Kriegsverbrechen in Kroatien 1944: Babas sind stark. Babas sterben aus
Baba Zelica, letzte Überlebende des Massakers um das Dorf Voštane, stirbt. Ihre Angehörigen tragen Fakten und Mythen um das Kriegsverbrechen zusammen.
B aba Zelica liegt im Sterben. Wir wollten dieses Jahr ihren 100. Geburtstag feiern, aber sie kann ihren Spaten nicht mehr halten. Deswegen will sie die Erde nun verlassen. Sie kann ihr nicht mehr nützlich sein. Ihr ganzes Leben lang hat sie den Acker vor ihrem Haus im Karstgebirge des kroatischen Hinterlands bearbeitet. Jetzt will sie in Frieden gehen.
Baba Zelica ist die letzte Überlebende des Massakers um das dalmatinische Bergdorf Voštane, in dem im März 1944 zwischen 1.500 und 3.000 Zivilisten von der SS Division Prinz Eugen erschossen und verbrannt wurden.
In dem Bett, in dem Baba Zelica jetzt stirbt, wurde damals ihre Mutter von der SS erschossen, im Haus nebenan meine Oma verbrannt. Baba Zelica ist meine Urgroßtante.
Die Erzählungen über das Massaker sind so karg wie der Felsen des Kamešnica, das Gebirges über Voštane. Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal verurteilte die verantwortlichen SS-Generäle zwar. Doch das sozialistische Jugoslawien verzichtete auf eigene Prozesse.
Fetzen von Fakten
Details und konkrete Täter blieben ungeklärt. Die Inschrift des kleinen Denkmals in Voštane lautet „von böser Hand ermordet“. Vergessen umweht das verwaiste Dorf. Auf dem Friedhof lässt sich das Massengrab, in dem auch meine Oma verscharrt wurde, nicht mal mehr finden.
Während die allerletzte Augenzeugin unseres Familienzweigs im Nachbarzimmer stirbt, sitzen vier Generationen in ihrer winzigen Küche. Mühsam werden Fetzen von Fakten und die Mythen um das Massaker zusammengetragen. Warum hat sich in Jugoslawien niemand dafür interessiert? Warum hat kaum einer darüber gesprochen, auch Baba Zelica nicht? Wollten die Partisanen vertuschen, dass sie dem Massaker tatenlos zugeguckt hatten? Waren die Mörder nicht eigentlich serbische Četniks? Wie hat man die Überreste überhaupt identifizieren können? „Eheringe“, sagt einer.
Alle Erklärungsversuche enden so: Die Voštaner waren weder Anhänger der lokalen Faschisten noch der Partisanen. Deswegen sei niemand zur Hilfe oder Aufklärung gekommen. Nach dem Sieg über die Nazis sei die Gegend aufgeforstet worden. Ergebnis: viel Schatten und gute Luft. Doch die Bergbauern verloren nach ihren Angehörigen nun auch ihre Weideflächen und damit ihre Lebensgrundlage. Sie verließen das Dorf, und es wuchs buchstäblich Gras über das Massaker.
Baba bedeutet Oma. Aber Baba werden in Kroatien alle alten Dorffrauen genannt, die riesige Arbeiterinnenhände, großen Humor und einiges zu erzählen haben. Babas sind stark. Babas sterben aus. Niemand will das harte Leben der Babas führen.
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Als wir uns von Baba Zelica am späten Abend verabschieden, erkennt sie uns nicht mehr. Doch plötzlich flüstert sie einen letzten Satz: „Es fällt mir schwer, mich an euch zu erinnern, aber ich liebe euch alle.“ Sie hebt eine Hand und winkt. Hat Baba Zelica mitgehört, als wir in der Küche über das Massaker geredet haben?
Während des Tages wird der Krieg in der Ukraine nur einmal erwähnt: „Die Ukrainer erleben das Gleiche wie wir. Gebe Gott, dass sich jemand um sie kümmert“, sagt Baba Milica, 84.
Das verwaiste Voštane mahnt daran, dass selbst ein einzelnes Kriegsverbrechen äußerst lange Nachwirkungen hat. Es mahnt daran, dass man einem Ort für Generationen das Leben nehmen kann, wenn man nur aufforstet, statt aufzuarbeiten.
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