Künstliche Intelligenz und Arbeit: Der Feind ist nicht die KI
KI bedroht vor allem die Arbeitsplätze von Frauen. Allein auf Weiterbildungen zu setzen, ist nicht die Lösung. Wir müssen auch ans Thema Care-Arbeit.
D ie Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation der UN (ILO) sind eindeutig: Frauen sind von der Automatisierung durch KI besonders betroffen. In Deutschland könnten bis zu 9,6 Prozent der weiblichen Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verlieren. Fast dreimal so viele wie bei Männern. Denn Assistenz- und Verwaltungsjobs, klassische „Frauenberufe“, sind besonders leicht automatisierbar. Der Feind ist hier aber nicht die „böse“ KI, sondern das patriarchale System.
Seit der Industrialisierung fürchten Menschen, dass neue Technologien ihnen ihre Jobs wegnehmen. Die Besorgnis ist teilweise berechtigt, Jobs verändern sich. Aber wir arbeiten nach wie vor. Landwirte beispielsweise arbeiten heutzutage mit Traktoren, Algorithmen, nicht mehr mit reiner Pferdestärke.
Die Automatisierung durch KI ist kein Schicksal, das einfach über uns hereinbricht. Sie macht nur sichtbar, was in unserer Gesellschaft ohnehin schiefläuft: Frauen haben schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt, arbeiten häufiger in Teilzeit oder in prekären Jobs. Besonders Frauen übernehmen solche Aufgaben, die durch KI ersetzt werden können. Das liegt an einer Vergeschlechtlichung von Aufgaben außerhalb der Lohnarbeit.
Care-Arbeit gilt als typisch weiblich, wird aber nicht durch eine KI ersetzt werden können. Pflege, Erziehung, Ernährung – einen Großteil der Fürsorgearbeit, die überwiegend Frauen übernehmen, müssen Menschen verrichten. Sie hält uns am Leben – und muss genau deshalb abgesichert, politisch priorisiert und auch bezahlt werden.
Die technologischen Veränderungen werden nicht unbedingt zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, sagen die Forscher:innen der ILO. Vielmehr müssen wir lernen, die KI als Tool zu benutzen, die uns mühselige Kleinarbeit erspart. Allerdings: Das Narrativ, Frauen könnten durch die Automatisierung in neue, „höherwertige“ Jobs wechseln, blendet aus, dass sie sich in einem System bewegen, das typisch weibliche Arbeit – bezahlt wie unbezahlt – strukturell entwertet.
Die eigentliche Chance liegt nicht in der Hoffnung, dass Frauen neue Jobs finden, sondern in einer radikalen Neubewertung dessen, was Arbeit ist. Der meritokratische Ansatz sitzt tief. Wir glauben, unser persönlicher Wert hinge von unserer Leistung ab. Nur das, was produktiv, effizient und profitabel ist, gilt als richtige Arbeit. Nach dieser Logik wird auch Care-Arbeit als „nicht richtige“ Arbeit abgewertet. Und genau von dieser Vorstellung müssen wir uns trennen.
44 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten Frauen pro Tag im Vergleich zu Männern. Trotzdem beansprucht diese Form der Arbeit zeitliche und finanzielle Ressourcen. Fürsorgetragende erleben also fehlende Anerkennung, mentale Belastung und auch Altersarmut. Solange Care-Arbeit als private Pflichtaufgabe „nebenbei“ gesehen wird, die Frauen „aus Liebe“ und ohne Bezahlung verrichten, wird sich an der Schieflage auf dem Arbeitsmarkt nichts ändern. Wenn wir jetzt nur darüber sprechen, wie Frauen „fit gemacht“ werden für die neue Arbeitswelt mit KI, verpassen wir die Chance, einen neuen Arbeitsbegriff zu etablieren, der Fürsorgearbeit inkludiert. Es braucht eine Gesellschaft, die nicht nur von „Chancengleichheit“ in der Berufswelt redet, sondern den Wert von Sorgearbeit anerkennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selenski zu Besuch in Berlin
Militarisiertes Denken
Preisvergabe an Ursula von der Leyen
Trump for Karlspreis!
Hessische Ausländerbehörden
Arbeit faktisch eingestellt
Ukraine-Ankündigungen von Merz
Waffen statt wohlfeiler Worte
Unvereinbarkeitsbeschluss der Union
Überholter Symmetriezwang
ACAB-Debatte der Grünen
Jette Nietzard will Grüne bleiben