Krimi-Reihe „Bruno, Chef de police“: „Ich wäre gerne mehr wie Bruno“
Martin Walker ist Schotte und leitet einen US-Thinkthank. Im Sommer lebt er in Frankreich und hat mit Dorfpolizist Bruno einen amüsanten Ermittler erschaffen.
Auf dem Berliner Kurfürstendamm scheint die Sonne. Im legeren Karohemd, leicht gebräunt und entspannt sitzt Martin Walker dort im Café und sieht tatsächlich aus wie jemand, der die Sommer in der Provence verbringt. Es ist noch früh am Morgen und Walker muss sich erst mal eine Zigarette anzünden.
In Deutschland kennt man ihn als erfolgreichen Krimiautor, doch eigentlich ist Martin Walker ein Vollblutjournalist. Mehr als 25 Jahre lang war er Korrespondent der britischen Tageszeitung The Guardian, schrieb Sachbücher über den Kalten Krieg und eine Biografie Bill Clintons. Geschichte studierte er in Oxford, dann in Harvard. Heute leitet der gebürtige Schotte einen wirtschaftspolitischen Thinktank in Washington, D.C.
Vor 15 Jahren dann zog Walker mit seiner Familie nach Südfrankreich, wo er seither die Sommermonate verbringt. Erst dort, in seiner französischen Wahlheimat, dem Périgord, wurde der Journalist zum Krimiautor und die kleine Ortschaft, in der er lebt, zum Zentrum einer ganzen Krimiserie. „Ich wollte immer über diese Region schreiben“, erzählt der Autor.
Martin Walker: „Femme fatale. Der fünfte Fall für Bruno, Chef de police“. Aus dem Englischen von Michael Windgassen. Diogenes Verlag, Zürich 2013, 426 Seiten, 22,90 Euro
So entstand 2008 der erste Kriminalroman mit dem sympathischen Dorfpolizisten „Bruno, Chef de police“ in der Hauptrolle. „Femme fatale“ ist bereits der fünfte Bruno-Roman, im Frühjahr erschien er bei Diogenes auf Deutsch und hält sich seit Wochen unter den vorderen Plätzen der Spiegel-Bestsellerliste.
Jedes Jahr ein neuer Bruno-Roman
Jedes Jahr legt Walker einen neuen Bruno-Roman vor und jedes Jahr kommt er nach Deutschland, wo seine Romane mit über 500.000 verkauften Exemplaren gerne gelesen werden, um auf Lesetour zu gehen – „immer zur Spargelsaison!“ Vielleicht spricht Walker deshalb so gut Deutsch. Während er hier ist, will er jedenfalls täglich ein neues Wort lernen. Auf den letzten Seiten seines Notizhefts stehen die neuen Vokabeln fein säuberlich untereinander. Die Einträge vom Vortag: „Lampenfieber“ und „Rampensau“. Ganz flüssig kommt ihm dieser Satz über die Lippen: „Wenn ich auf die Bühne gehe, habe ich Lampenfieber, aber nach einem Glas Wein bin ich eine Rampensau.“
Seine Liebe zu Südfrankreich entdeckte Martin Walker als Teenager, während eines Schüleraustauschs. „Damals habe ich gedacht: Das ist so exotisch!“, erzählt er. Heute ist dieses Leben Teil seines Alltags. Die Faszination aber ist geblieben. Wenn er den Sommer im Périgord verbringt, erntet er seinen eigenen Salat und füttert die Hühner. „Ich lebe wie Gott in Frankreich“, sagt Walker.
Alle Speisen, die er Bruno in seinen Romanen kochen lässt, hat er selbst zubereitet: Rustikales wie Poulet bière au cul, ein Hühnchen, zubereitet auf einer Bierdose, und die Fois gras. Selbst Bruno hat ein Vorbild in der Realität: Piero, ein Freund, den er für dessen Ausgeglichenheit bewundert, auch er ein Polizist. „Er liest die Menschen wie Bücher“, erzählt der Autor, „und er verurteilt sie nicht.“
Das Leben auf dem französischen Dorf, der enge Kontakt der Bewohner, inspirieren Walker. Regelmäßig besucht er die Nachbarn, stöbert auf Dachböden herum und lässt sich Geschichten erzählen. Regelmäßig hilft er auch beim Schlachten. „Ich bin eine ungelernte Kraft und wasche deshalb die Innereien aus“, erzählt er ohne mit der Wimper zu zucken. Solche Erfahrungen fließen in seine Romane ein.
Immer gibt es historische Abschweifungen
Dass er Historiker ist, merkt man nicht nur seiner Art der Recherche an. Keines der Bücher kommt ohne historische Abschweifungen aus, ohne einen Blick in die Geschichte des Périgord etwa, wo in den Vierzigern die Résistance besonders stark war. Diese Mischung aus leicht bekömmlicher Unterhaltung und einem anspruchsvollen Spaziergang durch Frankreichs Geschichte macht den Reiz der Bruno-Serie aus.
So auch beim aktuellen Krimi „Femme fatal“. Der Roman startet klassisch und langsam: In Saint Denis wird eine Frauenleiche gefunden, wunderschön, nackt und mit Pentagrammen beschmiert. Im ersten Drittel plätschert die Handlung so dahin, Walker ergeht sich in idyllischen Dorfszenen, es wird beschrieben, wie die Nachbarn einander helfen, es gibt romantische Candle-Light-Dinners und Ausritte in der Abenddämmerung – kurz: Walker idealisiert das Dorfleben.
Dies treibt durchaus seltsame Blüten, wenn etwa der sonst so verständige Bruno sich für einen Bauern einsetzt, der seine Frau blutig geschlagen hat – beinahe ironisch, dass der im Laufe der Geschichte sein Leben lassen muss. Und dann nimmt die Geschichte an Fahrt auf.
Das Dorfidyll bekommt Risse. Während seiner Ermittlungen stößt Bruno auf politische Strippenzieher, schamlose Neureiche, illegale Immobiliengeschäfte, von denen der Bürgermeister profitiert, sogar das französische Verteidigungsministerium, das schmutzige Rüstungsdeals abschließt, hat seine Finger im Spiel. Und am Ende kommt es zum Showdown in einer Höhle voll Stalagmiten, in der die Antifaschisten im Zweiten Weltkrieg ihre Waffen versteckten.
Smart, lustig, ohne Waffe
Nur selten findet man der Krimilandschaft einen positiven Helden, der tatsächlich Spaß macht. Doch der Dorfpolizist Bruno ist smart, lustig, ein guter Koch, mag Tiere und vergöttert Frauen und hat nur kleine Charakterschwächen. Obwohl Polizist, trägt er nicht mal eine Waffe.
Gerade in Deutschland liebe man den Antihelden, erklärt Martin Walker: „Die meisten Krimis haben Protagonisten, die Alkoholiker sind. Ich habe einen traditionellen Helden.“ Zärtlich nennt der Autor ihn einen „modernen Asterix“, einer, der sein kleines Paradies verteidigt.
Unglaubwürdig? Selbst seine Lektorin frage nach Brunos dunklem Geheimnis, räumt Walker ein. In einem Interview hatte er einmal behauptet, Bruno sei sein persönliches Vorbild. Das mag er so aber nicht stehen lassen. „Ich wäre gerne ein bisschen mehr wie Bruno“, sagt er diplomatisch.
Martin Walker liebt es, die große Welt in ihrer Komplexität in das Dorf einfallen zu lassen. Für seine Romane recherchiert er akribisch. 2012 etwa erschien „Schatten an der Wand“, ein historischer Roman, der die Geschichte der prähistorischen Höhlen von Lascaux erzählt: von den 17.000 Jahre alten Wandzeichnungen bis zur Neuzeit. Für diesen Stoff führte er Interviews mit ehemaligen Résistance-Kämpfern, ging in die Archive, durchstöberte Briefe und Reports von US-Soldaten.
Ein junger Araber aus Saint Denis
Der siebte Bruno-Roman, an dem Walker gerade sitzt, wird von einem jungen Araber aus Saint Denis handeln, der sich radikalisiert und nach Afghanistan geht. Als er aus dem islamistischen Netzwerk aussteigen möchte und bei den französischen Truppen Zuflucht sucht, kommt es zu einer internationalen Krise. Auch der sechste Krimi wird bald auf Deutsch erscheinen. Wie viele noch folgen? „Das ist meine Rente!“, sagt Martin Walker und lacht. „Ich liebe es, zu schreiben, und das werde ich auch mein Leben lang tun“, schiebt er hinterher.
Jeden Tag schreibe er 1.000 Wörter, ganz egal wo: auf einer Konferenz in Tokio, im Zug oder im Flieger zurück nach Washington. Schon nach drei Monaten ist dann die Vorversion eines Romans fertig und die Überarbeitung beginnt. So geht das nun seit Jahren. Über diese intensive Beschäftigung habe sein Protagonist ein Eigenleben entwickelt. Als Walker für „Femme fatale“ aufschreiben wollte, wie eine der tatverdächtigen Frauen Bruno verführt, habe der zu ihm gesprochen: „Er sagte: ’Ich will meine Hose nicht fallen lassen!‘“ Das hat Walker akzeptiert. Schließlich bekommt Bruno genauso viel Fanpost wie sein Schöpfer.
Neben dem Historiker und dem Wirtschaftstheoretiker kommt manchmal auch der Journalist in Walker zum Vorschein. Und der spricht gerne über die Lage der Welt. Vor allem der von Europa. Ob das noch eine Zukunft hat? Walker erzählt von der anhaltenden Finanzkrise, von der Tragödie einer ganzen Generation von Südeuropäern, davon, dass sich Europa endlich von der Idee des endlosen Wachstums verabschieden müsse. Wenn er so spricht, werden seine Sätze ganz knapp, er kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Man merkt ihm seinen Beruf an. „Aber ich bleibe ein überzeugter Europäer, im idealistischen Sinne“, sagt Walker dann versöhnlich.
Das Beste, was Europa zustande gebracht habe, sei allerdings das Studierendenaustauschprogramm Erasmus. An seinen Kindern habe er sehen können, wie so eine neue Generation herangewachsen sei, die sich von der schweren europäischen Geschichte befreit habe. Das weiß wiederum der Historiker Walker zu schätzen.
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