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Kritik am Onlineversandhandel„Kontrolle bis zum kleinsten Schritt“

Wissenschaftlerin Sabrina Apicella über die Besonderheiten der Logistikbranche und die Effekte von Amazon & Co.

Amazon ist beliebt – und steht immer wieder in der Kritik Foto: dpa

taz: Frau Apicella, ist es eine gute Idee, die Weihnachtsgeschenke bequem vom Sofa aus zu bestellen und sich liefern zu lassen?

Sabrina Apicella: Letztendlich muss das natürlich jeder selbst entscheiden. Wer sich die Logistikbranche anschaut, sieht aber ganz klar: Der Zugewinn an Wahlfreiheit für die KonsumentInnen steht tendenziell dem Verlust von Autonomie der Beschäftigten in der Branche gegenüber.

Sie meinen die Zusteller, die unter hohem Effizienzdruck arbeiten müssen?

Auch, aber nicht nur: Bei Logistik geht es insgesamt darum, die räumliche Umschlaggeschwindigkeit von Waren möglichst profitabel zu erhöhen. Ein Weg ist die Automatisierung: Denken wir nur an die großen Häfen, an denen Container vollautomatisch verladen werden. Die Maschinen laufen, wenn es sein muss, 24/7. Die Arbeit, die durch Menschen verrichtet werden muss, ist in der Logistik tendenziell ein Problem, weil hier Zeitverluste entstehen können. Aber ohne Menschen geht es auch nicht. Deswegen wird bis zum kleinsten Arbeitsschritt vermessen, kontrolliert und möglichst vorbestimmt.

Sabrina Apicella

29, lebt und forscht in Berlin, promoviert aktuell an der Leuphana Universität Lüneburg zum europäischen Onlineversandhandel, insbesondere Amazon.

Können Sie ein Beispiel nennen?

So wie wir den Verbleib unserer Pakete verfolgen können, funktioniert es auch im Kleinen: In den fabrikartigen Paketzentren von DHL kann jedes Päckchen lokalisiert und seine Bewegung nachvollzogen werden. Darüber werden auch die Handgriffe von MitarbeiterInnen überwacht oder zumindest theoretisch überwachbar. Die Arbeit ist darüber hinaus „digital tayloristisch“: aufgeteilt in kleine Schritte mit geringer Verantwortung, der Mensch als Handlanger von Maschine und Software.

Welche Folgen hat das für die Beschäftigten?

Die ArbeiterInnen bestimmen nicht mehr über die Arbeitsprozesse, Software und Geräte tun es. Das zieht sich durch den gesamten Prozess des Transports, vom ersten bis zum letzten Schritt. Dazu kommt noch, dass die Betriebe stark hierarchisch organisiert sind: Zwischen der Frau, die per Hand die Adressen ins System eintippt, die der Scanner nicht einlesen konnte, und ihrem Manager liegen da buchstäblich Welten.

Sie forschen insbesondere zum Onlineversandhandel – wie hat sich das KonsumentInnenverhalten hier verändert?

Immer mehr Menschen bestellen Dinge des alltäglichen Bedarfs zu sich nach Hause, von Lebensmitteln über Elektronik bis hin zu Möbeln. Auch die Food-Delivery auf Rädern zählt dazu. Hier geht es ebenfalls um den schnellen Umschlag der Ware – vom Lager oder privaten VerkäuferInnen zur Kundin.

Der Versandhandel funktioniert also nach den gleichen Prinzipien wie die Logistikbranche insgesamt?

Nicht ganz. In der Möglichkeit, direkt bei Amazon, Otto oder Zalando zu bestellen, liegt ein Unterschied zu Transport-Logistikern wie DHL: Beim Onlineversandhandel werden der Einkauf auf digitalen Plattformen und der Transport miteinander verbunden. Wichtig ist dabei, dass bei jedem Einkauf Daten generiert werden, die die Unternehmen dazu nutzen, das Kaufverhalten von Kunden vorauszusagen. Die Kundin gibt also für die schnelle Lieferung nach Hause ein Stück Privatheit auf, und die Unternehmen treffen auf Grundlage ihres vergangenen Konsumverhaltens Aussagen über die Zukunft.

Wie wirkt sich der Onlineversandhandel auf die Transportunternehmen aus?

Für die KundInnen geht es vor allem um eins: Schnelligkeit. Viele Onlineversandhändler geben diesen Druck, dass das Paket schnell bei der Kundschaft sein soll, an die Transportunternehmen weiter. Nehmen wir die berühmte letzte Meile, die gleichzeitig einen großen Kostenfaktor für die Unternehmen darstellt. Hier werden auf Kosten der Arbeitskräfte Zeit und Geld gespart: Nicht der Lkw-Fahrer selbst, sondern eine Software bestimmt Routen und Pausen, die Bezahlung nach Tarifvertrag wird durch die Auslagerung an Subunternehmer umgangen, die Arbeitsverdichtung nimmt zu. Und: Anstatt Lagerflächen zu mieten, werden die Pakete bei der Nachbarin oder dem Laden an der Ecke abgegeben – das kostet schließlich nichts.

Aktuell gibt es vermehrt Arbeitskämpfe im Logistiksektor und auch bei Onlineversandhändlern – woran liegt das?

Beide Branchen boomen. Mit Streiks und Protesten rücken sich jene Beschäftigten selbstbewusst ins Bild, von denen KundInnen nur wenig mitbekommen. Seien es Beschäftigte bei Deliveroo in London, ArbeiterInnen in Logistik-Kooperativen in Norditalien oder die Streikenden bei Amazon – sie haben für Debatten in ihren Betrieben und in der Öffentlichkeit gesorgt und erste Erfolge erstritten. Dabei haben sie einen entscheidenden Vorteil. Denn gerade die modernen Just-in-time-Versorgungsketten, in denen Waren genau zu dem Zeitpunkt hergestellt und geliefert werden, wenn sie nachgefragt werden, sind besonders anfällig für Störungen durch Proteste und Streiks der Belegschaft. Arbeitskämpfe machen hier also in vielfacher Hinsicht einen großen Unterschied.

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1 Kommentar

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Vielleicht wäre es auch eine Option mehr, wenn beim Bestellen im Internet angegeben werden könnte, wenn es nicht dringend ist, wenn es also keine große Rolle spielt, ob das Produkt nach einem, drei oder sieben Tagen da ist. Wer die Hetze in der Logistik nicht gut findet oder etwa die Weihnachtsgeschenke schon einigermaßen zeitig besorgt, könnte auf diese Weise auch zum Ausdruck bringen, dass eine Entschleunigung der Lieferketten auch in seinem solidarischen Interesse ist.

     

    Ich nehme im Übrigen keine Pakete mehr an für die Nachbarn. Unten links bimmeln Lieferant*innen und Polizist*innen leider am liebsten. Ein Freund bestellt sich sein E-Drum u.ä. an seinen Arbeitsplatz, da ist wenigstens jemand da, der die Sachen

    entgegennimmt. Das geht leider bestimmt nicht überall.

     

    Ganz schön dekadent ist es, im Winter jemanden anderen die Pizza liefern zu lassen, anstatt selbst in die Kälte zu gehen und sich den Allerwertesten abzufrieren. Ferienwohnungen find ich auch besser als Hotels, da müssen die Zimmer wenigstens besenrein wieder abgegeben werden und es kommt niemand, um für einen aufzuräumen, niemand macht einem das Frühstück etc.

    Nicht nur vielen "gelernten DDR-Bürger*innen" fällt das Sich-Bedienen-lassen immer noch nicht ganz so einfach und wenn man Würde und Arbeit zusammendenkt, ist das auch ein menschenfreundlicher Charakterzug.