Meinungsfreiheit in Kuba: Die Unbequeme aus Matanzas
Alina Bárbara López ist Kubas prominente linke Regierungskritikerin. Nun droht der promovierten Historikerin eine Gefängnisstrafe.

Die großgewachsene Historikerin mit dem kurzen rötlich-braunen Haarschopf hat schon gewartet. „Hier ist die Orientierung nicht ganz so einfach“, sagt sie lachend zur Begrüßung an der Straßenecke vor dem Kindergarten. Dann weist sie den Weg die Straße hinunter bis zum Eingang ihres Apartments im Erdgeschoss eines himmelblau gestrichenen vierstöckigen Plattenbaus.
Lange waren die modernen Wohnungen vor allem verdienten Anhängern der kubanischen Revolution vorbehalten, und es ist nicht allzu lange her, dass auch die marxistisch-leninistisch geschulte Historikerin als zuverlässig galt. Vorbei. Seit dem Oktober 2022 befindet sie sich im Visier der „Contrainteligencia“, der Spionageabwehr.
„Zwei Männer, die sich als Mitarbeiter der Contrainteligencia bezeichneten, sich aber nicht auswiesen, standen damals in der Tür und überreichten mir eine Vorladung zum Interview“, erinnert sich die wehrhafte Frau mit einem Kopfschütteln. Nur zu gut hatte sie die Fälle von Bekannten vor Augen, die einer solchen Vorladung gefolgt waren und massiv eingeschüchtert wurden.
La Joven Cuba: Essays und profunde Analysen
Daraufhin studierte sie die Gesetze und Vorgaben und kam zu dem Schluss, dass ohne konkrete Ermittlungen, ohne handfesten Verdacht eine derartige Vorladung gegenstandslos sei. „Genau das habe ich den Beamten auch gesagt und das Ganze dann über „La Joven Cuba“ auch publik gemacht“, schildert die 59-Jährige ihr Vorgehen.
„La Joven Cuba“ ist ein Blog, wo seit 2010 Analysen über die soziale und politische Situation auf der Insel erscheinen. Mehrere davon von Alina López, versierte Geschichtsprofessorin der Universität. „2013 habe ich die Lehre an der Universität aufgegeben, mit dem Schreiben angefangen und schließlich mit,La Joven Cuba' ein Medium gefunden, dass zu mir passte“, erinnert sich die Mutter zweier Töchter und schenkt kubanischen Espresso in kleine Tassen ein.
Der Blog, ursprünglich an die Universität Matanzas angelehnt und von Wissenschaftler:innen und Journalist:innen gemacht, liefert fundierte Einblicke in die kubanische Wirklichkeit. Das war 2015, 2016 nichts Ungewöhnliches in Kuba. Gut gemachte journalistische Portale wie „El Estornudo“, „Periodismo de Barrio“ oder „El Toque“ sorgten mit Reportagen, Interviews und kritischen Berichten, die im Ausland so manchen Medienpreis erhielten, dafür, dass ein anderes Kuba zu Wort kam – das der einfachen Leute.
„La Joven Cuba“ lieferte hingegen Essays und Analysen mit historischem Background, und mehrere Autor:innen benannten auch die Verantwortlichen für die ökonomischen wie sozialen Missstände – darunter Alina Bárbara López.
Kritik von links tut mehr weh als von rechts
Für sie beginnt die soziale Misere in Kuba mit Raúl Castro, dem 93-jährigen ehemaligen Staatschef (2008–2018). „Ich vergleiche Raúl Castro mit Margaret Thatcher in Großbritannien, denn ähnlich wie sie strich er die sozialen Sicherungssysteme zusammen: Der Etat wurde unter seiner Regie um 61 Prozent eingedampft“, erklärt Alina López mit missbilligender Miene.
Die Folgen dieser Spar- und einer verfehlten Investitionspolitik im Tourismussektor, wo Hunderte Millionen US-Dollar in Fünf-Sterne-Hotels versenkt wurden, lässt sich heute in den Straßen der Insel kaum übersehen. Altersarmut, Senioren, die im Müll nach Verwertbarem suchen oder auf den Bauernmärkten anstehen, um kurz vor Feierabend die Reste billiger erwerben zu können, hätte es unter Fidel Castro nicht gegeben, meint die Historikerin.
Sie hat Daten zusammengetragen, ausgewertet und klar und deutlich niedergeschrieben, wie sich die Politik von dem älteren Castro zum jüngeren änderte. In Kuba hat das für Aufsehen gesorgt, gerade weil die beiden Ikonen der Revolution genannt wurden, aber auch weil die Kritik nicht von rechts, sondern von links kam.
Alina Bárbara López
Das ist deutlich schmerzhafter für eine Regierung, die sich als links und revolutionär definiert und deren Sozialpolitik über Jahrzehnte einen integrativen Effekt hatte, gibt Alina López ohne zu zögern zu. „Hier in dieser Wohnung haben mich Journalisten linker Medien, Vertreter bekannter Gewerkschaften, aber auch Abgeordnete besucht, die wissen wollten, was in Kuba geschieht – vor und mehr noch nach dem 11. Juli 2021.“
Einblicke in ein heruntergekommenes Gesundheitswesen
Der Tag der ersten großen landesweiten Proteste, an denen Tausende inselweit teilnahmen, ist für Alina López ein Wendepunkt: „Ich habe lange für Reformen plädiert. Aber seit der Niederschlagung der Proteste, der Inhaftierung Hunderter Menschen, nur weil sie ihr Demonstrationsrecht in Anspruch nahmen und mit dem Mobiltelefon filmten, halte ich das politische System nicht mehr für reformierbar – wir brauchen strukturelle, grundlegende Veränderungen“, sagt López.
Sie ist in einer einfachen Arbeiterfamilie groß geworden. „Mein Vater war Dreher, wir hatten Metallmöbel, weil wir uns andere nicht leisten konnten“, erinnert sich die Historikerin. Rund die Hälfte ihrer Familie lebt in den USA, auch eine ihrer beiden Töchter studiert dort, während die andere als Ärztin um die Ecke in einer Familienarzt-Praxis arbeitet.
Das sorgt für dezidierte Einblicke in ein Gesundheitssystem, wo die Patienten mittlerweile Spritzen, Handschuhe und Medikamente selbst mitbringen müssen. Bittere Realitäten in einem Land, dass so lange Vorbildcharakter bei Bildung und Gesundheit hatte. Vorbei.
Die Gründe dafür analysiert Alina Bárbara López nicht mehr für „La Joven Cuba“. „Sie haben sich aufgrund des politischen Druckes der Contrainteligencia von mir getrennt.“ Jetzt ist sie eine von vier Koordinator:innen des Portals CubaxCuba. Das gibt es seit dem 20. Juli 2023 und es versteht sich als „Labor des zivilgesellschaftlichen Denkens“.
Angeblicher Angriff auf einen Beamten
Doch nicht nur dort tritt Alina López für den Wandel in Kuba ein: „An jedem 18. des Monats gehe ich auf die Straße. Am 18. April, einem Sonntag, stand ich erst eine Stunde vor der Zentrale der Staatssicherheit, unserer politischen Polizei, und anschließend auf dem Platz der Freiheit, dem zentralen Platz im Stadtzentrum“, erklärt López. Dort plädiert sie für die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung, die Einführung von Hilfsprogrammen für die Allerärmsten sowie für freie Meinungsäußerung und die Freilassung aller politischen Gefangenen.
Das hat ihr in Kuba viel Unterstützung eingebracht, zumal der Druck auf sie zunimmt. Nach dem ersten Verfahren, das mit einer Geldstrafe über 7.000 Peso cubano, rund 20 US-Dollar nach inoffiziellem Wechselkurs, wegen „Ungehorsam“ endete, läuft das nächste. „Ich bin angeklagt wegen des Angriffs auf einen Beamten. Atentado, heißt es in der Anklageschrift, obwohl er mich geschlagen hat und nicht ich ihn“, erklärt sie. Ein, nein zweimal hat sie das Angebot von Polizei und Staatsanwaltschaft abgelehnt, das Verfahren mit einem Bußgeld zu beenden.
Rund zweihundert Intellektuelle, darunter Schriftsteller Leonardo Padura und Regisseur-Ikone Fernando Pérez, haben im Juli letzten Jahres einen Appell gegen jegliche staatliche Repression gegen die unbequeme Historikerin, die mehr als 18.000 Follower auf Facebook hat, unterschrieben. Auch die Latin American Studies Association, wichtiges wissenschaftliches Sprachrohr in der Region, hat die Repression gegen Alina Bárbara López verurteilt.
Gleichwohl lassen Justiz und Staatssicherheit nicht locker: „Eigentlich hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren bis zum 30. April eröffnen müssen, was nicht passiert ist.“ Ende Mai ist tatsächlich Anklage wegen des angeblichen Angriffs auf den Beamten erhoben worden.
Sie ist gespannt, wie die Justiz ihr etwas beweisen will, was nie passiert ist und vertraut ihrer Anwältin. „Ich stehe für viele andere, die wie ich von der Justiz kriminalisiert werden. In Kuba gibt es keine Gewaltenteilung, hier agieren die Gerichte im Auftrag der Staatssicherheit“, kritisiert sie und verweist auf andere Fälle wie den von Luis Robles. Der junge Mann war fünf Jahre in Haft, weil er per Plakat für ein Ende der Repression und zur Freilassung der politischen Gefangenen eintrat.
Eine Gefängnisstrafe droht nun auch ihr. Drei bis acht Jahre sieht das Strafgesetzbuch für die Attacke auf einen Beamten vor, und sicher ist, dass das Verfahren gegen die auch international recht bekannte Historikerin auf der Insel und darüber hinaus Schlagzeilen machen wird. Falls die kubanische Staatssicherheit nicht doch noch einen Rückzieher macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selenski zu Besuch in Berlin
Militarisiertes Denken
Preisvergabe an Ursula von der Leyen
Trump for Karlspreis!
Ukraine-Ankündigungen von Merz
Waffen statt wohlfeiler Worte
Unvereinbarkeitsbeschluss der Union
Überholter Symmetriezwang
ACAB-Debatte der Grünen
Jette Nietzard will Grüne bleiben
Hessische Ausländerbehörden
Arbeit faktisch eingestellt