Kritik an Forschungsmission: „Marokkos Besatzung normalisiert“
Vor den von Marokko besetzten Gebieten der Westsahara forschen die Unis von Kiel und Hamburg. Das normalisiere die Besatzung, kritisieren Aktivisten.
Mitte Dezember allerdings machte die NGO, die sich seit vielen Jahren gegen die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Westsahara einsetzt, eine ungewöhnliche Entdeckung. Auf dem Schiffs-Tracker tauchte das deutsche Forschungsschiff Maria S. Merian auf, das – finanziert von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) und dem Bundesforschungsministerium (BMBF) – unter Leitung der Universität Kiel geowissenschaftliche Untersuchungen der Kontinentalhänge vor Nordwestafrika durchführte.
Das Interessante für Erik Hagen war, mit welcher Transparenz und Professionalität die Leitung des Schiffes in Bordberichten ihre Tätigkeiten und vor allem ihre exakte Position vermittelte und dabei mehrfach von „marokkanischer“ Küste und der „marokkanischen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ)“ schrieb.
„Es gab überhaupt keine politische Abwägung darüber, wo genau man sich eigentlich befand“, berichtet Hagen – nämlich vor der Küste eines besetzten Gebietes mit völkerrechtlich ungeklärtem Status. Das sei, als wenn deutsche Forscher an der Küste der Krim unterwegs wären und von Russland sprächen, sagt der norwegische Aktivist.
„Gebiet ohne Selbstverwaltung“
Organisiert werden solche Forschungsfahrten in Hoheitsgewässer anderer Staaten von der Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe (LDF) der Universität Hamburg. Auf Nachfrage räumt ein Mitarbeiter dort ein, noch nie vom Westsahara-Konflikt gehört zu haben.
Aus der Pressestelle der Universität Kiel heißt es, man habe „exemplarisch auf Arbeitsgebiete der Expedition aufmerksam gemacht“. Relativ schnell nach Anfrage der taz wurde allerdings die Formulierung „marokkanisch“ in den Bordberichten in „nordwestafrikanisch“ geändert.
Die Westsahara wird von den Vereinten Nationen völkerrechtlich als Gebiet ohne Selbstverwaltung geführt. Außer den USA erkennt kein Land der Welt die marokkanische Herrschaft dort an. Der Europäische Gerichtshof kam in mehreren Urteilen zu dem Schluss, dass Marokko über kein Mandat zu deren Verwaltung verfügt, da das Territorium „gesondert und unterschiedlich“ zu betrachten ist.
Daraus folgt, dass EU-Abkommen mit dem Königreich nicht rechtmäßig auf die Westsahara ausgedehnt werden können – es sei denn, mit ausdrücklicher Zustimmung der Urbevölkerung der Saharauis.
„Wenn eine Forschungsinstitution – wie in diesem Fall die Universität Kiel – von Marokko spricht, ist offensichtlich, dass keine solche Zustimmung eingeholt wurde“, sagt Erik Hagen. In der Tat: Die Genehmigung für das Forschungsschiff Maria S. Merian, das erst vor der Küste der Westsahara und später vor der Küste Marokkos unterwegs war, haben laut Bundesforschungsministerium marokkanische Behörden erteilt.
„Der Bundesregierung sind in Bezug auf die Westsahara keine anderen Staaten oder Institutionen bekannt, die Vorgaben für eine Anzeige zur wissenschaftlichen Meeresforschung im Sinne des Seerechtsübereinkommens anführen“, teilt ein Sprecher des BMBF mit.
Dabei gäbe es mit der Befreiungsbewegung Frente Polisario durchaus eine international anerkannte Organisation, die man in solchen Fällen befragen könnte, sagt deren Deutschland-Vertreterin Nadjat Hamdi. Sie wirft auch die Frage nach der künftigen Nutzung der Forschungsergebnisse auf. „Wer profitiert davon, und mit welchem Ziel genehmigt Marokko eine solche Forschungsmission?“
„Die Expedition diente ausschließlich der Grundlagenforschung“, heißt es dazu sowohl aus der Presseabteilung der Universität Kiel als auch vom Bundesforschungsministerium.
Wirtschaftlich interessant
Pläne für die wirtschaftliche Nutzung der Gewässer vor der Westsahara gibt es allerdings schon lange. Erst im Dezember 2022 gab das israelische Unternehmen NewMed Energy bekannt, dass es mit dem marokkanischen Ministerium für Energie und Bergbau eine Vereinbarung zur Förderung von Erdgas im sogenannten Offshore-Block Boujdour Atlantique vor der Küste der Westsahara unterzeichnet habe. Unternehmungen, für die seismische Daten vom Meeresboden sicher hilfreich wären.
Erik Hagen von WSRW will keinen direkten Zusammenhang zwischen der Forschungsmission der Maria S. Merian und derartigen Wirtschaftsaktivitäten herstellen. „Das wäre Spekulation“, sagt er. Für ihn geht es um das generelle Problem des Westsahara-Konfliktes: „Marokko hat das Ziel, die Besatzung zu normalisieren. Vor diesem Hintergrund ist so eine Forschungsmission kontrovers, da sie der Besatzung eine legitime Aura verleiht“, erklärt der Aktivist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag