Krise in Nigeria: Zwei rätselhafte Todesfälle

Erst wird Boko Harams Chef Shekau getötet, dann stirbt Armeechef Attahiru bei einem Flugzeugabsturz. Die Stimmung ist zunehmend angespannt.

Begräbniszeremonie: viele Särgen, die getragen werden

Staatsbegräbnis für Armeechef Attahiru und weitere Offiziere in Nigerias Hauptstadt Abuja, Samstag Foto: Afolabi Sotunde/reuters

COTONOU taz | Er sei tief betrübt über den Flugzeugabsturz, der Nigerias Armeechef Generalleutnant Ibrahim Attahiru und weitere Offiziere das Leben gekostet hat; alle seien Helden, die den ultimativen Preis bezahlt haben. So hat Nigerias Präsident Muhammadu Buhari auf den Absturz eines Militärflugzeugs am vergangenen Freitag reagiert. Die Maschine war aufgrund von schlechtem Wetter beim Anflug auf den Flughafen von Kaduna abgestürzt, heißt es offiziell.

Seitdem ist Attahirus Tod das beherrschende Thema in Nigeria. Der 54-Jährige stand erst seit Januar an der Armeespitze, nachdem Buhari diese komplett ausgetauscht hatte. Die Streitkräfte hatten durch die sich verschlechterte Sicherheitslage im Land noch mehr als gewöhnlich in der Kritik gestanden. Trotz posthumer Lobeshymnen auf Attahiru hat sich diese aber seitdem nicht verbessert, im Gegenteil: Entführungen, Überfälle, auch Angriffe auf Polizeistationen haben weiter zugenommen.

Am Montag demonstrierten Jugendliche nahe Abuja erneut gegen die Unsicherheit und äußerten ihren Protest, indem sie eine Polizeiwache anzündeten.

Verschärft hatten sich zuletzt sogar die Putschgerüchte. Auch die sind in dem Land mit den etwa 220 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen regelmäßig zu hören. Buhari, der selbst Silvester 1983 erstmals durch einen Coup an die Macht gekommen war und seit 2015 als gewählter Präsident regiert, stand noch nie so unter Druck wie jetzt.

Die Armee betonte jedoch, sie habe keine Intention, die Macht zu übernehmen. Demokratie sei die Regierungsform der Stunde und nicht Militärherrschaft.

Entbrannt ist nun eine Diskussion um Attahirus Nachfolge. Als ein Name wird Danjuma Ali-Keffi gehandelt, der aktuell in Kaduna stationiert ist. Gegen ihn, so analysiert eine nigerianische Nachrichtenagentur, spreche aber, dass es mehr als 30 ranghöhere Offiziere gibt als ihn.

Der Süden will wieder nach oben

Letztendlich ist es eine politische Entscheidung. Buhari, der aus Katsina stammt, wird seit Jahren vorgeworfen, Spitzenposten in dem Vielvölkerstaat mit Personen aus dem Norden zu besetzen, die zudem – so seine Kri­ti­ke­r*in­nen – Haussa oder, wie er selbst, Fulani seien. Nach zwei Armeechefs aus dem Norden nacheinander werden nun der Süden wie der Südosten Ansprüche erheben. Die zunehmende Gewalt dort, für die der Staat separatistische Bewegung wie IPOB – Indigene Menschen von Biafra – verantwortlich macht, rückt in der Diskussion oft in den Hintergrund.

Im Fokus steht der Norden. Vergangene Woche hieß es, dass der Anführer der 2002 gegründeten islamistischen Terrormiliz Boko Haram, Abubakar Shekau, an einer schweren Verletzung gestorben sei. Die Armee kündigte eine Untersuchung an, da sich in der Vergangenheit Shekaus mutmaßlicher Tod mehrfach nicht bewahrheitet hat. Dass dieser diesmal tatsächlich ums Leben gekommen ist, davon geht allerdings unter anderem die Nachrichtenplattform HumAngle des Journalisten Ahmed Salkida aus, der in der Region gut vernetzt ist.

Allerdings ist Shekaus Tod kein Erfolg der Streitkräfte. Vielmehr ist der rivalisierenden Bewegung „Islamischer Staat in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) offenbar ein folgenschwerer Angriff auf Boko Haram gelungen. ISWAP soll unter seinem Anführer Abu Musab al-Barnawi Shekaus Versteck im Sambisa-Wald im Bundesstaat Borno angegriffen haben.

Zunehmende Stärke des IS

Bis 2016 gehörte ISWAP noch Boko Haram an, trennte sich dann aber. Schon damals kam es zu schweren Kämpfen. Be­ob­ach­te­r*in­nen hofften, dass sich die Milizen nun gegenseitig niedermetzeln und immer weiter schwächen. Eindeutiger Sieger ist nach aktuellen Informationen allerdings ISWAP. Die Bewegung operiert anders als Boko Haram, heißt es: Sie greift weniger Zivilist*innen, sondern verstärkt Polizei und Armee an und errichtet in Gegenden am Tschadsee, in denen nirgendwo mehr Sicherheitskräfte stationiert sind, eigene Strukturen. Unter anderem erhebt sie Zölle und kontrolliert Märkte.

Damit bindet sie die Bevölkerung an sich. Und der Armee zeigt sie, dass ihr etwas gelingt, das diese nicht geschafft hat: bis zum Versteck Shekaus vordringen und diesen außer Gefecht setzen. Für Nigerias nächsten Armeechef wird die Messlatte des Erfolges damit noch höher.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.