Kritik an deutscher Rechtsprechung: Strafen häufig zu mild
Bundesgerichtshof-Präsident Klaus Tolksdorf will keine Deals mit Angeklagten, die das Ansehen der Justiz gefährden. Prozesse sollten zudem kürzer werden.
KARLSRUHE taz Harte Kritik an sogenannten Deals im Strafverfahren übte der Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), Klaus Tolksdorf. Die Absprachen seien eine Gefahr für "Akzeptanz und Ansehen der Justiz". Tolksdorf forderte, auf solche Deals zu verzichten, und kritisierte dabei auch das geplante Dealgesetz von Justizministerin Zypries, das am Donnerstag in den Bundestag eingebracht wurde.
Bei strafrechtlichen Deals bekommt der Angeklagte als Gegenleistung für Geständnis und Abkürzung des Prozesses eine milde Strafe zugesichert. Dies ist in deutschen Gerichten längst üblich; nach Angaben Tolksdorfs enden zwei Drittel aller Prozesse mit solchen Deals. Dies wurde vom BGH bisher auch akzeptiert, wenn die Absprache transparent ist und die Strafe schuldangemessen bleibt. Der BGH hatte die Politik 2005 sogar zu einer gesetzlichen Regelung aufgefordert.
Tolksdorf glaubt jedoch, dass die vom BGH aufgestellten Grundsätze von den deutschen Gerichten weithin ignoriert werden. Teilweise würden Angeklagte zu Geständnissen gedrängt, viel häufiger aber seien die Strafen zu mild. "Ich kann mir nur die Augen reiben, wofür es jeweils zwei Jahre auf Bewährung gibt", sagte er am Donnerstagabend beim jährlichen Presseempfang des BGH. Er habe auch "keine allzu große Zuversicht", dass sich dies mit einer gesetzlichen Regelung ändere.
Der Gesetzentwurf von Justizministerin Zypries bringe "keine wesentliche Änderung der Rechtslage", so Tolksdorf. Die Erfahrung zeige, dass ein rechtsstaatlicher "Deal light" nicht funktioniere. Besser wäre es deshalb, ganz auf Deals zu verzichten.
Anders als viele Dealgegner forderte Tolksdorf aber keine deutliche Aufstockung der Richterstellen. "Deutschland hat eh schon mit Abstand die größte Richterdichte in Europa", erklärte der BGH-Präsident. Wichtiger sei es, die Prozesse so zu gestalten, "dass sie in vernünftiger Zeit fertig werden".
Tolksdorf kritisierte dabei ausdrücklich Strafverteidiger, die Verfahren gezielt in die Länge zögen. "Früher hat man einen einfachen Tankstellenüberfall an einem Vormittag verhandelt", so Tolksdorf, "und es ist nicht besser, wenn so ein Prozess jetzt oft drei Monate dauert." Welche Rechte der Verteidigung er einschränken will, sagte Tolksdorf nicht.
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