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Künstliche Intelligenz auf Medien-MesseGrößer als industrielle Revolution

KI revolutioniert die Medienwelt jetzt schon. Menschliche Kreativität sei aber nicht ersetzbar, heißt es auf der Konferenz „Content London“.

lvis Presleys Avatar bei „America’s Got Talent“ Foto: Screenshot TAZ

Die Content London ist inzwischen einer der wichtigsten Märkte, wenn es um internationale TV- und Streaming-Koproduktionen geht. Eines der meistdiskutierten Themen dort war diesmal Künstliche Intelligenz (KI). Alle wichtigen Player waren sich einig, dass die neuen technischen Möglichkeiten das Medienbusiness komplett umkrempeln werden.

„Innerhalb weniger Jahre wird KI alles verändern, und zwar stärker als die industrielle Revolution, Computer und das Internet“, ist sich David Jenkinson sicher. Der Gründer des britischen Fachdienstes C21 Media und der AI Academy prognostiziert für Kreative die Möglichkeit, „auf gleicher Augenhöhe“ mit den großen Anbietern sowie Studios mitzuhalten: „Das wird das traditionelle Unterhaltungsmodell umstürzen.“

Einen Vorgeschmack darauf gab es beispielsweise mit der letzten Folge der US-Casting-Show „America’s Got Talent“ vergangenes Jahr – von keinem Geringeren als Elvis Presley eröffnet, der als Deep-Fake-Avatar vor seinem Auftritt auch noch eine kleine Rede hielt.

Stimme von verstorbenem Schauspieler

Der eigentliche Teilnehmer, Chris Umé, realisierte das, indem er seine Technologie und die Performance des Tribute-Sängers Emilio Santoro übereinanderlegte. Mit dieser Auferstehung des „Kings“ erreichte der belgische Medienentwickler Platz 4 der Talentshow. Eigentlich aber wollte er dem amerikanischen Fernsehpublikum zeigen, was mit KI schon möglich ist.

Die Ansprache von Elvis erzeugte übrigens Respeecher. Das Unternehmen mit Sitz in Kyjiw sorgte auch dafür, dass die Stimme des verstorbenen Schauspielers Hans Clarin in der RTL-Serie „Neue Geschichten vom Pumuckl“ wieder zum Einsatz kommt.

Die Ukrainer fütterten ihre Software mit der Pumuckl-Stimme Clarins aus alten Folgen und kombinierten diesen Input mit dem Tempo und der Modulation von Schauspieler Maxi Schafroth, der zuvor den Text des anarchischen Trolls eingesprochen hatte.

Technologie sei bei solchen Prozessen aber immer nur eine „Erweiterung“, denn die besten Ausdrucksformen kämen immer noch von menschlichen Akteuren. Das beteuert der Geschäftsführer von Respeecher, Alex Serdiuk, der mit seinem Team bereits zahlreiche Hollywood-Projekte umsetzte.

„Emotionale Tiefe fehlt“

Sogar einen Emmy gab es schon: für die Rede von Richard Nixon in der Deep-Fake-Dokumentation über die gescheiterte erste Mondlandung, „In Event of Moon Disaster“. Auch wenn Serdiuk stets betont, dass KI menschliche Kreativität nicht ersetzen könne, sei sie doch die einzige Möglichkeit, um zum Beispiel Stimmen verstorbener Stars wieder lebendig werden zu lassen.

Bei dem weltweit agierenden Londoner Produktionsunternehmen Fremantle wird ebenfalls schon emsig mit den neuen Möglichkeiten experimentiert, wie Vorstandsmitglied Jens Richter bestätigt. Doch Synchronisation etwa sei noch nicht perfekt, „weil die emotionale Tiefe fehlt“. Bei YouTube und anderen Onlineplattformen werde das jedoch bereits immer mehr genutzt.

„Im kreativen Bereich wäre theoretisch schon einiges möglich“, so der Manager, „wir würden hier allerdings keine KI einsetzen. Für uns ist der Umgang mit unseren kreativen Talenten von höchster Bedeutung!“

Denn die Klärung geistigen Eigentums spielt beim Einsatz computergenerierter Inhalte die wichtigste Rolle bei Produktionsunternehmen, auch weil es sie selbst betrifft. „Es könnte ja jetzt schon jemand geben, der im Graubereich unsere Gameshows herunterlädt und versucht, daraus neue zu kreieren“, erklärt Richter.

Knappe Kassen

Besorgt waren und sind darstellende sowie schreibende Kreative in den USA, deren Jobs wegfallen könnten. Das war auch eine der Ursachen für einen Streik, der in diesem Jahr monatelang Hollywood lahmlegte. Die Forderung der Filmschaffenden: Regeln für den Einsatz von KI, damit verhindert wird, dass Algorithmen mit ihren Werken ohne ihre Zustimmung trainiert werden.

Auch wenn alle Akteure pflichtschuldig betonen, KI sei nur Ergänzung, nicht Ersatz, werden die enormen Möglichkeiten in der globalen Inhalteproduktion angesichts knapper Kassen wohl kaum ungenutzt bleiben, denn die Qualität, auch auf kreativer Ebene, wird sich innerhalb kurzer Zeit weiter immens steigern – die Rechenleistung von Computerchips verdoppelt sich alle 18 Monate.

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