Kritik der Woche: Gareth Joswig über „das sind die Fans und ihre Geschichten …“: Ein Buch wie eine Auswärtsfahrt
Marco Messina ist per du mit Aad de Mos. Wer sich jetzt fragt: „Wer mit wem?“, für den ist dieses Buch nicht geschrieben worden. Aad de Mos, das ist einer der am wenigsten erfolgreichen Werder-Trainer. Einer von mehreren Platzhaltern, die Werders große Leere zwischen Otto Rehhagel und Thomas Schaaf füllen sollten, aber keinen Erfolg hatten.
Und Marco Messina ist eine Fangröße der Ostkurve, wo früher die ersten Fanklubs standen und heute von Ultras verstärkt werden. Warum aber Aad de Mos bei einem Auswärtstestspiel in Trondheim dem Fan Messina das „du“ angeboten hat, ist aufgrund von selbst gebranntem norwegischen Schnaps leider nicht überliefert. Aber fest steht: Messina ist seit den Achtzigern Urgestein der Werder-Fanszene und auch dort mit vielen per du.
Diese Follower-Power aus Zeiten vor sozialen Netzwerken hat Messina nun ausgenutzt, um eine Geschichtensammlung von Fans für Fans herauszubringen: „Das sind die Fans und ihre Geschichten – SV Werder Bremen“.
Die Texte der Fans sind unmittelbar und authentisch. In erdiger Sprache erzählen Fans von dem, was ihnen am wichtigsten ist, ohne dass sie jemand in eine bestimmte Richtung gezwungen hätte: SV Werder Bremen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Das Buch der Werder-Fans gleicht ein wenig einer Auswärtsfahrt: Es gibt Spiele im Schneeregen von Bocholt, Oldenburg und Erkenschwick – ohne Überdachung. Da sind achtstündige Fahrten ohne Pinkelpausen an Orte, die man niemals sehen wollte. Aber da sind genauso Reisen nach Barcelona, Mailand, London, Istanbul und natürlich Lissabon 1992. Insgesamt oszilliert die Sammlung von Fangeschichten irgendwo zwischen Schlagermixtape und Wunder an der Weser.
Es bleiben ein paar erstaunliche Randnotizen. So zum Beispiel: Der ehemalige Werder-Torwart Frank Rost muss 2001 in südkoreanischen Fanklubs außerordentlich beliebt gewesen sein. Dieser Fanklub, der nur aus „Mädchen zwischen 16 und 26“ bestand, wie es heißt, hatte anscheinend keine Ahnung, wie ihr verehrter Torwart aussah. Der Autor dieser doch mindestens befremdlichen Geschichte trägt den Fan-Spitznamen „Fisch“. Er hatte Werder auf der Asien-Reise begleitet und sich dort mit Erfolg als Frank Rost ausgegeben. Er gibt bis heute damit an, dass „Frank Rost“ möglicherweise einige Nachkommen in Südkorea haben könnte.
Dann ist da noch die Anekdote des mutmaßlich ältesten Fan-Klubs, den „Ossis“ aus Ostfriesland von 1979, als es noch „voll daneben, ja fast asozial war, sich als Fußballfan zu outen“. Die nämlich crashten 1988 auf Einladung von Zweikampf-Legende Mirko Votava Werders Meisterfeier und verliehen Otto Rehhagel eine selbstgebastelte Krone aus Pappe und Goldpapier. Offenbar ist Otto I. zuerst König der Ostfriesen gewesen.
Die eindrücklichste Auswärtsfahrt aber führt 1992 nach Israel. Werder Bremen war die erste deutsche Mannschaft, die nach der Aufnahme von Israel in die Uefa gegen eine israelische Mannschaft antrat. Für die Auswärtsfahrer wird das Fußballspiel gegen Maccabi Tel Aviv nach dem Besuch von Yad Vashem, der Gedenkstätte der Shoa, zur absoluten Nebensache. Die Gespräche mit einem aus Nazi-Deutschland geflohenen jüdischem Ehepaar lassen sie bis heute nicht los. Es ist einer der seltenen Augenblicke, in der die Geschichtesammlung über den eigenen Anspruch „von Fans für Fans“ hinausgeht.
Wer aber ohnehin als „Special Interest“ Werder Bremen angibt, dem sei auch der ganze Rest dieses Buch ausdrücklich empfohlen.
Marco Messina (Hrsg.): Das sind die Fans und ihre Geschichten – SV Werder Bremen, Eysoldt-Verlag, 204 Seiten, 12,80 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen