Künstliche Intelligenz von ChatGPT: Gedichtanalyse, Goethe, Enter
Der Chatbot ChatGPT könnte viele Hausaufgaben erledigen. Kommt da was auf die Schulen zu? In den Ministerien ist man erstaunlich gelassen.
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Der Wirbel um den Chatbot des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI ist nachvollziehbar. Die KI wird als das bislang fortgeschrittenste Sprachmodell gehandelt, das in Windeseile gut formulierte Texte generieren kann. Eine Schülerin kann künftig also eine Gedichtsanalyse, einen Aufsatz oder gar eine kreative Geschichte einfach den Chatbot schreiben lassen. Der wurde mit einem riesigen Datensatz – Textmaterial, das bis zum Jahr 2021 veröffentlicht wurde – trainiert und ist so in der Lage, verschiedene Schreibstile nachzuahmen. Man kann dem Bot auch Recherchen auftragen. Fragt man ChatGPT etwa nach den wichtigsten Errungenschaften oder größten Kontroversen der Demokratiegeschichte, gibt die KI eine ausführliche Antwort, die langes Suchen im Internet oder in Büchern überflüssig macht. Braucht man weitere Informationen, können Folgefragen gestellt werden – laut OpenAI ist der Bot auch in der Lage, falsche Prämissen zu bestreiten, unangemessene Fragen zurückzuweisen und eigene Fehler einzugestehen.
Müssen Schüler:innen also bald keine Eigenleistung mehr bei Textaufgaben erbringen, wie manche befürchten? In den Kultusministerien der Länder gibt man sich gelassen: Das Tool sei nicht das erste, das sich auf die professionelle Textproduktion auswirke, heißt es etwa aus Berlin. Auch im Schulministerium von NRW findet man den Chatbot weniger revolutionär, als es die Medienberichterstattung vermuten lässt: Wie bei anderen technischen Entwicklungen gelte es auch in Hinblick auf ChatGPT, „die Potenziale und die pädagogische Perspektive für Schule und Unterricht im Blick zu behalten“.
Künstliche Intelligenz in den Unterricht einbinden
Hendrik Haverkamp, Deutschlehrer und Koordinator für Digitalität am Evangelisch Stiftischen Gymnasium Gütersloh, hat bereits einige dieser Möglichkeiten durch Experimente mit Text-KI im Unterricht ausprobiert. Durch den Einzug der KI in den Bildungsalltag könne seine Klasse nun anhand eines konkreten Beispiels die Entstehung, Entwicklung und Wirkung von KI-Technologien diskutieren. Außerdem werde deutlich, „welche Basisfähigkeiten Schüler:innen in Zukunft brauchen, wenn sie ohne KI arbeiten“, erzählt Haverkamp.
Der ChatGPT ist eine KI-Anwendung der US-Firma OpenAI. Die Software, auf der der Chatbot basiert, ist nicht neu – der kostenlose Zugang über eine Website jedoch schon. Nachdem man ein Profil angelegt hat, kann man mit dem Bot chatten: sich unterhalten, Fragen stellen, dem Chatbot auftragen, Mails, Songtexte oder Aufsätze zu schreiben. Der ChatGPT wurde mit Textmaterial, das bis zum Jahr 2021 veröffentlicht wurde, trainiert, kann unterschiedliche Schreibstile nachahmen und sich Gesprächsverläufe merken.
Die Grenzen liegen jedoch in der Software selbst: Nutzer:innen berichten von vagen Behauptungen, Falschaussagen, die nicht als solche gekennzeichnet werden, ausgedachten Quellenangaben oder rassistischen, sexistischen und diskriminierenden Denkmustern. Aus bildungspolitischer Sicht gibt es Sorgen, dass Schüler:innen unselbstständig werden, sich Leistungen der KI von Leistungen der Schüler:innen nicht mehr unterscheiden lassen und die Schüler:innen die Vorurteile („biases“) der KI reproduzieren.
Die Bildungsministerien, die auf Anfrage der taz Stellung zum Start des ChatGPT genommen haben, sehen die Entwicklung nicht als Bedrohung. Im Gegenteil: Wenn die KI im Unterricht richtig eingesetzt wird, können daraus aus Sicht der Ministerien Vorteile für die Schüler:innen entstehen. Ob und wie KI im Unterricht vorkommt, ist in Deutschland de facto der einzelnen Lehrkraft überlassen. In den Rahmenlehrplänen der Länder kommt der Einsatz von digitalen Medien vor allem als Querschnittsthema vor. In manchen Bundesländern können Schüler:innen zudem freiwillig einen „Führerschein“ für den Umgang mit digitalen Medien, Fake News und Co machen. Hessen hat als erstes Land in diesem Schuljahr das Schulfach „Digitale Welt“ eingeführt. (taz)
Haverkamps Achtklässlerinnen durften zum Beispiel Smodin.io, ebenfalls eine Text-KI, in einer Klassenarbeit benutzen. Die Aufgabe bestand dann weniger darin, einen Text zu schreiben. Die Schüler:innen mussten stattdessen begründen, warum sie bestimmte Textvorschläge der KI übernommen hatten.
Der Deutschlehrer war besonders vom Reflexionsvermögen der Schüler:innen überrascht: „Die meisten merkten schnell, dass die Texte aus der Maschine oft weniger kreativ sowie vage und oberflächlich sind – und auf stereotypen Aussagen basieren.“ Neben sexistischen und rassistischen Denkmustern, die häufig durch KI-Anwendungen reproduziert werden, bediente sich der Bot in Haverkamps Unterricht „recht konservativer Sichtweisen“: Auf die Frage, ob man Smartphones in der Schule verbieten solle, sprach sich der Bot für einen rein analogen Unterricht aus. Seine Begründung: Andernfalls würden Schüler:innen zu viele SMS schreiben. Haverkamp winkt ab und sagt, dass SMS den meisten Schüler:innen doch gar nicht mehr geläufig seien.
Der Lehrer erzählt, er habe den Eindruck, dass der Wortschatz der Schüler:innen seit der Verwendung von Text-KI gewachsen sei. Gleichzeitig aber blicke er besorgt auf die Rechtschreibung: „Die Zahl der Fehler ist stark gestiegen:“ Insgesamt aber könne er keinen Verfall der schulischen Bildung erkennen. Es sei vielmehr ein dynamischer „Veränderungsprozess“, den jede neue Technologie am Laufen halte.
Schon bei der Einführung des elektronischen Taschenrechners, der in der Bundesrepublik ab 1975 nach und nach den Rechenschieber ersetzte, habe man ähnliche, angstgetriebene Diskussionen geführt wie nun beim ChatGPT, so der Lehrer. In seinem Unterricht möchte Haverkamp nun einen stärkeren Fokus auf den Lernprozess der Schüler:innen legen – obwohl die Bundesländer nach den schlechten Mathe- und Deutschleistungen in der jüngsten IQB-Studie nun vor allem die Basiskompetenzen stärken wollen. Dennoch sieht man auch in den Bildungsressorts, dass es „eine große Herausforderung wird, die Leistungen der Schüler:innen von Leistungen, die KI-Systeme wie ChatGPT erbracht haben, abzugrenzen“, wie etwa der Bremer Senat mitteilt.
In Rheinland-Pfalz wendet man sich nicht nur in der Frage der Prüfungsbewertung an das Lehrpersonal. Lehrkräfte und Schulleitungen müssten künftig auch Grundkenntnisse über künstliche Intelligenz und Datennutzung erlangen, „um sich positiv, kritisch und ethisch mit dieser Technologie auseinanderzusetzen und sie richtig einsetzen zu können“, erklärt das dortige Bildungsministerium gegenüber der taz. Wie das Lehrpersonal dieses Wissen erwerben soll, bleibt dabei unklar. Neben Schleswig-Holstein ist Rheinland-Pfalz eines der Länder, in denen mangelnde IT- beziehungsweise Digitalkompetenzen der Lehrkräfte eine Hürde bei der Umsetzung von digital gestütztem Unterricht darstellen – so die Einschätzung der Eltern in einer groß angelegten Befragung zum digitalen Unterricht in Deutschland.
Fortbildungen für Lehrkräfte
Das nordrhein-westfälische Schulministerium erklärt, dass Lehrkräfte noch bis Mitte nächsten Jahres Fortbildungen zur digitalen Transformation besuchen können. Der Bildungsföderalismus führt also nicht nur zu unterschiedlichen Herangehensweisen an KI und weitere Technologien. Oft werden auch die Lehrkräfte sich selbst überlassen, wenn es darum geht, den Unterricht an den neuesten Stand der technischen Entwicklung anzupassen.
In Hessen erhofft man sich von der Verwendung von KI-Tools im Unterricht eine Entlastung des Lehrpersonals: „Der Einsatz von ChatGPT hat das Potenzial, Arbeitsvorgänge zu verbessern und sie zu verschlanken“, schreibt das Kultusministerium. Das könne den Schüler:innen zugutekommen. In Bremen erwartet man zum einen, dass die Lehrer:innen so mehr Zeit haben, um sich um die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen zu kümmern, anstatt sich „Routineaufgaben“ widmen zu müssen. Zum anderen ermöglichten KI-Programme, dass Schüler:innen unterschiedliche Aufgaben bearbeiten, die auf ihren jeweiligen Lernstand zugeschnitten sind. Lehrer Haverkamp sagt, er habe zudem erlebt, wie hilfreich es sei, wenn die Schüler:innen von den KI-Tools nicht nur individuelles Feedback bekommen, sondern diese Rückmeldung auch unmittelbar kommt.
Bis alle Schüler:innen vom Potenzial der KI gleichermaßen profitieren können – und über ihre Risiken aufgeklärt sind –, wird es aber noch eine Weile dauern. Die Bildungsministerien von Sachsen und Schleswig-Holstein etwa geben an, dass ChatGPT nicht im Unterricht eingesetzt werde. Deshalb könne man die Frage nach Risiken und Chancen des Bots nicht „ad hoc“ beantworten, heißt es aus Kiel. Aber: Selbst wenn die Lehrkräfte die KI noch nicht selbst nutzen, ist es nach der umfassenden Berichterstattung über den Start des Tools fraglich, ob die Schüler:innen die Anwendung nicht nutzen, um die Hausaufgaben schneller zu erledigen.
Trotzdem sei derzeit keine Weiterentwicklung der Lehrpläne in Aussicht, da KI-Anwendungen schon im Informatikunterricht behandelt würden, erklärt das sächsische Bildungsressort. Allerdings ist der überarbeitete Lehrplan für das Fach Informatik am Gymnasium in Sachsen von 2019. Seitdem haben sich aber nicht nur Chatbots, sondern auch Übersetzungstools, Systeme der Grammatik- und Rechtschreibprüfung und nicht zuletzt Online-Lehrverfahren maßgeblich verändert.
Der Deutschlehrer Hendrik Haverkamp möchte nicht mit dem Finger auf einzelne Bundesländer, Schulen oder Lehrkräfte zeigen. Er hat die bundesdeutsche, aber auch die europaweite Bildungspolitik im Blick. Er wünsche sich, dass die Entwicklung von KI-Tools nicht dem freien Markt überlassen werde.
Eher sollten Schulen DSGVO-kompatible Technologien zur Verfügung stellen, die mit ausgewählten Trainingsdaten entwickelt wurden, um so die Reproduktion von rassistischen oder sexistischen Stereotypen zu vermeiden. „Gerade jüngere Kinder können das noch nicht einordnen – sie brauchen einen geschützten Rahmen“, meint Haverkamp. Auch wenn das Unternehmen OpenAI bislang noch nicht klargestellt habe, ob die Nutzung von ChatGPT kostenlos bleibt, sei es aus präventiver Sicht wichtig, bereits jetzt an der Entwicklung eines kostenlosen KI-Tools für Schüler:innen zu arbeiten. „Nur so kann Bildungsgerechtigkeit angesichts des technologischen Wandels bewahrt werden“, mahnt Haverkamp.
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