Kritik an Chinas Wirtschaftspolitik: Abschottung und Kontrolle
Das Geschäft für europäische Firmen in China läuft längst nicht mehr rund. Peking drängt den Privatsektor systematisch zurück.
Nicht nur europäische Wirtschaftsvertreter, sondern auch chinesische Ökonomen fordern, dass das Land seinen in den 1980ern eingeschlagenen Reformkurs fortführen sollte. Es bräuchte Pragmatismus statt Ideologie, einen Fokus auf Öffnung statt nationaler Sicherheit. Und vor allem müssten die chinesischen Haushalte gestärkt werden. Denn diese besitzen gemessen am Bruttoinlandsprodukt ein viel zu kleines Stück vom Wohlstandskuchen. Ein Fakt, der in einem historischen Rekord resultiert: In keiner anderen großen Volkswirtschaft ist der Konsum der Privathaushalte derart niedrig wie in China.
Doch insbesondere Ökonomen mit politischem Blick argumentieren, dass Staatschef Xi Jinping vor allem an einem starken Staat interessiert ist. Ein breiter Wohlstand für die Bevölkerung hingegen dürfte auch Bedürfnisse wecken, die in den Augen Pekings unerwünscht sind – etwa die Forderung nach politischer Partizipation.
Fest steht: China stärkt derzeit weniger die Privathaushalte, sondern vor allem seine Produktionskapazitäten – und möchte sich trotz massiver Überkapazitäten und winziger Gewinnmargen aus der Krise heraus exportieren.
Besonders ersichtlich wird dies beim Blick auf die aktuellen Handelszahlen mit Deutschland: Während Chinas Exporte im August um 21,3 Prozent stiegen, brachen die chinesischen Importe aus Deutschland um 17 Prozent ein. Auch mit den meisten anderen Handelspartnern aus Europa hat China einen massiven Überschuss zu verzeichnen.
Gebrochene Versprechen
Jens Eskelund, Präsident der europäischen Handelskammer in Peking, zeigt sich ermüdet von den wiederholten Versprechen der Regierung, die oftmals nicht eingelöst wurden. Marktzugänge, die China mit Eintritt in die Welthandelsorganisation 2001 in Aussicht stellte, bleiben bis heute verschlossen. Auch beim Thema geistiges Eigentum gibt es zwar eine solide Gesetzgebung, jedoch keine einheitliche Umsetzung. So sind Chinas Online-Plattformen und teilweise auch Einkaufszentren voll von ausländischen Fake-Produkten.
Gleichzeitig wird es immer schwerer, sich ein akkurates Bild vom Zustand der chinesischen Volkswirtschaft zu machen. Seit Jahren gibt es den Trend, dass Statistiken nicht mehr publiziert werden oder kritische Ökonomen einen Maulkorb verpasst bekommen.
Dass auch ausländische Wirtschaftsvertretungen immens unter Druck stehen, hat Eskelund am Mittwoch so offen wie selten dargelegt: „Vor gemeinsamen Treffen mit Regierungsvertretern wird uns manchmal gesagt, dass bestimmte Gesprächsthemen Tabu sind. Und wir werden zunehmend darum gebeten, Reden vorher einzureichen und positive Energie zu verbreiten“, so Eskelund.
Das politische Kernproblem kann meist nur mehr von außenstehenden Beobachtern offen ausgesprochen werden. Einer von ihnen ist der US-Wirtschaftsexperte David Hoffman. Sein Blick auf den Kurs der Volksrepublik fällt ernüchternd aus:
„Wir befinden uns eindeutig auf dem Weg zu einer hochgradigen, wenn nicht gar vollständigen Planwirtschaft, die irgendwann auch eine gewisse Verstaatlichung beinhalten könnte“, sagt Hoffman in einer aktuellen Folge des Fach-Podcasts „Pekingology“: „Wir werden sehen, dass der Staat die Kontrolle über die großen Immobilienentwickler, Risikokapitalgeber und Aktiengesellschaften hat. Alles wird unter staatlicher Kontrolle, wenn nicht gar in staatlichem Besitz sein.“
Diese Sichtweise wird durchaus von Indizien gestützt. Schon jetzt können Privatbetriebe in China nur dann florieren, wenn sie ihre Loyalität zur Kommunistischen Partei demonstrieren. Und während einige Verbrauchermärkte in China nach wie vor relativ offen sind, bestimmt der Staat in Kernindustrien längst die Spielregeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland