KünstlerInnen bangen um Atelierräume: Wenig gespart, viel verloren
KünstlerInnen haben sich das Arbeitsraumprogramm hart erkämpft. Es ist weltweit einzigartig. Doch es ist in Gefahr, wenn es zu Kürzungen kommt.

368 Atelier-Mietverträge laufen in den nächsten zwei Jahren aus. Die ersten schon zum Ende dieses Jahres. Eine weitere Verlängerung der Hauptmietverträge durch den Senat, der von seinen Untermietern, den KünstlerInnen, zwischen vier und sechs Euro pro Quadratmeter verlangt, ist nicht gesichert. Grund dafür ist eine für das Arbeitsraumprogramm fatale Gemengelage zwischen den Senatsverwaltungen für Kultur und für Finanzen.
So kann die Senatsverwaltung für Kultur mithilfe einer Verpflichtungsermächtigung der Senatsverwaltung für Finanzen im Namen des Landes Berlin Hauptmietverträge abschließen, die über den aktuellen Haushalt hinausgehen. Seit Frühjahr 2024 aber ist die Nutzung dieses finanzpolitischen Instruments immer öfter durch Finanzsenator Stefan Evers (CDU) gesperrt. Gleichzeitig verkündet die Kulturverwaltung, dass „um den Förderbeitrag zu senken, neue Zielgruppen angesprochen werden sollen, die den (marktüblichen) Mietpreis zahlen können.“
Bis jetzt werden die rund 1.100 geförderten Ateliers vom Berufsverband bildender KünstlerInnen Berlin (BBK) verwaltet. Auch Dejan Marković vom Vorstand des BBK demonstrierte am Mittwoch. Für ihn und die KünstlerInnen steht drohend im Raum, dass die Verwaltung von Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos, für CDU) plant, die Zielgruppen auszutauschen. Nicht mehr die prekär lebenden KünstlerInnen, die alle zwei Jahre ihre finanzielle Situation darlegen müssen, sollen künftig unterstützt werden. In die Räume soll vielmehr Gewerbe einziehen, das sich die marktüblichen Mieten leisten kann.
Alle fünf haben ihre Ateliers im obersten Stock
Was so ein Mieteraustausch generell für ein Haus bedeutet, erzählen fünf KünstlerInnen im 2. Hinterhof in der Belziger Straße 25 in Schöneberg. Alle fünf haben ihre Ateliers im obersten Stockwerk. Eva M. Kreutzberger und Katharina Bach entdeckten die Räume Anfang der 1980er, als sie an der Schöneberger Dependance der Hochschule der Künste (HdK, heute Universität der Künste, UdK) Kunstpädagogik studierten. Räume, die sehr lange keinen Handwerker gesehen hatten. Sogar die Türen fehlten. Aber es gab Platz und Licht.
1994 schafften sie es, dass die Atelierräume in das neu eingeführte Berliner Arbeitsraumprogramm aufgenommen wurden. Im 2. Hinterhof existierten damals noch traditionelle Gewerbe, unter anderem eine Eisengießerei und eine Druckerei. Deren spezifischer Klangteppich wich mehr und mehr den Rhythmen, die aus den Fenstern der neu gegründeten Tanzschulen den Hof beschallten. Dort ist es heute ruhig. An den Aufgängen finden sich dezente Hinweise auf ansässige Architekturbüros. Und ganz oben als Kontinuität zwischen den Epochen die KünstlerInnen.
Mona Könen ist seit über 30 Jahren vor Ort. Sie bereitet gerade eine Ausstellung im bulgarischen Plowdiw vor. Kurz setzt sie sich hin, lässt ihren Blick durchs Atelier schweifen und bleibt an einem Bild hängen, aus dem sich ein einsam gewordener High-Heel-Stiletto in den Raum bohrt. Für sie ist klar: „Ich kann mir keine höhere Miete leisten. Aber wie soll ich ohne Atelier künstlerisch tätig sein? In meinem Atelier kommen mir die Ideen, gleichzeitig ist es der Raum, der mir die Möglichkeit gibt, sie zu realisieren, und es ist auch der einzige Ort, an dem ich meine Kunst immer jemandem zeigen kann.“
Mona Könen, Künstlerin
Sonja Schrader und Konrad Mühe arbeiten seit fünf Jahren in der Belziger Straße 25. Mithilfe des gemeinsamen Ateliers, das in der Nähe ihrer Wohnung liegt, schaffen sie es, Familienleben mit Kind und künstlerische Tätigkeit zu vereinen. Doch der Hauptmietvertrag für die vier Ateliers läuft im Sommer nächsten Jahres aus. Mühe ist inzwischen Sprecher der Ateliergemeinschaft und tauscht sich wöchentlich mit den SprecherInnen der anderen bedrohten Ateliergemeinschaften aus. Sie haben sich organisiert im „Bündnis der bedrohten Atelierhäuser“ und die Online-Petition „#SaveOurStudiosBerlin“ auf den Weg gebracht, die bisher über 6.000 Menschen unterzeichnet haben.
„Wir geben der Gesellschaft auch etwas zurück“
Bei der Demo am Mittwoch schallte es chorisch Richtung AGH: „Wenig gespart, viel verloren.“ Maria Anwander hält das Transparent, das auf die Petition verweist, mit drei MitstreiterInnen gegen den eisigen Wind. Sie hat ihr Atelier in der Wilsnacker Straße in Moabit und sagt: „Wir geben der Gesellschaft auch etwas zurück. In mein Atelier kommen Kita-Gruppen und Schulklassen. Mein Kunstansatz ist partizipativ, denn ich möchte mit der Gesellschaft arbeiten.“
Anwander erinnert sich an ihren zweijährigen Lehrauftrag an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig: „Da hatte ich zwei Jahre lang ein konstantes Einkommen. Aber das ist auch schon wieder Jahre her.“ Peter Behrbohm hält sich am großen „#Hobrecht31“-Transparent fest. In der Neuköllner Hobrechtstraße 31 existiert mit 21 Ateliers eines der größten Atelierhäuser der Stadt, über 30 KünstlerInnen arbeiten hier. Behrbohm teilt sich dort mit Anton Steenbock ein Atelier. Für beide, als Künstlerduo „Sonder„unterwegs, ist „ohne ein Atelier mit Lastenaufzug unsere raumgreifende installative und intervenierende künstlerische Praxis undenkbar“.
Im Nach-Wende-Berlin hatten sich KünstlerInnen das Arbeitsraumprogramm hart erkämpft. Es ist weltweit einzigartig, wurde über die Jahre hinweg ausgebaut und hat Vorbildcharakter für andere Städte. Noch leben und arbeiten über 10.000 bildende KünstlerInnen in Berlin. Ungefähr 20 Prozent haben Zugang zu einem geförderten Atelier. Lange war von einem weiteren Ausbau des Arbeitsraumprogramms die Rede.
Am Mittwoch trafen die KünstlerInnen im AGH auf Kulturstaatssekretärin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), der im Auftrag des „Bündnisses der bedrohten Atelierhäuser“ bei der Gelegenheit auch die Petition übergeben wurde. Richter-Kotwoski sicherte zu, dass „im Augenblick die ganze große Prämisse“ sei, „dass wir den Bestand der Ateliers, die wir haben, erhalten wollen“.
Alles doch nicht so schlimm?
Andere, die sich derzeit noch im Aufbau befinden, wie die Ateliers in der Lehrter Straße, will die Kulturverwaltung demnach „zu Ende führen und ins Programm einfließen lassen“. In Bezug auf das Atelierhaus in der Hobrechtstraße 31 wurde die CDU-Frau konkret: „Große, alte Strukturen wie die Hobrechtstraße, wo es einen Eigentümer gibt, der selber weitermachen will, das werden wir weiterführen.“ Alles doch nicht so schlimm?
Dejan Marković vom BBK beobachtet, dass bei der Senatsverwaltung für Kultur das Framing und das, was tatsächlich beschlossen und umgesetzt wird, immer öfter auseinanderklafft. Fakt ist, dass, falls beim Doppelhaushalt 2026/27 nicht nachgebessert wird, die Ausgaben für Kultur im kommenden Jahr weniger als zwei Prozent des Berliner Gesamthaushalts ausmachen werden und bei der Kultur definitiv wieder über 100 Millionen eingespart werden.
Die VertreterInnen vom „Bündnis der bedrohten Atelierhäuser“ haben schon mal angekündigt, am 13. Oktober im Abgeordnetenhaus wieder auf der Matte zu stehen. Man sei mit Kulturstaatssekretärin Cerstin Richter-Kotowski im Guten auseinander gegangen. Es schien fast, als kämpfe man an unterschiedlichen Fronten für die gemeinsame Sache. Wenn das, was Richter-Kotowski sagt, mehr ist als positiv aufgeladenes Framing, dann gibt es noch eine reale Chance für die bedrohten Atelierhäuser. Und die KünstlerInnen können sich wieder auf das konzentrieren, was ihr Metier ist: die Kunst.
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