Kriminalität in Niedersachsen: Die Clans sind immer und überall
Über den Begriff Clan-Kriminalität ist viel gestritten worden. Niedersachsen versucht dem zu begegnen – mit bemerkenswerten Unschärfen.
Im vergangenen Jahr war die besonders laut, weil das Lagebild unter anderem eine Großfamilie umfasste, die deutlich als Roma markiert wurde und deren Kinder durch Ladendiebstähle und Schulschwänzereien auffällig geworden waren. Das rief den Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma auf den Plan, der darauf hinwies, dass es irgendwie kontraproduktiv ist, wenn man einerseits Vereinbarungen zum Kampf gegen Antiziganismus unterzeichne, andererseits aber mit solchen Meldungen uralte Vorurteile füttere.
Auch andere Delikte, die Eingang in die Statistik gefunden hatten – wie der Betrug mit Corona-Testzentren, bei Führerscheinprüfungen oder durch Schock-Anrufer aus Callcentern in der Türkei – untermauerten den Eindruck, dass hier ziemlich viel unter die Rubrik „Clan-Kriminalität“ subsumiert wurde, was mit dem ursprünglichen Bedrohungsszenario aus öffentlichen Tumulten und organisierter Kriminalität nicht mehr viel zu tun hatte.
In diesem Jahr gab man sich bei der Pressekonferenz sichtlich Mühe, solche Eindrücke zu vermeiden und konzentrierte sich in der Präsentation wieder auf das, was den meisten Bürgern Angst macht: brutale Auseinandersetzungen auf offener Straße und tumultartige Menschenaufläufe vor Haftanstalten, Krankenhäusern oder Gerichtsgebäuden.
Weniger als ein Prozent der Straftaten
Zwar sei die Gesamtzahl der Straftaten mit Clanbezug im Jahr 2023 rückläufig gewesen und mache mit 0,65 Prozent auch immer noch weniger als ein Prozent der insgesamt erfassten Straftaten aus, erklärt Landespolizeipräsident Axel Brockmann. Im Vergleich zu anderen Tätergruppen machen Rohheitsdelikte (also Körperverletzungen) und Straftaten gegen die persönliche Freiheit (meist Bedrohungen) hier aber den Löwenanteil aus. Zudem fände die Polizei bei Durchsuchungen und Festnahmen überdurchschnittlich oft Waffen.
Im Übrigen, sagt Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD), könne sie die Frage „Lohnt denn der Aufwand, bei diesem geringen Anteil an Straftaten?“ auch nicht nachvollziehen. Morde oder terroristische Taten machten ja auch nur einen geringen Prozentsatz in der Statistik aus – und trotzdem erwarte man, dass sie mit allen Mitteln verfolgt und geahndet würden. Vier Schwerpunktstaatsanwaltschaften beschäftigen sich in Niedersachsen mit der Clan-Kriminalität.
Innenministerin Daniela Behrens (SPD) bemüht sich dagegen zum x-ten Mal, den Rassismus-Vorwurf abzuwehren, der bei der Debatte über den Begriff der Clan-Kriminalität immer mitschwingt. „Wir verfolgen nicht bestimmte Familien oder bestimmte Nachnamen, sondern immer nur Täter und ihre Taten und versuchen dann von dort die Strukturen dahinter auszuleuchten“, versichert sie eisern.
Obwohl ihr Landespolizeipräsident gerade noch darüber dozierte, wie „junge, unbescholtene Familienmitglieder“ als Geschäftsführer eingesetzt werden, um so scheinbar legale Shops und Geldwäschegelegenheiten aufzutun. Es ist also wohl doch so, dass man mit bestimmten Nachnamen lieber keine Geschäfte aufmacht.
Um ein Phänomen in den Griff zu bekommen, müsse man nun einmal den Realitäten ins Auge sehen, erklärt die Innenministerin außerdem. So richtig scharf gestellt bekommt man diesen Blick in Niedersachsen allerdings anscheinend nicht.
Keine Hotspots, nirgends
Auch in diesem Jahr heißt es wieder: Es gibt keine Hotspots, Clan-Aktivitäten seien überall im Land zu verzeichnen. Außerdem seien diese kriminellen Strukturen höchst agil und suchten sich ständig neue Betätigungsfelder. In 2023 fielen hier vor allem Verfahren in den Polizeidirektionen Oldenburg und Osnabrück auf, die sich um manipulierte Sportwetten und Glücksspielautomaten drehten.
Daniela Behrens, niedersächsische Innenministerin
Der Organisierten Kriminalität rechnet die Polizei nur zwölf der eingeleiteten Strafverfahren zu, im vergangenen Jahr waren es neun. Ausgerechnet bei der Vermögensabschöpfung – sonst gepriesen als Königsweg, um Clan-Kriminelle empfindlich zu treffen – gab es einen deutlichen Einbruch: 1.978.309 Euro stellte das Land im vergangenen Jahr zumindest vorläufig sicher, in 2022 waren es noch mehr als drei Millionen Euro gewesen.
Wie schwierig diese Vermögensabschöpfung immer noch ist, zeigt sich auch in Stade, wo es in 2023 ein großes Clan-Verfahren gegeben hat. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hatten die Täter Gelder aus illegalem Glücksspiel, Betäubungsmittelhandel und Schutzgelderpressungen in den Kauf und die Renovierung einer hochwertigen Immobilie gesteckt. Das Gericht sah von einer Einziehung des Gebäudekomplexes trotzdem ab und kassierte nur die 400.000 Euro ein, die eindeutig illegalen Aktionen zuzuordnen waren.
Stade gehört im Übrigen auch zu den Hotspots, die so nicht genannt werden sollen: In den vergangenen zwei Jahren gab es dort drei Tote, die auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen zwei Clans zurückzuführen sein sollen. Die tauchen im aktuellen Lagebild nicht auf, weil nur einer der drei Todesfälle ins Jahr 2023 fällt. Der öffentlichen Debatte hinkt der Bericht damit auch hier hinterher.
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