Kriminalität in der Kurve: Gegen die eigenen Fans
Juventus Turin geht gegen Anhänger vor, die teils Verbindungen zur Mafia haben. Sie verdienen am Tickethandel und drohen mit rassistischen Gesängen.
Nur wenige Mitglieder hatten sich ein paar Stunden vor dem Champions-League-Spiel gegen Bayer Leverkusen eingefunden. Große Choreografien oder die Abfolge der Sprechchöre besprachen sie nicht. Denn ihre Transparente wurden von der Polizei während der Operazione „Last Banner“ im September beschlagnahmt. Nicht einmal die Lust, überhaupt ein Juventus-Trikot überzustreifen, ist zu verspüren. „Was soll man einen Verein unterstützen, der die eigenen Leute anzeigt und in den Knast bringt“, sagt einer der Tradizione-Ultras der taz. Der Anführer der Tradizione und auch Chef des Black & White, Umberto Toia, wurde im Rahmen von „Last Banner“ verhaftet.
Den zwölf verhafteten Fananführern wird Erpressung von Juventus, Gewaltanwendung gegenüber opponierenden Fans und Erpressung des Barpersonals im Stadion zur Herausgabe von Freigetränken vorgeworfen. Die Begründung der Haftbefehle skizziert ein düsteres Bild. Bei mehreren Treffen mit dem Fanbeauftragten von Juventus, Alberto Pairetto, wurde dieser bedroht und beschimpft, weil er nicht mehr die geforderte Menge an Freikarten herausgeben wollte.
Pairetto, Sohn von Pierluigi Pairetto, einem der verurteilten Schiedsrichter des Betrugsskandals von 2006, hatte in früheren Jahren bis zu 100 Karten pro Fanklub verteilt. Andrea Puntorno, Anführer des Fanklubs Bravi Ragazzi und mittlerweile wegen Drogenhandels in Sizilien festgenommen, sprach öffentlich von Einnahmen zwischen 20.000 und 40.000 Euro allein für ihn pro Spieltag. Turins Antimafiaanwälte überprüften die Angaben und bestätigten der taz dieses Geschäftsvolumen.
Präsident trifft Mafiosi
Die Antimafiaermittler kamen ins Spiel, weil auch ein ’Ndrangheta-Clan im Ticketgeschäft mitmischte. Ein Spross des Dominello-Clans wurde sogar von Juventus als Vermittlerfigur der Fans akzeptiert und traf sich mehrfach mit Andrea Agnelli. Der Spross der Industriellendynastie aus Turin ist nicht nur Juventus-Präsident, sondern auch Chef der European Club Association. Die ECA bastelt seit Jahren schon an der europäischen Superliga. Der Einpeitscher dieser Millionario-Liga trifft sich mit einem Mafioso – ein tolles Geschäftsumfeld. Wegen seiner Treffen mit dem mittlerweile verurteilten Rocco Dominello wurde Agnelli zunächst vom Sportgericht gesperrt; die Sperre wurde dann auf eine Geldstrafe reduziert.
Nach dem Mafiaprozess „Alto Piemonte“, bei dem die Geschäfte des Dominello-Clans nur eine Randgeschichte waren, versuchte Juventus offenbar die Ticketvergabe zu ändern. Die Ultras aber fühlten sich herausgefordert. Aus „Last Banner“ geht hervor, dass die Chefs der Fanclubs als Erpressungsmittel auch rassistische Fanchöre androhten. Ihr Kalkül: Gibt Juventus die Tickets nicht heraus, muss der Verein eben Sanktionen fürchten. Sogar die Sperrung der Fankurve für zwei Spieltage als Strafe wegen rassistischer Ausfälle wurden von den Fananführern als Triumph gewertet – in der Hoffnung, dass Juventus klein begebe.
Das tat der Klub in diesem Falle aber nicht. Noch nicht einmal die Drohung des bedeutendsten der Fanchefs, Drughi-Boss Dino Mocciola, die Telefonate publik zu machen, die der frühere Fanbetreuer Raffaello Bucci auf seine Anweisung hin aufgezeichnet hatte, vermochten den Klub einzuschüchtern. Bucci, einst selbst Mitglied der Drughi, kam im Juli 2016 ums Leben – ausgerechnet einen Tag vor seiner geplanten Aussage vor den Ermittlern von „Alto Piemonte“. Bucci waren die ’Ndrangheta-Verbindungen und das illegale Ticketgeschäft bekannt. Die Staatsanwaltschaft Cuneo, geleitet von einem früheren Antimafiaermittler aus Sizilien, geht mittlerweile von Mord aus.
„Alto Piemonte“, „Last Banner“ und der Mordfall Bucci lassen die verstörenden Verhältnisse innerhalb der Juventus-Kurve deutlich zutage treten. Ob sich viel verändert, ist allerdings fraglich. Zwei der Verhafteten wurden wieder freigelassen. Und die Anwälte der Fananführer zeigen sich gegenüber der taz optimistisch, dass die Beweislage ohnehin nicht für eine Verurteilung ausreiche.
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