Künstliche Befruchtung: Zuschuss für Deutschlands Zukunft
Der Staat soll "Kinderwunschpaaren" die Hälfte ihrer Selbstbeteiligung erstatten, empfiehlt das Berliner Forschungsinstitut Iges.
Angesichts der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung wird die niedrige Geburtenrate zu einem gesellschaftlichen Problem", steht in einem Schreiben der Firma Merck Serono, das Redaktionen auf ein Gutachten hinweist - Titel: "Finanzielle Zuschüsse zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung aus Steuermitteln".
Erstellt hat die Studie das Berliner Forschungsinstitut Iges - im Auftrag von Merck und vor dem Hintergrund der Gesundheitsreform 2004. Seither müssen gesetzlich versicherte Paare, die mithilfe künstlicher Befruchtungstechniken wie IVF oder ICSI (siehe Kasten) Kinder bekommen wollen, 50 Prozent der Kosten selbst aufbringen; ab dem vierten Behandlungsversuch erstatten die Krankenkassen keinen Cent mehr.
Dass der "Kinderwunsch" tatsächlich in Erfüllung gehen wird, kann zwar kein Reproduktionsmediziner garantieren, sicher ist aber: Für ihre Kunden wird es teuer. Nach Erhebungen von Iges werden für einen Behandlungszyklus bis zu 3.600 Euro abgerechnet, knapp die Hälfte der Gesamtkosten entfallen auf Arzneimittel, die Firmen wie Merck Serono anbieten.
* Wenn Paare medizinische Hilfe suchen, weil sie ungewollt kinderlos geblieben sind, empfehlen Ärzte oft eine künstliche Befruchtung. Zwei Techniken werden dabei am häufigsten eingesetzt:
* Bei der IVF (In-vitro-Fertilisation) werden der Frau reife Eizellen entnommen und im Reagenzglas mit jeweils rund 100.000 Spermien ihres Partners zusammengebracht; bis zu drei befruchtete Eizellen dürfen Reproduktionsmediziner anschließend in die Gebärmutter transferieren.
* Bei der Alternativmethode ICSI (Spermien-Mikroinjektion) spritzen sie einzelne, ausgewählte Samenzellen direkt in entnommene Eizellen.
* Vor beiden Verfahren müssen Frauen sich einer belastenden, mehrwöchigen Hormonbehandlung unterziehen, die die Eierstöcke stimulieren soll.
* Ein Register zu Behandlungsergebnissen, geführt bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein, fasst Daten von rund 120 Fortpflanzungskliniken und -praxen zusammen. Die jüngste Bilanz mit Angaben auch zu Geburten liegt für 2006 vor: In jenem Jahr wurden rund 55.000 Behandlungszyklen ausgeführt. In etwa jedem vierten Fall kam es zur Schwangerschaft; geboren wurden schließlich über 10.700 Babys. Gezählt wurden allerdings auch 56 tot geborene Kinder und mehr als 2.800 Fehlgeburten. KPG
Infolge der Gesundheitsreform habe sich die Zahl der mit reproduktionstechnischer Hilfe geborenen Kinder seit 2004 auf jährlich rund 10.000 "annähernd halbiert", rechnet Iges vor. Zudem gebe es eine "soziale Schieflage", weil Privatversicherte eine "achtfach höhere Chance" als gesetzlich Versicherte hätten, nach künstlichen Befruchtungen schwanger zu werden.
Um einen "kleinen Babyboom" auszulösen, empfiehlt Iges, dass der Staat künftig "Kinderwunschpaaren" die Hälfte ihrer Selbstbeteiligung erstatten soll. Die Subvention sei auch ökonomisch zu rechtfertigen, da Studien besagten, dass heute Geborene im Laufe ihres Lebens erheblich mehr an Steuern und Sozialversicherungsbeiträge aufbringen, als sie selbst von staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen würden.
Vorreiter zur Umsetzung solcher Ideen ist Sachsen. Seit März 2009 zahlt der Freistaat Verheirateten, die auf IVF oder ICSI hoffen, ab dem zweiten Behandlungszyklus bis zu 900 Euro; doppelt so viel gibt es für die vierte Behandlung. Binnen drei Monaten seien 180 Anträge bewilligt worden, bilanzierte Sozialministerin Christine Clauß (CDU) Anfang Juli. Bei der Förderung geht es dem Freistaat offensichtlich nicht nur um Geburten, sondern auch um Standortpolitik. Er macht den Zuschuss nämlich davon abhängig, dass die Befruchtungsversuche in einer sächsischen Einrichtung vorgenommen werden. Sympathie für Sachsens Vorstoß zeigt die Krankenkasse KKH-Allianz.
Deren Vorstandsmitglied Rudolf Hauke hält einen Steuerzuschuss zur künstlichen Befruchtung "für richtig und wichtig". Hauke äußerte sich in einem Interview, das Merck Seronos Pressestelle mit ihm geführt und Zeitungen zur kostenfreien Veröffentlichung empfohlen hat.
In der Praxis bedeuten die Reformvorschläge, dass Steuerzahlern aufgebürdet würde, was Krankenversicherten gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zugemutet werden darf. Die Regel des Sozialgesetzbuches, wonach die Kassen nur die Hälfte der IVF-Behandlungskosten erstatten müssen, ist vom Bundesverfassungsgericht im Januar erneut gebilligt worden.
Medizinische Maßnahmen zum Herbeiführen einer Schwangerschaft seien, so die Richter, "nicht als Behandlung einer Krankheit anzusehen".
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