Künstler über US-Nachrichten: „Die Handgranate im System“
Worte sind bei diesen Moderationen egal. Der Künstler Heiner Franzen beobachtet in seinen Videoprojekten das populistische Script in US-Nachrichten.
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taz: Heiner Franzen, seit Jahren beobachten Sie das Auftreten von US-Nachrichtenmoderator:innen. Wie war es nach Donald Trumps neuerlichem Wahlsieg?
Heiner Franzen: Vielleicht gab es eine Schrecksekunde, auf CNN etwa. Aber dann hat man sofort weitergequatscht. Die Obsession für Trump darf ja nicht verschwinden, das ist das Geschäftsmodell. Wenn man sich durch die Nachrichtenportale klickt, fällt sein Name meistens nach den ersten fünf Sekunden.
Die Blöße, einfach mal innezuhalten, können sich die Moderatoren auf keinem News-Kanal geben. Sie stellen sich gegenseitig unter totale Beobachtung, macht man eine Pause, wird das beim Konkurrenzsender sofort ausgenutzt.
taz: Für Ihr Videoprojekt „Anchors“ schneiden Sie Clips von US-Nachrichtensprecher:innen in dem Moment, in dem sie schweigen, sei es wegen einer Störung oder weil sie gerade Gäste diskutieren lassen. Warum?
Franzen: Mich interessiert, was mit Präsenz in einem elektronischen Medium geschieht. Schweigen meidet das Medium eigentlich. Die Leute schalten nach sieben Sekunden Ruhe auf einen anderen Sender, besagt eine Regel. Wir gehen immer mehr ins Digitale. Präsenz aber passiert im analogen Raum, etwa im Theater. Dort kann bei Stille oder Leere auf der Bühne eine Spiegelung mit dem Publikum entstehen. Gibt es auch solch eine Identifikation mit dem Geschehen im Digitalen, frage ich mich.
Heiner Franzen, Jahrgang 1961, ist Videokünstler und Zeichner in Berlin. „Anchors“ zeigt er am 23. Januar im Studio IIII Berlin.
taz: Wofür steht das steinerne Gesicht von Liz Wheeler, die Sie im Video porträtieren?
Franzen: Liz Wheeler moderiert beim One America News Network, das ist politisch noch weiter rechts als Fox News. Intelligente Frau. Sie hält Monologe in meisterlicher Geschwindigkeit und kann sich gut artikulieren. Indem sie irgendwelche Behauptungen aufstellt oder ablenkende Fakten einwirft, nimmt sie ihre Gesprächspartner richtig auseinander. Dabei guckt sie immer so starr in die Kamera mit dem von ihr selbst modulierten Gesicht.
taz: Ist Liz Wheeler vielleicht KI-generiert?
Franzen: Ja, die KI könnte all das, was auf den Sendern passiert, übernehmen: Vorhandenes einfach nur addieren. Was die KI aber noch nicht kann, ist subtrahieren und Leere schaffen. Der französische Essayist Émile Chartier hat mal gesagt: „Kein Satz kann den Satz sichern, der folgt.“ Eine formalistische Theorie, in der Ungewissheit zur Existenz gehört. In den Medien erleben wir gerade etwas Unlebendiges, nämlich den Versuch, Wahrheiten herzustellen.
taz: Warum schalten Sie bei der Recherche den Ton ab?
Franzen: Was sich inhaltlich in den meisten Sendungen abspielt, ist vorhersagbar, man muss gar nicht zuhören: Ein Gast wird mit einer Lüge konfrontiert, windet sich raus und redet rein, bis der entnervte Moderator ihn aus dem Bild nimmt – und ihn gleich für die nächste Sendung wieder einlädt. Solch einem Script folgen Anderson Cooper oder Joy Reid auf CNN ständig.
taz: Sie überlegen, Fox-News-Moderator Jesse Watters sei eine sardonische Figur, ein Mephisto.
Franzen: Oder ein Batman-Joker. Ein Interview mit dem Premierminister von Ontario, Kanada, leitete Watters neulich so ein: „Die Tatsache, dass sie (die Kanadier) nicht wollen, dass wir sie erobern, weckt in mir den Wunsch, einzumarschieren. Ich möchte meinen imperialistischen Durst stillen.“ Von rechts bis links nehmen das alle wörtlich.
Das funktioniert, weil sich jeder auf seine Mimik einen eigenen Reim machen kann: leichtes Grinsen, unbewegliches Gesicht, kaum ein Blinzeln. Damit ist er die Handgranate im System. Als dramatische Figur ist das interessanter, als ein Guter zu sein, der was aufbauen will. Auch Trump zitiert gerne mal Bösewichte aus Filmen.
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