.“ Doch dann kam die Pandemie und damit die absolute Vollbremsung. Am 14. März hätte eigentlich Robag Wruhme in der Distillery auflegen sollen, der einer der bekanntesten DJs aus dem Osten ist. „Wenn der kommt, bricht bei uns die Bude auseinander.“ Doch nach einer Krisensitzung aller Leipziger Clubs wenige Tage vorher beschloss Kache, dass er eine weitere Party unter den gegebenen Umständen nicht verantworten kann, er blies alles ab.
Seitdem ist Schicht im Club, und die Distillery hat jeden Monat eine Umsatzeinbuße von bis zu 70.000 Euro. Immerhin habe man die Miete stunden können und die fünf Festangestellten sind alle in Kurzarbeit. Doch Kache fühlt sich auch weiterhin für sie verantwortlich und stockt das Kurzarbeitergeld auf. Weitaus mehr Sorgen machen ihm jedoch die Studierenden, die vor der Schließung als Minijobber bei ihm arbeiteten: „Die musste ich abmelden, und die sind durch jedes Raster gefallen.“
Es wurden Krisenstäbe gegründet, und die Clubs befinden sich im regen Austausch mit dem Leipziger Kulturdezernat. Erste Soforthilfeprogramme wurden beschlossen, die Sächsische Aufbaubank gewährte der Distillery ein Darlehen, ein weiterer Hoffnungsschimmer sind die versprochenen Zuschüsse aus dem Konjunkturpaket.
Außerdem riefen Kache und andere Clubbetreiber Solitickets ins Leben. Wer sie kauft, kann irgendwann, wenn es wieder geht, ein Gemeinschaftshappening erleben. Darüber hinaus gab es ein Crowdfunding, bei der die Distillery von Labels gespendete Schallplatten und Ähnliches verkaufte. „Bis Ende August ist unsere Existenz erst mal gesichert“, sagt Kache, doch wie es danach weitergeht, weiß er nicht.
Etliche DJs hätten Grundsicherung beantragen müssen, und auch die Hoffnung, auf der Freifläche neben dem Club Sand aufzuschütten, um einen Kulturstrand zu errichten, sei vager als gedacht. Die Naturschutzbehörde stellte fest, dass auf der Fläche eine schützenswerte Eidechsenart lebt, außerdem könnte ihnen der Schallschutz einen Strich durch die Rechnung machen.
Dabei hatten sich Kache und seine Crew ein lustiges Konzept überlegt, das anderswo so ähnlich auch schon ausprobiert wurde: Social-Distance-Dancing, bei dem, je nach Vorschrift, ein oder mehrere Menschen innerhalb eines eingegrenzten Bereiches tanzen – mit ausreichend Abstand zur nächsten Gruppe.
Aber: „Vergnügliches Tanzen ist auf Veranstaltungen in Sachsen nicht erlaubt“, sagt Kache. Deshalb habe man überlegt, die eigenen Veranstaltungen als Sportveranstaltungen zu deklarieren. Auch ansonsten heißt es abwarten, denn wann Indoorclubs wieder öffnen dürfen, weiß aktuell nur der Technogott.
Zu allem Überfluss muss die Distillery gentrifizierungsbedingt in zwei Jahren umziehen: ein Mammutprojekt, das durch die Coronakrise noch schwieriger zu stemmen sein wird, als es das auch so schon wäre.
Das Megafestival
Ob man einen kritischen Bericht schreiben wolle, fragt Bernd Breiter am Ende des Telefongesprächs. Das passt zu einem, der beruflich alles unter Kontrolle haben muss, zu einem Geschäftsmann, der das Partyleben revolutioniert hat. Denn das ist der Chef der sogenannten 360-Grad-Weekend-Marke namens BigCityBeats – und auf seinem Feld sehr erfolgreich.
Für all jene hingegen, die das Feiern mit Kultur verbinden, ist das, was er macht, vermutlich ein Albtraum. Man könnte es auch so ausdrücken: Bernd Breiter ist der blockbuster man der Clubkultur.
Man kennt ihn unter anderem deshalb, weil er einen ESA-Astronauten zum DJ ausgebildet hat, den ISS-Kommandanten Luca Parmitano, der seine Partybeats dann tatsächlich aus der Internationalen Raumstation auf die Tanzfläche sendete. Und als wäre das alles nicht schon medienwirksam genug – Bild, BBC News –, fand die Feier auf einem vor der Partyinsel Ibiza ankernden Kreuzfahrtschiff statt.
Wer sich an dieser Stelle die Sinnfrage stellt, dem sei gesagt, dass es bei Breiters Partys nicht um irgendeinen tieferen Sinn oder irgendwelche politischen oder religiösen Botschaften geht, sondern um das Wochenendfeeling und damit schlicht um fun, fun, fun.
Da ist es natürlich schade, dass die Aufzeichnung des Astronautensets gar nicht so spektakulär aussieht, wie während des Telefonats gedacht. Parmitano läuft bloß eine Wand hoch und drückt hier und da auf einem Tablet herum.
Geschenkt. Denn was jenseits der Sinn- oder Geschmacksfrage wirklich spektakulär ist, sind Breiters World Club Domes, jährlich stattfindende megalomane Clubfestivals, die in Fußballstadien in Frankfurt am Main oder Seoul zu erleben sind. „Da kommen 180.000 Leute, über drei Tage verteilt“, sagt Breiter, „und können zwischen 25 Bühnen mit HipHop- und Techno-Acts auswählen, einem Pool und einer Hauptbühne mit gigantischer Lasershow.“
Auch für dieses Jahr war wieder ein World Club Dome geplant – dann kam die Coronakrise, und die monatelange Vorbereitung war für die Tonne. „Als das Oktoberfest abgesagt wurde, spürte ich, dass kein Großevent dieser Art mehr stattfinden wird.“
Doch Breiter wäre nicht Breiter, wenn er nicht sofort die passende Alternatividee parat gehabt hätte. Er sprach mit einem Kollegen aus Düsseldorf, der auf dem Parkplatz eines Spielcasinos ein Autokino ins Leben rief. Breiter sprang auf den Zug auf – „wir müssen für unsere Community da sein“ – und organisierte den nach eigenen Angaben weltweit ersten Drive-in-Rave, eine Disco, bei der die Partygäste in ihren Pkws sitzen, während der DJ von einer davor platzierten Bühne aus auflegt.
Statt über riesige Boxen hört man die Musik über die Lautsprecheranlage des eigenen Autos, nachdem man die richtige Frequenz eingestellt hat. Und dann kann die Party beginnen, wie ein Video des Veranstalters zeigt. An den Decks steht das DJ-Duo Gestört aber GeiL, das Konfettikanonen in Form von Granatwerfern abfeuert, während „Allein Allein“ über den Parkplatz dröhnt. In den Audis und Škodas schaukeln die Insassen euphorisch hin und her und halten Leuchtstäbe aus den heruntergelassenen Fenstern. Lichthupe, Blinker im Takt.
„Wenn 550 Autos hupen, ist das Gänsehaut“, sagt Breiter. Dennoch denkt er nicht, dass Autodiscos die Zukunft sind. Weil unter bestimmten Voraussetzungen jetzt schon wieder hundert oder mehr Menschen zusammenkommen dürften und das Gemeinschaftsgefühl eines herkömmlichen Clubfestivals durch nichts zu ersetzen sei.
Außerdem glaubt er fest daran, dass die Forschung bis Januar eine Lösung gefunden hat. Denn dann soll, nein, muss die Winteredition des World Club Dome an den Start gehen. Breiter ist ein positiver Mensch.
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