Kultur nach der Pandemie: Overkill und Verunsicherung
Berliner Kulturinstitutionen klagen über noch wenig Publikum. Zugleich steigt die Premierendichte wieder.
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„Zumindest bei unseren Lesungen erleben wir gerade einen Ansturm“, sagt Moritz Malsch vom Literaturhaus Lettrétage, das letzten Herbst von Kreuzberg nach Mitte ins Kulturhaus Acud umgezogen ist. „Im Moment herrscht einfach Frühlingserwachen vor“, sagt auch Janika Gelinek vom Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße. „Die Freude, einfach zusammen sein zu können, ist überwältigend“, fügt sie an. „Wir werden wohl erst gegen Jahresende mit einer statistischen Auswertung beginnen.“
So oder so ähnlich lässig sehen es einen guten Monat nach dem Wegfall aller Coronamaßnahmen viele Kulturveranstalter*innen in Berlin. Die Rede von Publikumsschwund, wie sie in letzter Zeit bei manchen Theatermacher*innen wie dem Regisseur am Hamburger Thalia Theater, Christopher Rüping, der Leiterin des Theatertreffens, Yvonne Büdenhölzer, oder Martin Woelffer von den Ku’dammbühnen laut wurde, halten viele für überzogen.
Sie stimmen Daniel Bartsch, Pressesprecher von Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke), zu. Er sagt, dass das Publikum zwar besonders beim langen Besuch des Theaterstücks in geschlossenen Räumen „nicht nur gefühlt, sondern nachweisbar noch zurückhaltend“ sei. Dennoch sei man ziemlich guter Hoffnung, dass sich das Publikum nicht entwöhnt habe, sondern dass sich der Zuspruch weiter stabilisieren wird.
„Unsere Vorstellungen sind nicht sehr gut, aber gut besucht“, sagt auch Daniel Brunet vom English Theatre Berlin/International Performing Arts Center. Dass jetzt manche Häuser klagen, hängt seiner Meinung nach eher mit der Flut an Angeboten zusammen, die es nun wieder gibt. Die Theater, so Brunet, haben viel Nachholbedarf und zeigen teilweise jeden zweiten Abend eine Premiere. „Es wird ein bisschen dauern, bis die Spielpläne wieder klug synchronisiert sind und nicht alle alles gleichzeitig spielen“, fügt er lachend an.
Auch das Geld spielt eine Rolle
Vergleichbar sieht es auch der Veranstalter eher kleinerer Konzerte im subkulturellen Bereich, Ran Huber. Er hat laut eigener Aussage ebenfalls kaum Einbrüche zu verzeichnen. Dennoch, so Huber, beklage man in seiner Branche manchmal, dass nach der Pandemie nicht vor der Pandemie sei.
Auch er spricht im Konzertbereich vom erwarteten Overkill: Das Publikum hat auch hier seit ein paar Wochen die Qual der Wahl. Darüber hinaus, so Huber, herrsche Verunsicherung wegen der Pandemie. Die Menschen hätten nach wie vor wenig Lust, sich anzustecken, außerdem bitten einige Veranstalter*innen um Masken oder Testnachweise am Einlass – und andere nicht.
Schließlich spricht Huber aber auch noch einen sozialen Aspekt an. Die Schere zwischen Arm und Reich, so der Veranstalter, gehe auch in dieser Stadt schon jetzt spürbar immer weiter auseinander. „Viele konnten sich vor Corona vielleicht gerade noch so ab und zu einen Abend im Theater oder im Konzert leisten“, sagt er.
Jetzt sei das für einige Leute gar nicht mehr drin. Vielleicht ist es vor diesem Hintergrund wirklich noch nicht sicher, ob der Kulturbetrieb in Berlin bald wieder ganz der alte ist.
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