Kürzungen bei Jugendhilfe in Berlin: Kein Spielraum mehr

Wegen Corona muss Neukölln 850.000 Euro einsparen. Das könnte genau diejenigen treffen, die während der Krise stabilisierend gewirkt haben.

Ein Kind steht vor einen Regal, mit dem Rücken zur Kamera

Gerade in Krisenzeiten brauchen junge Menschen mehr Zuspruch Foto: dpa

BERLIN taz | Die Befürchtung wurde schon ganz zu Beginn der Coronapandemie laut: Wenn irgendwo gekürzt werden muss, weil das Geld knapper wird, dann trifft es hoffentlich nicht wieder die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Und nun ist es tatsächlich so weit: In Neukölln kämpfen freie Träger gegen eine Kürzung von über 850.000 Euro – und damit gegen die Schließung mehrerer Einrichtungen oder Projekte.

Betroffen könnten beispielsweise die Sozialarbeit mit Jugendlichen an Schulen, in Freizeiteinrichtungen oder auf der Straße sein. Und: „Neukölln ist erst der Anfang“, schreibt die Landesarbeitsgemeinschaft offene Kinder- und Jugendarbeit Berlin (LAG) in einer am Montag veröffentlichten Stellungnahme.

Bereits vor zwei Wochen war im Bezirk durchgesickert, dass ab 2021 Kinder-, Jugend- und Familienprojekte mit einem Volumen von über 850.000 Euro eingespart werden sollen – bei einem Budget von rund 5,9 Millionen Euro im aktuellen Jahr wären das rund 15 Prozent. Rein rechnerisch entspräche das laut der LAG sechs mittleren Einrichtungen mit rund 24 Personalstellen.

Tatsächlich ist der Bereich schon jetzt massiv unterfinanziert: Laut dem im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Jugendförder- und Beteiligungsgesetz brauche es in Berlin-Neukölln gut 5.400 Plätze in Freizeiteinrichtungen. Derzeit jedoch gebe es nur knapp 3.100. Damit fehlten schon jetzt etwa 2.300 Plätze für die Kinder und Jugendlichen. Eigentlich bräuchte es hier also mehr Geld statt noch weniger.

Rein rechnerisch müssten sechs Einrichtungen eingespart werden

Den Hintergrund der nun trotzdem drohenden Kürzung erklärt Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU): Den chronisch unterfinanzierten Bereich der Jugendarbeit habe er in den vergangenen Jahren mit Mitteln aus Haushaltsüberschüssen jedes Jahr etwas besser ausstatten können. Das heißt, dass die ohnehin schon zu wenigen Projekte der Jugend-, Familien- und Präventionsarbeit zum Teil gar nicht regelfinanziert waren.

Kurzfristig gekündigt

Und nun werde der eigentlich schon eingeplante Haushaltsüberschuss aufgefressen. Denn die vor allem coronabedingten Steuermindereinnahmen werden auf alle Bezirke verteilt. Wenn nicht anderswo eingespart wird, dann verliert der Jugendbereich einen erheblichen Teil seiner Finanzierung. „Kürzen ließe sich das nur bei den freien Trägern“, sagt Liecke. Denn anders als bei bezirklichen Einrichtungen werden hier jährlich Kostenübernahmevereinbarungen ausgehandelt – und diese könnten auch kurzfristig gekündigt werden.

Entsprechend groß war der Aufschrei bei den freien Trägern. Wo sonst häufig jeder Einzelne um eine gute Vereinbarung mit dem Bezirk ringt, folgte in der vergangenen Woche eine Vielzahl der freien Träger einem Aufruf zur Solidarisierung. Am gestrigen Montagnachmittag übergaben sie im Rathaus Neukölln eine gemeinsame Stellungnahme an die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses.

„Wie wichtig die Jugendarbeit ist, zeigt sich doch gerade in der Coronazeit“, sagt ein Einrichtungsleiter der taz. Als Schulen geschlossen blieben, seien es die Jugendarbeiter*innen gewesen, die im Kontakt mit „ihren“ Jugendlichen blieben, Online-Angebote schufen und versuchten zu verhindern, dass sich Brandherde im öffentlichen Raum bildeten, wo es nun noch weniger Nischen für Jugendliche gab.

Dass es – mit und ohne Corona – gerade in Neukölln einen riesigen Bedarf an gut ausgestatteter Jugendarbeit gibt, weiß auch Jugendstadtrat Liecke. „Aus meiner Perspektive habe ich überhaupt keinen Spielraum für Einsparungen“, sagte er der taz. Jede Kürzung sei teuer bezahlt, sagt er – und meint damit etwa die immensen Kosten für Gefängnisse in einer Gesellschaft, die ihre Jugendlichen nicht auffängt.

Entscheidung im Bezirksamt am Dienstag

Und so scheint es, als brauchten die freien Träger zumindest bei ihm nicht um Unterstützung zu werben. „Ich weiß, was die freien Träger leisten, und wir müssen gemeinsam darum kämpfen“, sagt er. Auch der Jugendhilfeausschuss des Bezirks hatte sich in der vergangenen Woche bereits gegen jegliche Kürzungen ausgesprochen. Bleibt noch die Verhandlung mit den anderen Neuköllner Politiker*innen. An diesem Dienstag soll in der Bezirksamtssitzung über die Kürzungen beraten und auch ein Entschluss gefasst werden.

Und Neukölln wird eben nicht das Ende sein: Hier gilt die Jugendarbeit zwar als besonders prekär finanziert, aber auch in den übrigen Bezirken müssen die Steuermindereinnahmen anteilig eingespart werden. „Auch andere Bezirke haben keine verlässliche Regelfinanzierung für die vorhandenen Kinder- und Jugendeinrichtungen und greifen jährlich auf zusätzliche Mittel zurück“, heißt es dazu von der LAG offene Kinder- und Jugendarbeit Berlin. Ob diese weiter zur Verfügung stehen, werde sich jetzt zeigen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.