Kritik an Ägyptens Militärregime​: „Schwarzes Loch für Menschenrechte“

175 europäische Abgeordnete fordern, Ägypten für seine Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung zu ziehen. Der UN-Menschenrechtsrat soll handeln.

Plakat mit dem Präsidenten und der Aufschrift Militär und Polizei sind auf der Seite des Volkes

„Militär und Polizei sind auf der Seite des Volkes“, rechts Präsident al-Sisi Foto: imago

TUNIS taz | Polizeigewalt, Folter, willkürliche Haftstrafen und andere Repressalien, eine praktisch gleichgeschaltete Presse und eine regimekritische Zivilgesellschaft, die existentiell bedroht ist: Das immer paranoider agierende Regime unter Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi geht weiter gnadenlos gegen jede Form der Opposition vor und wird gar für systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht – und das ohne ernstzunehmende Kritik aus Brüssel, Paris oder Berlin.

Während die wenigen noch arbeitsfähigen ägyptischen Menschenrechtsgruppen regelmäßig Alarm schlagen, wird Ägyptens Militärregime von westlichen Regierungen nur verhalten und meist lediglich hinter vorgehaltener Hand kritisiert.

Doch in Europas Parlamenten regt sich Widerstand gegen dieses Schweigen: 175 Abgeordnete des EU-Parlaments und nationaler europäischer Parlamente haben am Donnerstag einen offenen Brief an den UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) unterzeichnet. Sie fordern, Ägypten endlich konsequenter zur Verantwortung zu ziehen.

Kurz vor der nächsten Sitzung des UN-Menschenrechtsrats im März fordert die Initiative die Einrichtung eines für Ägypten zuständigen Überwachungs- und Berichterstattungsmechanismus im Rahmen des UNHRC. Ein solcher Schritt sei „längst überfällig“, heißt es in dem Brief, der zudem den „fehlenden politischen Willen“ der internationalen Gemeinschaft kritisiert, die in Ägypten weit verbreiteten Missstände und Verstöße anzusprechen.

„Seit al-Sisis Machtübernahme 2013 ist Ägypten zu einem schwarzen Loch für Menschenrechte geworden“, so der spanische Linkspolitiker und Europaabgeordnete, Miguel Urbán Crespo, gegenüber der taz. Die Lage in Ägypten sei ernst genug, um die Strategie der „stillen Diplomatie“ aufzugeben.

Deutschland liefert munter Waffen

Schon auf der letzten UNHRC-Sitzung im März 2021 hatte Finnland eine Erklärung vorangetrieben, in der dutzende Staaten Ägyptens Regierung für ihre Menschenrechtsverstöße deutlich verurteilten.

„Das war ein wichtiger Präzedenzfall und das erste Mal seit sieben Jahren, dass sich Staaten bei den Vereinten Nationen gemeinsam mit der Menschenrechtskrise in Ägypten befassten“, sagte Jeremie Smith, Direktor des Genf-Büros des Kairoer Instituts für Menschenrechtsstudien (CIHRS), der taz. Dies habe dazu beigetragen, die Freilassung mehrerer politischer Häftlinge zu erreichen.

In der Tat hatte Ägypten empfindlich auf die UNHRC-Erklärung reagiert. Das Regime in Kairo nimmt multilaterales Handeln offenbar deutlich ernster als bilateral und hinter verschlossenen Türen vorgetragene Kritik. Wie wirksam allerdings das von Menschenrechtsgruppen und nun auch von Europaabgeordneten geforderte Überwachungsinstrument auf UN-Ebene wäre, ist umstritten.

Dennoch läuft Ägyptens Zivilgesellschaft und der Opposition die Zeit davon. „Es steht viel auf dem Spiel. Wenn die Staaten nicht handeln, könnte Ägyptens unabhängige Zivilgesellschaft ausgerottet werden“, erklärte Smith nachdrücklich.

Der am Donnerstag veröffentlichte offene Brief ist dabei durchaus ernstzunehmen, ist die Initiative doch fraktionsübergreifend. Der Brief wurde von Ver­tre­te­r*in­nen sozialdemokratischer, grüner, linker und liberaler Parteien unterzeichnet, von denen nun erwartet wird, Druck auf die eigenen Parteien auszuüben – vor allem jene in Regierungsverantwortung.

Auch von der neuen Bundesregierung wird ein klares Signal und ein Ende der „Weiter so“-Politik im Umgang mit Ägyptens Militärregime erwartet. Die Große Koalition hatte 2021 noch Rüstungsexporte im Wert von 4,5 Milliarden Euro nach Ägypten genehmigt – ein neuer Rekord.

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