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Kündigungen am Delmenhorster KlinikumSchweigsame Klinikleitung

Am Delmenhorster Klinikum reichen reihenweise Hebammen ihre Kündigung ein, weil sie entsetzt sind über das Ausscheiden der Chefärztin der Frauenklinik.

Katharina Lüdemann während ihrer Zeit als Oberärztin in Delmenhorst Foto: Kay Michalak

Bremen taz | Binnen weniger Wochen haben am städtischen Josef-Hospital Delmenhorst knapp ein Drittel aller Hebammen ihre Stellen gekündigt. Am Montagabend reichte zudem eine von zwei Oberärzt*innen die Kündigung ein. Der Grund ist das überraschende Ausscheiden der bisherigen Chefärztin, Katharina Lüdemann, zum neuen Jahr.

Wegen ihr seien viele Hebammen an das Klinikum gegangen, sagt die Vorsitzende des Bremer Hebammenverbands, Heike Schiffling. „Frau Lüdemann steht für eine frauenzentrierte Geburtshilfe“, so Schiffling, „die Kolleginnen wussten, dass sie bei ihr Geburten so begleiten konnten wie es fast nur außerhalb der Kliniken möglich ist, in Ruhe und ohne Druck nach dem Motto ‚jetzt muss es hier mal vorangehen‘.“

Deshalb sei das Josef-Hospital wohl die einzige Klinik im Nordwesten, in der alle 22 Hebammenstellen besetzt waren. In den fünf Geburtshilfe-Kliniken im Land Bremen dagegen seien 19 Stellen offen. „Es gibt in Delmenhorst viele Hebammen, die nie wieder in einer Klinik arbeiten wollten, es sich dort aber gut vorstellen konnten“, sagt Schiffling. Sie wisse von einigen, die im letzten Jahr nach Delmenhorst gewechselt seien – an ein finanziell angeschlagenes Haus, das erst im Mai 2018 ein Insolvenzverfahren beendet hat.

Die Kündigungen kommen offenbar nicht nur, weil Lüdemann geht, sondern auch wegen der Umstände ihres Weggangs. „Vor Weihnachten sind wir von mehreren Kolleginnen angesprochen worden, die entsetzt waren über das Vorgehen“, sagt die Hebammensprecherin Schiffling. „Sie haben Gerüchte gehört und mussten den Informationen hinterherlaufen, bis ihnen die Klinikleitung etwas gesagt hat.“

Für uns ist unverständlich, wie eine sehr gut funktionierende Frauenklinik bewusst in eine Katastrophe gesteuert wird

Gemeinsame Erklärung der Hebammenverbände Bremen und Niedersachsen

Dass Lüdemann in Wechselstimmung gewesen wäre, sei ihren Mitarbeiter*innen nicht aufgefallen – diese gehen laut Schiffling davon aus, dass die Klinik die Ärztin loswerden wollte. Zudem konnte die Klinikleitung binnen kurzer Zeit einen Nachfolger präsentieren: Aref Latif hatte zuletzt von Dezember 2017 bis Juni 2018 die Frauenklinik in Gotha geleitet. Jetzt, teilt die Klinikleitung der taz mit, gebe es auch einen Interessenten für die dritte Oberarztstelle, die 2018 unbesetzt war. Zuvor sei diese nicht ausgeschrieben gewesen, weil die Klinik – offenbar ein ganzes Jahr – mit einem Kandidaten verhandelt hatte. „Von dieser Personalie haben wir jetzt Abstand genommen“, teilt sie mit.

Fragwürdig erscheinen auch die Erklärungen zum Weggang von Katharina Lüdemann. Die Trennung sei „in bestem Einvernehmen“ geschehen, heißt es einer Pressemitteilung der Klinikleitung vom 21. Dezember. Weitere Fragen, etwa dazu, seit wann klar gewesen sei, dass Lüdemann die Klinik verlassen werde und unter welchen Umständen, bleiben unbeantwortet. „Wir äußern uns nicht zu Details von personellen Angelegenheiten“, lassen der Geschäftsführer Florian Friedel und der ärztliche Direktor Frank Starp per Mail mitteilen. Zu einem Telefonat mit der taz sehen sie sich seit Donnerstagnachmittag nicht in der Lage, finden aber die Zeit, mehrere Mails ausführlich zu beantworten.

Lüdemann selbst sagte am Dienstag der taz, sie wolle sich nicht äußern.

Erschöpfte Kapazitäten

Zu Wort melden sich dafür andere, die die Zukunft der Geburtshilfe in Delmenhorst für bedroht halten. „Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass ein Verlust von so vielen Mitarbeiter*innen bei dem momentanen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht zu kompensieren ist“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Hebammenverbände Bremen und Niedersachsen, den auch die Vorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Bremen und die ärztlichen Leiter von zwei Bremer Geburtshilfekliniken unterzeichnet haben.

Darin heißt es: „Für uns ist unverständlich, wie eine sehr gut funktio­nierende Frauenklinik bewusst in eine Katastrophe gesteuert wird.“ Es sei zu befürchten, dass verunsicherte Frauen die Delmenhorster Klinik meiden und zum Gebären nach Bremen kommen würden, sagt Schiffling vom Hebammenverband. Dabei mussten die Bremer Kliniken oft nach Delmenhorst verweisen, weil die eigenen Kapazitäten erschöpft waren. 950 Geburten gab es im vergangenen Jahr am Delmenhorster Klinikum. Die Kliniken in Oldenburg und Bremen könnten diese nicht auffangen, heißt es in der Erklärung von Ärzt*innen und Hebammen.

Die Klinikleitung glaubt, die Stellen wieder besetzen zu können und verspricht, dass der neue Chefarzt, der am 2. Januar seinen Dienst angetreten hat, die „natürliche familienorientierte Geburtsmedizin“ fortsetzen wird.

Geht es um den Verkauf der Klinik?

Auch Delmenhorsts Oberbürgermeister Axel Jahnz (SPD), der Vorsitzende des Aufsichtsrats des städtischen Klinikums, sagt, er habe „keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Delmenhorsterinnen weiter ihre Kinder im Josef-Hospital bekommen können“. Es werde in der Stadt gerade viel geredet, unter anderem über Kündigungen. Die Klinik bestätigte bis Dienstagabend der taz per Mail die Kündigung einer Oberärztin und von fünf Hebammen. Dem Hebammenverband hatten zwei weitere Hebammen ihre anstehende Kündigung mitgeteilt.

Tatsächlich wird in der Stadt spekuliert, was der Hintergrund der Personalie ist. Viele glauben, dass es darum geht, die Klinik so zu „verschlanken“, dass die Stadt sie an den Helios-Konzern verkaufen kann. Sowohl der neue Chefarzt als auch der Geschäftsführer kommen von den Helios-Kliniken.

Die Klinikleitung schreibt der taz, sie verspreche sich von dem neuen Chefarzt, dass er die operative Gynäkologie ausbauen wird. Konkret nennt die Klinik Operationen, die auch unter der bisherigen Chefärztin durchgeführt wurden, aber „auf einem recht niedrigen Niveau“. Zahlen nennt der Geschäftsführer Florian Friedel keine. „Ich glaube aber, dass wir hier mehr Patientinnen versorgen könnten“, schreibt er. Das würde sich „natürlich auch auf die Erlöse auswirken“.

Petition für den Verbleib Lüdemanns

Heike Schiffling vom Hebammenverband hält dies für zu kurz gedacht: „Marketingstrategisch kann man sich doch nichts besseres wünschen als eine gut laufende Geburtsklinik“ – zumal an einem Klinikum, das durch den „Todespfleger“ Niels Högel international in die Schlagzeilen geriet.

Katharina Lüdemann arbeitete seit 2008 am Klinikum und leitete ab 2013 die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die 55-Jährige ist bundesweit bekannt wegen ihrer Expertise in der Geburtshilfe. In ihrer Klinik konnte sie die Kaiserschnittrate auf 22,5 Prozent im Jahr 2017 senken.

Bis Dienstagabend erhielt eine Petition 720 Unterschriften, die den Rat der Stadt Delmenhorst dazu auffordert, sich für einen Verbleib Lüdemanns am Klinikum einzusetzen.

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2 Kommentare

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Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • natürlich bringen Operationen mehr Geld ein, allerdings nicht unbedingt zu Nutzen von Mutter und Kind.

  • Mit mehr Kaiserschnitten will der Helios-Konzern also mehr Geld verdienen.



    Ist das der Hintergrund?