Krise um den Bundeshaushalt: „Demokratie leben!“ ausgebremst
Die Haushaltslage bedroht die Demokratieförderung. Und damit Projekte, die sich gegen rechts, gegen Rassismus und Antisemitismus stellen.
Und die zuständige Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) verbreitet in internen Gesprächen Zuversicht, dass das Programm mit seinen mehreren tausend Einzelprojekten wie geplant umgesetzt werden soll. Aktuell aber – das wird aus dem Schreiben des BAFzA klar – gibt es viele Fragen und Vorbehalte. Neue Zahlungsverpflichtungen dürften derzeit nicht eingegangen werden, heißt es. Und: „Die Bewilligung neuer Projekte oder die Aufstockung bestehender Maßnahmen mit Auswirkung auf das Haushaltsjahr 2024“ seien „derzeit nicht möglich“.
Sollte der Haushalt in diesem Jahr nicht mehr beschlossen werden, werde es eine vorläufige Haushaltsführung geben, „die bekanntermaßen einige Besonderheiten mit sich bringen wird“. Detailfragen beugt die Behörde so vor: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Einzelanfragen derzeit nur schwer beantwortet werden können und mitunter etwas warten müssen.“
Unter den Projektträger:innen löste die Mail große Befürchtungen aus. Franz Zobel, Projektkoordinator der thüringischen Opferberatung ezra, sagte der taz, mindestens müsse es vom Ministerium die Zusage geben, dass „ein vorzeitiger Maßnahmenbeginn ausgestellt werden kann“. Im schlimmsten Fall drohe sonst, dass die Arbeit von ezra Anfang 2024 eingestellt werden müsse. Mehr als 200 Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt könnten dann nicht mehr unterstützt werden. Dies wäre angesichts eines drohenden AfD-Wahlgewinns bei der Landtagswahl 2024 in Thüringen „eine absolute Katastrophe“.
Lage in den Ländern „unübersichtlich“
Zwar werden einzelne Bundesländer wie Brandenburg möglicherweise die Haushaltsnöte des Bundes überbrücken und als Ko-Finanzierungspartner einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn bewilligen. Judith Porath vom Verein Opferperspektive, der sich in Brandenburg gegen Rassismus, Diskriminierung und rechte Gewalt einsetzt, sagt, die Situation in den Ländern sei „unübersichtlich“. In Sachsen-Anhalt ist sogar die Entlassung von Mitarbeiter:innen in der Diskussion.
Sehenden Auges schlittere man auf einem Zusammenbruch der Strukturen zu, kritisiert Porath, die auch Vorständin im Bundesverband der unabhängigen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ist. Pascal Begrich, Geschäftsführer des Netzwerks Miteinander e. V. in Sachsen-Anhalt, sagte der taz, es handele sich um „eine Planungsunsicherheit und Gefährdung der Finanzierung wie seit Jahren nicht mehr“.
Das Programm „Demokratie leben!“ läuft seit 2015 – und steht unter Druck. Die AfD meint, es sei einseitig gegen Rechtsextremismus ausgerichtet, und fordert eine Streichung. Auch die Union verlangte zuletzt erhebliche Kürzungen. Ministerin Paus hatte im März erklärt, es seien keine Mittel des Programms missbräuchlich verwendet worden, „nur in Einzelfällen“ habe in Projekte eingegriffen werden müssen. Es sei absurd, „Menschen grundsätzlich zu misstrauen, die sich für unsere Demokratie einsetzen und dafür ein komplexes Antragsverfahren durchlaufen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus