Kritik an den Kohlegegnern von Lützerath: Propaganda gegen Klimaschützer

Das besoffene Land böllert sich zu Silvester halb tot. Währenddessen werden die BewohnerInnen von Lützerath als Kriminelle diffamiert.

Ein gelbes X markiert das Camp der Klimaaktivisten in Lützerath, im Hintergrund qualmen Schornsteine in der sonst friedlichen Landschaft

Sehen Sie hier Terroristen? Wir auch nicht Foto: Jochen Tack/imago

Am Samstag schrieb der Vizechef der anerkannt konservativen Rheinischen Post (RP) seinen Lützerath-Kommentar. Da wird abgerechnet mit, igitt, „professionellen Kohlegegnern“ an der Tagebaukante, vor „Öko-Ideologen“ gewarnt, die eine „neue Apo“ seien mit „teils militanter Ausprägung“. Tenor: Packt ein, verpisst euch. Die Horrorvision: Ohne Kohlestrom bleiben womöglich die Büros der RP dunkel, als sei man in Kyjiw.

Dazu faktisch falsche Populistensätze wie: „Von Lützerath ist nichts mehr übrig, das rettenswert wäre.“ Ist ein denkmalgeschützter, wunderschöner Hof von 1763 nichts oder eine Friedenslinde von 1650, wohl gleich nach dem Dreißigjährigen Krieg gepflanzt? Das Wort Klima kam übrigens kein einziges Mal vor. Von den ekelhaften Bestätigungskommentaren sei hier nur der absurde Begriff „Klimaterroristen“ erwähnt.

Gewalt und Terror in Deutschland. Will niemand. Außer an Silvester, da ist das okay. Da heißt das feiern. In Berlin schossen zugedröhnte Horden ihre Feuerwerkskörper völlig von Sinnen waagerecht statt senkrecht ab, eine Rakete nach der anderen. Ziel: vorbeifahrende Autos, FußgängerInnen. Heißa, wie das knallt. In Aachen war, wie in vielen anderen Städten, ein Böllerverbot in der Innenstadt verfügt. So what: Vor dem dicht umdrängten Rathaus stiegen in der Winterhitze die lustigen bunten Knalldinger im Sekundentakt umjubelt in den Himmel. Woanders das Gleiche. Ordnungskräfte: nirgends zu sehen. Die Attacken Besoffener auch auf Rettungswagen, gezielter Raketenbeschuss von Feuerwehren wie in Essen, all das habe im Vergleich zur Vorpandemiezeit deutlich zugenommen, meldet die Polizei. Heißa 2023.

Die Bilanz im Lande: Schwerverletzte sonder Zahl mit abgesprengten Gliedmaßen, zerfetzten Händen, Armamputierte und Erblindete, brennende Autos und Wohnungen (inklusive Toten), die Notaufnahmen voll. Der Feierfuror traf auch Unbeteiligte, aber das zählt als Kollateralschäden. Das ist Alltagsgewalt. Sie wird hingenommen. Die einen kleben sich fest, die anderen, in vielem über Jahrzehnte die Täter, kleben fest an ihrer gestrigen Weltsicht und an Ritualen, die sie farbenprächtiges Himmelsspektakel nennen.

Allein in Düsseldorf, dem RP-Sitz, gab es zwei Großbrände. In Lützerath nebenan werden sich viele Hundert „Öko-Terroristen“ aus gutem Grund mit Verantwortungsbewusstsein auf die Wege setzen und an Bagger ketten, ohne Raketen, ohne Gewalt. Wenn aber eine oder einer auch nur „Scheißbullen“ ruft oder zappelt beim Weggeschleiftwerden, darf man auf Strafverfahren zählen und auf neue, schnell losgeböllerte Kommentare aus kohlestromwarmen Redaktionsstuben.

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Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).

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